Die Stadt will Ver­dich­ten, auch Ih­re Baum­kro­ne

Praxisbeispiel – Aussenraum

Ein Viertel des Siedlungsgebiets soll von Baumkronen überdeckt werden. So will Grün Stadt Zürich dieses Bepflanzungsziel erreichen: eine Planungshilfe für Privateigentümer.

Publikationsdatum
15-06-2022

«Die beste Zeit, einen Baum zu pflanzen, war vor zwanzig Jahren. Die nächstbeste Zeit ist jetzt», besagt ein Sprichwort, dessen Herkunft nicht genau geklärt ist. Daraus abzuleiten, das aktuelle Tun sei auch massgebend für die künftige Qualität einer Stadt, trifft sicher zu. Spaziergängerinnen, Passanten und Pendlerinnen wissen oft instinktiv, was damit gemeint ist: Das grüne Kronendach grosser Stadtbäume hat einen wesentlichen Einfluss auf das Wohlbefinden und die räumliche Qualität in einem Quartier. Die Baumkronenbedeckung ist deshalb der effizienteste Beitrag zur Hitzeminderung an einem heissen Sommertag. Neben der Anzahl an Bäumen schaffen gute Standortbedingungen die Voraussetzung zum Wachsen. Grosse Bäume spenden viel Schatten. Studien zeigen, dass ein durchschnittlicher Kronenbedeckungsgrad von etwa 30 %, bezogen auf ein Quartier, von den Anwohnenden als angenehm empfunden wird.

Anhand von Befliegungsdaten konnte der Kronenbedeckungsgrad für die Siedlungsfläche der Stadt Zürich ermittelt werden. Der Wert liegt bei etwa 17 %. Auffällig ist, dass vor allem Gebiete mit hohem Erwärmungsrisiko einen geringen Kronenbedeckungsgrad verzeichnen; er liegt teilweise unter 10 %.

Richtwerte für die Baumkronenbedeckung

Bis 2050 will die Stadt Zürich den Kronenbedeckungsgrad im Siedlungsgebiet auf 25 % erhöhen. Diese Massnahme soll sowohl die Hitze mindern als auch die Biodiversität fördern und nicht zuletzt das Stadtbild begrünen. In derzeit gering durchgrünten Gebieten ist der Kronenbedeckungsgrad zu erhöhen; in stärker durchgrünten Gebieten ist er mindestens zu erhalten. Unter anderem legt die Stadtverwaltung Richtwerte fest, die für den Kronenbedeckungsgrad in unterschiedlichen Frei- und Siedlungsräumen gelten sollen. Für öffentliche Parkanlagen, Aufenthaltsplätze, Strassenräume und Schulanlagen sind die Werte bindend. Für den Privatgrund, der meist mit Einfamilienhaussiedlungen, Blockrandbauten oder grossen Gewerbebauten unterschiedlich bebaut ist, sind die Richtwerte als Empfehlung zu verstehen.

Hergeleitet werden die Richtwerte anhand von Fachliteratur und einer Abschätzung der mittelfristigen Entwicklung des Kronenbedeckungsgrads vor Ort, basierend auf eigenen guten Erfahrungen in den Zürcher Stadtquartieren.

Richtwerte in Neuplanungen festlegen

Im Vorfeld eines Planungsverfahrens wird ein Richtwert ermittelt, der den Baumbedeckungsgrad für die nächsten 25 Jahre vorgeben soll. Die Planungsträger können dadurch geeignete Baumstandorte und Baumarten in ihrem Perimeter sicherstellen und selbst entscheiden, inwiefern Neupflanzungen oder ein Baumerhalt erforderlich sind. Zu beachten ist dabei: Je grossflächiger ein Gebäudeabdruck wird, umso ambitionierter ist es, gleichzeitig eine hohe Kronenbedeckung zu erreichen. In gemischt genutzten Gebieten wie Zentrums- oder Industriezonen ist beispielsweise ein Kronenbedeckungsrichtwert von 15–20 % ambitioniert, weil die Gebäude jeweils bis zu 50 % der Parzelle abdecken.

Richtwerte in Neuplanungen sicherstellen

Wie gross ein Baum in 25 Jahren werden kann, hängt auch von der Art und vom Standort ab. In jedem Fall gilt: Je kleinwüchsiger die Pflanze und je schlechter der Grund, umso niedriger ist die erwartbare Grösse. Die folgenden Empfehlungen zeigen, mit welchen Massnahmen sich der Baumkronenbedeckungsgrad bei Planungsverfahren und Neubauprojekten positiv beeinflussen lässt:

  • Erhalt und Einbezug bestehender Gehölze und Bäume: konsequenter Baum- und Wurzelschutz in der Bauphase frühzeitig mit allen Gewerken optimieren, Bodenverdichtung vermeiden.
  • Baumstandorte sind so zu optimieren, dass Bäume eine hitzemindernde Krone entwickeln, gemäss Faustformel: 1 m2 braucht 0.75 m3 im Boden; zusätzlich ist die Wasserspeicherung mithilfe von Retention und Versickerung vor Ort zu optimieren.
  • Optimieren von Tiefgaragen mit folgenden Strategien: a) Tiefgarage unter dem Gebäude platzieren; b) bei grosser Tiefgarage sind Aussparungen in der Abdeckung vorzusehen; c) eine ausreichende Überdeckung in Abstimmung mit Statik sichern; zum Beispiel eine 1.5 m mächtige Überdeckung mithilfe von punktueller Geländemodellierung.
  • Bäume hitzemindernd anordnen, z. B. dunkle Belagsflächen verschatten oder Süd- bis Westfassaden eines Gebäudes beschatten (in Abstimmung mit der natürlichen Belichtung des Innenraums).
  • Baumgruppen und zusammenhängende Kronenvolumen sind gegenüber vereinzelten Baumpflanzungen zu bevorzugen.
  • Bei grosszügigen Platzverhältnissen sind mehrstufige Bepflanzungen, mit Sträuchern bis hin zur Krautschicht, als Unterpflanzungen anzustreben.
  • Baumartenbestand diversifizieren: Ab fünf Baumarten sinkt das Risiko gegenüber vorzeitigen Ausfällen.
  • An ungünstigen Standorten wie auf Tiefgaragen oder im Strassenraum sind schnellwüchsige, resiliente Baumarten zu bevorzugen.
  • Waldbauliche Prinzipien beachten: mehr Bäume pflanzen und sukzessive entnehmen und auslichten; Pionierbäume wachsen schnell und sorgen für Schatten, während langlebigere Zielbaumarten diese Zeit für ihr Wachstum nutzen.

-> Zum Hauptartikel «Eine Abkehr von Routinen im Infrastrukturbereich».

Dieser Artikel ist erschienen im Sonderheft «Hitzeminderung».

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