Re­geln und Chan­cen für ZEV-Ein­hei­ten

Um den Eigenverbrauch zu er­höhen, lassen sich mehrere Gebäude energetisch miteinander verbinden. Aber welche technischen Massnahmen sind nötig, und wie stehen die Energieversorger dazu, wenn der Solarstrom prioritär im Kollektiv konsumiert wird?

Data di pubblicazione
01-12-2022

Ein Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV) bietet benachbarten Haushalten und Liegenschaften die Möglichkeit, vor Ort erzeugten Solarstrom gemeinsam zu nutzen. Seit 2018 erlaubt das nationale Energiegesetz solche Energiebündnisse: Mehrere Gebäude mit eigenen Solardächern und -fassaden können ein eigenes ZEV-Areal bilden.

Regulatorische Schranken

Eigentümer eines ZEV-Areals haben folgende Minimalbedingungen zu erfüllen: Die Leistung der installierten Photovoltaikanlage beträgt mindestens 10 % derjenigen Leistung, mit der diese Immobilie an das öffentliche Stromnetz angeschlossen ist. Um das Verhältnis zwischen einem ZEV-Areal und dem lokalen Verteilnetzbetreiber (VNB) zu klären, darf zudem nur ein einziger Übergabepunkt eingerichtet werden. Vorgegeben ist aber auch, dass die technische Infrastruktur lokal aufgerüstet wird. So haben ZEV-Areale ein kommunikatives Netzwerk und ein Messkonzept einzurichten. Dazu gehört die Integration von digitalen Messzählern und eine Internetanbindung.

Eigenverbrauch optimieren

Vor dem Hintergrund steigender Preise auf dem Strommarkt und für die Netznutzung werden ZEV-Areale wirtschaftlich attraktiv. Entscheidend ist hierbei der allgemeine Ortstarif: Dieser vom lokalen Energieversorger festgelegte Strompreis bestimmt auch, wie viel ZEV-Teilnehmer für ihren eigenen Solarstrom höchstens bezahlen müssen. Und der lokale Energieversorger setzt die Einspeisevergütung für die Lieferung von überschüssigem ZEV-Strom ins öffentliche Netz fest. Auch arealspezifische Verhältnisse spielen eine wichtige Rolle: Je mehr Energie vor Ort verbraucht werden kann, umso wirtschaftlicher funktioniert das Zusammenschlussmodell. Ein Energiemanagement, ein Batteriespeicher sowie grosse Verbraucher wie Elektrofahrzeuge oder Wärmepumpen erhöhen zum Beispiel die Eigenverbrauchsquote.

Herausforderungen für Versorger

Nach einer anfänglichen Skepsis begrüssen Energieversorger inzwischen die steigende Zahl von ZEV-Arealen grundsätzlich. Allerdings sieht sich die Branche auch mit neuen Herausforderungen konfrontiert. «Technisch ist jeder ZEV eine Blackbox. Für Verteilnetzbetreiber ist schwer vorhersagbar, wie viel Strom diese Areale aus dem öffentlichen Netz jeweils benötigen», sagt Carsten Schroeder, Leiter Strategische Regulierung beim Elektrizitätswerk Stadt Zürich ewz. «Eine starke Zunahme von ZEV-Standorten erschwert deshalb den sicheren Netzbetrieb.»

Zu beachten sei auch, dass Eigenverbrauchsgemeinschaften zur Entsolidarisierung unter Stromkunden beitragen können. Gemäss Schroeder entfallen beim Eigenverbrauchsstrom die Netznutzungsgebühren. Zwar sei dieser Effekt aktuell marginal, doch dürfte der weitere Zubau zur relevanten Abnahme der Infrastrukturgebühr führen. «Dies treibt den Aufwand für die verbleibenden Normalkunden nach oben», so Schroeder. Selbst Areale mit hohem Eigenverbrauch sind allerdings darauf angewiesen, weiterhin Elektrizität aus dem öffentlichen Netz zu beziehen. Deshalb brauche es möglicherweise bald ein neues Bezahlmodell für Strom aus dem öffentlichen Netz.

