We­ni­ger Hi­tze in der Stadt

Ein Paradigmenwechsel für den Städtebau

Die Anpassung an den Klimawandel hat für den Kanton und die Stadt Zürich hohe Priorität. Auf gesetzlicher und planerischer Ebene bereiten die kantonalen und kommunalen Fachämter vielfältige Massnahmen zur Hitzeminderung in dichten Siedlungsräumen vor.

Data di pubblicazione
16-06-2022

«Je dichter und versiegelter die städtische Struktur, umso mehr besteht die Gefahr, dass die Hitze gespeichert und eine gute Durchlüftung verhindert wird: Es bilden sich Wärmeinseln, und die Temperaturen bleiben im Vergleich zum Umland auch nachts hoch. Die Hitze staut sich regelrecht», so erklärt René Estermann, Direktor des Stadtzürcher Umwelt- und Gesundheitsschutzes UGZ, den urbanen Wärmeinseleffekt in heissen Sommerperioden. Der Klimawandel – höhere Aussentemperaturen und zunehmende Hitzeperioden – verstärkt dieses Problem.

Wissenschaftlich sind die Hintergründe bestens erforscht: Das Klima in der Schweiz erwärmt sich, und Extremwetterereignisse nehmen zu. Die Schweiz ist besonders stark von der globalen Erwärmung betroffen, die Temperaturen steigen hierzulande doppelt so stark wie im globalen Durchschnitt. Das macht nicht nur Gletschern und gestressten Wäldern zu schaffen, sondern wirkt sich auch negativ auf das Wohlbefinden der Stadtbevölkerung aus. Für urbane Gegenden zeichnen sich primär zwei Herausforderungen ab: Einerseits gefährden sommerliche Hitzewellen die Aufenthaltsqualität und Gesundheit der Menschen; andererseits überfordert Starkregen die Wasserinfrastruktur, weswegen zunehmende Überschwemmungen und Schäden zu befürchten sind.

Zürich will und muss Massnahmen ergreifen, um mit den Folgen des Klimawandels klarzukommen. Die Stadt hat die Hitzeminderung schon länger traktandiert: 2010 publizierte die Stadt erstmals eine Klimaanalyse, 2012 forderte die Politik den «Masterplan Stadtklima», und 2018 präsentierte der Kanton flächendeckende Klimakarten, die über die bis 2030 erwarteten Veränderungen bei der Lufttemperatur und den Kaltluftströmungen informieren. Darauf basiert nun der kantonale Massnahmenplan «Anpassung an den Klimawandel». Derweil legte die Stadt Zürich die «Fachplanung Hitzeminderung» vor, die vor zwei Jahren unter der Leitung von Grün Stadt Zürich erarbeitet wurde.

Alle Departemente sind dabei

Drei Ziele stehen bei der Hitzeminderung im Fokus: Überwärmung im gesamten Stadtgebiet vermeiden, vulnerable Gebiete gezielt entlasten und das bestehende Kaltluftsystem erhalten. Christine Bräm, Direktorin Grün Stadt Zürich (GSZ), betont die Wichtigkeit der zeitgleich veröffentlichten Umsetzungsagenda 2020–2023: «Wir haben mit der Fachplanung die Ziele und Planungsgrundlagen geschaffen. Gleichzeitig packen nun alle relevanten Departemente mit an und setzen erforderliche Projekte um.» Die Verwaltung wird also aktiv, damit sich das Wohlbefinden der Bevölkerung und die Aufenthaltsqualität im Stadtraum trotz Hitzerisiko spürbar verbessert.

Vorteilhaft ist, dass Zürich über eine natürliche Klimaanlage verfügt: Die unbebauten, bewaldeten Hügel nördlich und südlich des Limmattals erzeugen Kaltluftströme, die nachts in die Stadt fliessen. Für René Estermann hat deren Unversehrtheit oberste Priorität: «Kaltluftströme sind der wirksamste Schutz vor übermässigem Hitzestau. Darauf ist die Planung auszurichten.» Denn bebaute Hänge verschlimmern den Hitzeeffekt: Ungünstig ausgerichtete Baukörper behindern den nächtlichen Fluss von kühler Luft hinein in tiefer liegende Stadträume, und die versiegelte Umgebung heizt sich selbst stärker auf.

Städtebaulicher Massstab passt

Städtebau und Architektur sind langfristige Prozesse, deren Resultate über Jahrzehnte und Jahrhunderte Bestand haben. Auch ein Blick in die Geschichte zeigt: Während Gebäude und einzelne Areale des Öfteren saniert, umgebaut oder ersetzt werden, bleiben prägende Elemente wie Strassenzüge, Bahnlinien und Infrastrukturen unangetastet. Eine umsichtige und auf die Klimaanpassung abgestimmte Planung setzt deshalb beim grossen Massstab Städtebau an. Katrin Gügler, Direktorin des Amts für Städtebau (AfS), sieht das positiv: «Für mich ist zentral, dass das Thema nicht als zusätzliche Last, sondern als Chance verstanden wird und als Aufgabe, zu der wir einen positiven Beitrag leisten können.»

-> Praxisbeispiel Architektur: Triemlispital
Das ehemalige Bettenhochhaus wird neuerdings für die Spitalverwaltung genutzt. Die begrünte Südfassade schützt Arbeitsräume und Büros vor Überhitzung.

Das Amt für Städtebau erarbeitet die eigentümerverbindlichen Planungsgrundlagen für einen klimaangepassten Städtebau, sei dies über die Richtplanung, die räumliche Entwicklungsstrategie oder die Bau- und Zonenordnung. «Gleichzeitig begleiten wir konkrete Projekte und können so sicherstellen, dass diese Themen frühzeitig einfliessen, beispielsweise bei Arealentwicklungen oder in Wettbewerbsverfahren», führt die AfS-Direktorin aus. Als grosse Chance für Areale, die verdichtet werden, sieht Gügler insbesondere das Gestalten einer attraktiven, grünen Umgebung. Schon 2014 zeigte die kantonale Studie «Akzeptanz der Dichte», dass die Bevölkerung Verdichtung dann befürwortet, wenn dabei Mehrwerte geschaffen werden. Mehr Grün- und Freiräume sind also zentrale Faktoren für die Qualität einer Innenverdichtung. Auch GSZ-Direktorin Bräm betont: «Jede Veränderung bietet die Möglichkeit, das Vorhandene zu verbessern, das Volumen des Siedlungskörpers zu bündeln und die Umgebung aufzuwerten.» Eine Bautätigkeit, egal wie klein, ermögliche die Anpassung an den Klimawandel.

Hitzemindernde Elemente sind auch bei baulichen Veränderungen im öffentlichen Raum zu berücksichtigen. Verwaltungsintern ist dazu noch enger zusammenzuarbeiten. So koordiniert das Tiefbauamt sämtliche Strassenbauprojekte mit den Bedürfnissen der übrigen Verwaltungseinheiten, den Departementen, Betrieben und Werken. Für Simone Rangosch, Direktorin des städtischen Tiefbauamts (TAZ), gehört das Aushandeln von Interessen zu jedem Projekt dazu: «Im öffentlichen Raum treffen immer vielfältige Ansprüche aufeinander, die zum Teil auch in Konkurrenz stehen.» Der Ausbau und die Erhaltung von öffentlicher Infrastruktur, sei es nun für das Fernwärmenetz oder die Erneuerung von Tramgleisen, geben oft die Rahmenbedingungen vor. Bestehende Unterbauungen und Werkleitungen können das Pflanzen von Bäumen als hitzemindernde Massnahme erschweren. Zusätzliche Normen würden bei diesen Abwägungen nur bedingt helfen und es gar erschweren, gute Lösungen zu finden. Rangosch führt aus: «Wir arbeiten mit jedem Projekt auf eine bessere Klimaanpassung hin. Ein allgemeingültiges Rezept, das für alle Räume passt, gibt es nicht: Jede Strasse und jeder Platz ist anders und muss für sich angegangen werden.»

«Um in der Verwaltung etwas zu erreichen, braucht es Ziele, die die gemeinsame Richtung vorgeben, und konkrete Projekte, die die Ämter selbstständig umsetzen», sagt auch Christine Bräm. «Wir wissen zum Beispiel, dass Bäume eine hervorragende Kühlungswirkung auf ihre direkte Umgebung haben, und wollen deshalb den Anteil der Stadtfläche, die von Bäumen beschattet ist, bis 2050 signifikant erhöhen: von heute 17 auf 25 %» (vgl. «Die Stadt will verdichten, auch ihre Baumkrone»). Das sei aber nur zu erreichen, wenn alle Akteure in den Departementen jedes Vorhaben dahingehend überprüfen.