Kontroverse: Netznutzung

Eine weitere offene Frage betrifft die geltende Regel, wonach eine Eigenverbrauchseinheit das lokale Verteilnetz nicht mitbenutzen darf. Zur Einrichtung eines ZEV-Areals, das mehrere Gebäude verbindet, sind jeweils separate Stromleitungen erforderlich. Vor allem für die Organisation im Gebäudebestand sind hohe Mehrkosten absehbar, was einen rentablen Betrieb erschwert. «Volkswirtschaftlich wäre es sinnvoller, bestehende VNB-Netze künftig auch für ZEV-Einheiten freizugeben», sagt Stephan Krähenbühl, Leiter Prosumer & Energiedienstleistungen bei Primeo Energie. Parallele Netze, wie sie die geltende Regelung in der Regel verlangt, können vermieden werden. «In Österreich dürfen Solarstromgemeinschaften das lokale Netz nutzen, wenn sie dafür ein reduziertes Entgelt entrichten.»

Virtueller Zusammenschluss

Eine 2019 im Auftrag von Energie-Schweiz erstellte ZEV-Studie verweist auf eine weitere Möglichkeit, auf die zusätzliche Installation eigener Netze zu verzichten und eine Co-Nutzung des öffentlichen Lokalnetzes zu erlauben: den virtuellen Zusammenschluss zum Eigenverbrauch. Dabei werden die Verbräuche der ZEV-Mitglieder mit der Produktion der Photovoltaik zeitnah abgeglichen. Abgerechnet wird nur derjenige Teil des externen Strombezugs, der nicht durch die Eigenstromproduktion hätte gedeckt werden können. Hierbei wird ein Entgelt für die Netznutzung verlangt. Bei dieser Lösung bleibt die Netzinfrastruktur in den Händen der VNB, die sich weiterhin um Betrieb und Unterhalt kümmern.

Umfassende Angebote

Für die Energieversorgungsunternehmen bieten ZEV-Areale aber auch Chancen: Als Alternative zum klassischen Eigenverbrauchsmodell präsentiert ewz zum Beispiel ein VNB-Praxismodell innerhalb des eigenen Versorgungsgebiets. Bisherige Kundinnen und Kunden, die neu selbst Solarstrom erzeugen, können weitere Wohnparteien daran beteiligen, ohne einen ZEV zu gründen. «Zudem fördern wir Areallösungen aktiv mit unserer Vision 100/100, bei der wir 100 Immobilienprojekte bis 2030 zu 100 % klimaneutral betreiben wollen», ergänzt Schroeder.

Auch Primeo Energie begleitet Arealnetzprojekte von der Planung über die Umsetzung bis zum Betrieb. «Wir bieten integrierte Gesamtkonzepte an mit Zusatzoptionen wie Photovoltaik-, Batterie- und Wärmecontracting», sagt Krähenbühl. Ebenfalls Teil des Angebots sind Mobilitätskonzepte mit Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge und E-Bikes.

Modell für die dezentrale Zukunft

Gemäss Krähenbühl und Schroeder werden ZEV-Areale zum wichtigen Teil der öffentlichen Stromversorgung. «Bei Mehrfamilienhäusern tragen solche Eigenverbrauchslösungen sogar entscheidend dazu bei, den Ausbau der Photovoltaik voranzubringen», sagt Schroeder. In den kommenden Jahren sollen aber auch Industrie- und Gewerbeimmobilien in den Fokus rücken: «ZEV-Areale erhöhen primär die Wirtschaftlichkeit von installierten PV-Anlagen.»
Krähenbühl ist ausserdem überzeugt, dass ZEV-Areale dank einem dynamischen Lastmanagement und den Batteriespeichern viel zur Stabilität der lokalen Netze beitragen können. So sorgen die Eigenverbrauchsmodelle vor, dass die öffentliche Infrastruktur für die Stromverteilung – trotz dem Ausbau einer dezentralen Produktion – nicht über Gebühr ausgebaut werden muss.

Mit Unterstützung von energieschweiz und Wüest Partner sind bei espazium – Der Verlag für Baukultur folgende Sonderhefte erschienen:

Nr. 1/2018 «Immobilien und Energie: Strategien im Gebäudebestand – Kompass für institutionelle Investoren»

Nr. 2/2019 «Immobilien und Energie: Strategien der Vernetzung»


Nr. 3/2020 «Immobilien und Energie: Strategien der Transformation»


Nr. 4/2021 «Immobilien und Energie: Mit Elektromobilität auf gemeinsamen Pfaden»

Nr. 5/2022 «Immobilien und Energie: Strategien des Eigengebrauchs»

 

Die Artikel sind im E-Dossier «Immobilien und Energie» abrufbar.

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