-> Praxisbeispiel Entwässerung: «WolkenWerk»
Selbst Hochhäuser finden Halt in einer kühlenden Schwammstadt: Wie das funktioniert, zeigt eine Grossüberbauung in Zürich-Nord.

Die öffentliche Hand kann in ihren unterschiedlichen Rollen einen wesentlichen Beitrag zur Hitzeminderung leisten: Abgesehen vom öffentlichen Raum mit Plätzen, Parkanlagen und Strassen ist sie auch Grundeigentümerin, Bauherrin und Planungsbehörde bei öffentlichen Gebäuden. Sie besitzt Wohnsiedlungen, Schulhäuser und Spitäler und begleitet die Planung dieser Liegenschaften unmittelbar.

Bäume auf privatem Grund

Als kommunale Vollzugsbehörde ist die Stadtverwaltung dagegen eher mit den Grenzen ihrer Handlungsmöglichkeiten konfrontiert, sowohl gegenüber dem Kanton als auch gegenüber Privaten. So steht zum Beispiel jeder zweite Stadtbaum auf privatem Grund. Christine Bräm erklärt: «Für diese Bäume können wir wenig tun, es sei denn, sie stehen in einem der beiden Baumschutzgebiete der Stadt und verfügen über einen stattlichen Stammumfang.» Denn das heutige kantonale Gesetz gewährt keinen generellen Baumschutz und setzt Grenzabstände für Neupflanzungen fest, die selbst bei grösserer Veränderung nur selten zusätzliche Bäume erlauben.

Der Kanton hat seinerseits den Handlungsbedarf erkannt, die Revision «Klimaanpassung» des kantonalen Planungs- und Baugesetzes PBG ging 2021 in die Vernehmlassung. Sie kann frühestens im Jahr 2023 in Kraft treten. Vorgeschlagen sind eine ganze Reihe von Massnahmen, wie beispielsweise die Einführung eines allgemeinen Baumschutzes, Reduktion der Grenzabstände für Baumpflanzungen, Begrenzung der Unterbauung sowie Vorgaben zur Gebäudebegrünungen und Umgebungsplanung bei Baugesuchen.

Neu für die Raumplanung

Das Thema sei für die Raumplanung eigentlich noch neu, führt Wilhelm Natrup, Kantonsplaner und Leiter des Amts für Raumentwicklung im Kanton Zürich, aus. «Bei der letzten Revisionsrunde des Richtplans von 2014 waren weder Klimawandel noch Klimaanpassung von zentraler Bedeutung. Inzwischen sind die Relevanz und der Raumbezug aber offensichtlich.»

Während die Richtplanung nur behördenverbindlich ist und von Grundeigentümern vor allem als Hinweis verstanden werden darf, führen erst die beantragten Anpassungen in der laufenden PBG-Revision zu verbindlichen Vorgaben. Die Gemeinden können daraus eigene Ordnungsanträge ableiten und private Eigentümerschaften in die Pflicht zur Hitzeminderung nehmen. «Dürfen statt Zwang» lautet die Devise für die kantonale Gesetzesrevision: «Wir schaffen die Grundlagen, damit Gemeinden bei Bedarf handeln können, aber nicht müssen», so Natrup. Für städtische Gebiete und Kernzonen sei die Klimaanpassung dringend. Ländliche Regionen stehen bei der Innenentwicklung vor anderen Herausforderungen.

-> Praxisbeispiel Städtebau: Josef-Areal
Die Kehrichtverbrennungsanlage in Zürich-West ist Geschichte. Die Stadt bereitet nun planerisch die nachhaltige und klimaneutrale Zukunft auf dem frei gewordenen Gelände vor.

Bis die kantonale Revision vollzogen und die kommunalen Vorgaben daran angepasst sind, werden weitere Jahre verstreichen. So viel Geduld haben die Fachpersonen in der Stadt Zürich aber nicht: «Wir wollen nicht bis zur nächsten Revision der Bau- und Zonenordnung (BZO) warten. Schon jetzt müssen wir alles Mögliche dafür tun», sagt Katrin Gügler von der Stadt Zürich. «Wir müssen sowohl als Vorbild vorangehen als auch die Beratung und Unterstützung privater Bauherrschaften ausbauen.» Auch für Simone Rangosch ist wichtig, die Privaten mit ins Boot zu holen: «Wir können in Sachen Klimaanpassung nicht alles auf öffentlichem Grund abfangen; das reicht nicht aus.» Tramlinien, Velos und der motorisierte Verkehr beanspruchen auch künftig den Strassenraum. Und Märkte, Feste oder die Gastronomie bevorzugen weiterhin meist versiegelte Plätze.

Klima im Wohnumfeld

Auch private Hinterhöfe sind zentrale Elemente einer Umgebung, die flächendeckend klimaangepasst werden soll. Ein angenehmes Klima im direkten Wohnumfeld stellt sicher, dass die nächtlichen Temperaturen stimmen, die für Gesundheit und Wohlbefinden entscheidend sind. Ideal sind auch hier Massnahmen mit mehrfach positiver Wirkung, wie UGZ-Direktor René Estermann ausführt: «Eine naturnahe und vielfältige Begrünung schafft tagsüber ein angenehmes Mikroklima; sie vermeidet eine übermässige Erhitzung, die nachts abstrahlt. Und zu guter Letzt verbessert sie die Biodiversität – wir haben also mehrere positive Effekte mit derselben Massnahme.» Wenn nun auch der Untergrund gut geplant werde, können Bäume mit grossen Kronen wachsen, das halte Regenwasser zurück und erhöhe den lokalen Verdunstungseffekt. «Das fördert wiederum eine Abkühlung der Umgebung und wirkt sich sowohl bei Starkregen als auch bei Trockenheit positiv aus.»

Auch Christine Bräm erkennt grossen Handlungsbedarf auf privaten Flächen: «Wir wissen, was auf uns zukommt, und wir wissen, was zu tun ist. Aber wir können es von den Privaten nicht verbindlich einfordern.» Stattdessen seien diese aktiv zu informieren, aufzuklären und zu beraten. «Wenn wir das nicht leisten, verlieren wir wertvolle Zeit.»

Seit die Hitzeminderung in den Reigen der städtebaulichen Anforderungen aufgenommen wurde, sind schon einige Jahre verstrichen. Hat sich das Stadtbild in dieser Zeit bereits verändert? Die Dynamik und die Komplexität der städtebaulichen Aufgaben nimmt zu: Neben der Hitzeminderung stehen weitere Umweltthemen wie Schwammstadt und Biodiversität im Fokus, aber auch die Verkehrswende, nachhaltiges Bauen, der Umgang mit dem Bestand und sozialpolitische Anliegen wie bezahlbares Wohnen fordern eine integrale und abgestimmte Herangehensweise seitens der Stadtverwaltung, die noch eher spärlich
zu erkennbaren Resultaten führt.

Der eigentliche Paradigmenwechsel vollzieht sich in der Planung, und passiert weniger auf der inhaltlichen als auf der organisatorischen Ebene. Katrin Gügler erläutert: «Wir haben einerseits den gemeinsamen Wissenszuwachs und die inhaltlichen Erkenntnisse der Fachplanung Hitzeminderung. Gleichzeitig finden wir neue Antworten auf die Frage: Wie packen wir eine derart grosse und neue Aufgabe an?» Davon profitiert die Verwaltung nun auch bei anderen Themen, die eine enge Zusammenarbeit erfordern.

«Wir haben inzwischen interdepartementale Gremien geschaffen. Sie helfen bei schnellen, stufengerechten Entscheidungen», führt Christine Bräm aus. «Wir stehen vor neuen und sehr komplexen Aufgaben, für die wir entsprechende Strukturen brauchen, um die Akteure einzubinden und gute Lösungen zu finden.» Dafür müsse man auch die verschiedenen Ebenen mitdenken: die Fachebene, auf der alles vorhandene Wissen zusammengetragen wird und alle Anliegen eingebracht werden, und ein Gremium, das verbindliche Entscheide fällt. «Sobald sich ein Interessenkonflikt zuspitzt, braucht es eine Ebene mit Entscheidungskompetenz, die sorgfältig abwägt und hinterfragt, aber auch Prioritäten setzt.» diese Entscheide werden erfahrungsgemäss auch akzeptiert und von allen getragen: «Es braucht saubere Grundlagen, sorgfältige Abwägung und schliesslich einen verbindlichen und nachvollziehbaren Entscheid», sagt Christine Bräm. Katrin Gügler ergänzt: «Und es braucht den gemeinsamen Willen aller Beteiligten, nicht nur für das eigene Anliegen zu kämpfen, sondern für die beste Lösung.»

Dieser Artikel ist erschienen im Sonderheft «Hitzeminderung».

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