«Wir ha­ben den Gor­di­schen Kno­ten ge­lö­st»

Im April 2022 stimmen die SIA-Delegierten über den Schlussentwurf der revidierten SIA 144 «Planerwahlverfahren» ab. Daniel Meyer, SIA-Vizepräsident, Alain Oulevey, Mitglied im SIA-Fachrat Vergabewesen, und Kommissionsmitglied Ron Edelaar blicken auf den Revisionsprozess zurück und ordnen das Ergebnis ein.

Data di pubblicazione
09-02-2022


SIA: Die Revision der SIA 144 steht kurz vor dem Abschluss. Was leistet die Ordnung?

Daniel Meyer: Die revidierte SIA 144 ist die Ordnung für Planerwahlverfahren. Sie regelt die leistungsorientierte Beschaffung. Das bedeutet, die Bauherrschaft sucht die beste Leistung und das geeignetste Team für eine Aufgabe. Die meisten Projekte werden auf diese Art ausgeschrieben. Noch fehlen aber Richtlinien, die die Interessen der Planerinnen und Planer genügend berücksich­tigen. Die
SIA 144 füllt diese Lücke und verdeutlicht die Haltung des Vereins.

Alain Oulevey: Neben der leistungsorientierten Beschaffung gibt es zwei weitere Verfahren für eine lösungsorientierte Beschaffung: den Wettbewerb nach SIA 142 und den Studienauftrag nach SIA 143. Sie kommen zur Anwendung, wenn Auftraggebende die ideale Lösung für eine Aufgabe suchen. Wettbewerb und Studienauftrag liefern gute Resultate. Die Bauherrschaft soll jedoch für jeden Auftrag das angemessene Beschaffungsverfahren wählen. Deshalb müssen wir neben lösungsorientierten Verfahren auch eine Ordnung für die faire, leistungsorientierte Beschaffung bereitstellen.

Ron Edelaar: Genau. Die drei Verfahren sollen sich nicht konkurrenzieren. Der Schlussentwurf der Ordnung enthält eine Übersicht, in welchen Punkten sich die SIA 142, 143 und 144 unterscheiden. Damit haben Auftraggebende eine Grundlage, um sich am entsprechenden Beschaffungsverfahren zu orientieren.


SIA: Öffentliche Bauherrschaften sind verpflichtet, dem vorteilhaftesten Angebot den Zuschlag zu geben. Was heisst das?

Oulevey: Seit Januar 2021 ist das revidierte Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) in Kraft. Es hält den Paradigmenwechsel in der Beschaffung gesetzlich fest: Das vorteilhafteste Angebot erhält den Zuschlag und nicht, wie bisher üblich, das wirtschaftlichste. Die Bauherrschaft ist also angehalten, qualitative Faktoren stärker zu gewichten. Mit der revidierten SIA 144 geben wir den Auftraggebenden ein Instrument für die Umsetzung an die Hand. Für uns Planende, die qualitativ arbeiten möchten, ist das eine Chance.

Meyer: Die Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherren (KBOB) hat auf Auftrag des Bundesrats Leitfäden für Planerwahlverfahren herausgegeben. Die revidierte SIA 144 geht einen Schritt weiter und ist präziser formuliert. Der SIA hat klare Erwartungen, wie solche Verfahren stattfinden sollen.


SIA: Die SIA 144 geht einen Schritt weiter – was heisst das?

Edelaar: Wir sind regelmässig im Austausch mit der KBOB. Das Abstimmen der beiden Regelwerke ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Marktdurch­dringung. Der Kommission war es ein Anliegen, mit der SIA 144 Kon­kretisierungen im Sinn der Pla­ne­rinnen und Planer zu schaffen.
Zum Beispiel das Zwei-Couvert-Verfahren: Es stellt sicher, dass der Preis die quali­tativen Faktoren bei der Wahl des Planerteams nicht verzerrt. Das Qualitäts- und das Preisangebot werden in zwei separaten «Couverts» eingereicht. Das Qualitätsangebot wird zuerst unab­hängig vom Preis bewertet. Erst anschliessend wird das Preis­angebot aus dem zweiten «Couvert» in die Bewertung miteinbezogen. Die Gewichtung des Preises ist in der Regel zwischen 20 und 25 % der Gesamtbeurteilung anzusetzen, sodass die Qualität gegenüber dem Preis in den Vordergrund rückt. Dem Bewertungsgremium kommt bei der Qualitätssicherung eine zentrale Rolle zu, entsprechend gibt die SIA 144 eine Empfehlung für die Zusammensetzung ab.

Meyer: Die Ordnung verlangt für die Sicherstellung der Qualität eines Angebots einen sogenannten «Zugang zu der Aufgabe». Das kann beispielsweise eine Arbeitsprobe sein. So kann das Bewertungsgremium die intellektuelle Leistungsfähigkeit der Bewerberinnen und Bewerber beurteilen.


SIA: Es wurde erwähnt, dass die Ordnung die Interessen der Planenden vertritt. Welchen Mehrwert bringt sie den Architektinnen und Architekten?

Edelaar: Zunächst ist es für uns von Vorteil, dass die verschiedenartig etablierten Planerwahlverfahren mit der Ordnung schweizweit formalisiert und bewertet werden können. Mithilfe dessen kann sich der Markt darauf einstellen. Eine Vermischung von lösungs- und leistungsorientierter Beschaffung führt zu diffusen Resultaten. Deshalb zeigt die Ordnung SIA 144 dazu eine klare Abgrenzung auf.


SIA: Und den Ingenieurinnen und Ingenieuren?

Meyer: Ingenieure sind mit anspruchsvollen Aufgaben im leistungsorientierten Beschaffungsverfahren konfrontiert. Sie bilden die Grundlage für die meisten Aufträge und sind üblicherweise vom Preis getrieben. Die revidierte Ordnung ist für Ingenieurinnen eine Chance, nach der intellektuellen Leistungsfähigkeit beurteilt zu werden.

Edelaar: Ja, das war aus meiner Sicht ein zentraler Punkt: Die Kommission hat den Gordischen Knoten gelöst und eine Lösung für alle Disziplinen des SIA gefunden.


SIA: Angenommen, die SIA-Delegierten erteilen im April die Publikationsfreigabe. Wie geht es dann weiter?

Meyer: Die revidierte Ordnung ist für den SIA ein wichtiges Geschäft, dem der Vorstand grosse Aufmerksamkeit widmet. Nach der Delegiertenversammlung geht die Arbeit weiter.

Oulevey: Die Ordnung muss verstanden, angewendet und gelebt werden. Das erreichen wir nur, wenn sich der SIA in seiner Gesamtheit aktiv dafür einsetzt. Den SIA-Mitgliedern kommt eine verantwortungsvolle Rolle zu. Zum einen in beratender Funktion für die Bauherrschaften, um die angemessene Beschaffungsform zu wählen, und zum anderen als Mitglieder der Bewertungsgremien. Damit sie sich das entsprechende Wissen aneignen, muss der SIA Instrumente wie beispielsweise Weiterbildungsformate
und Wegleitungen zur Verfügung stellen. Zudem bekommen die Marktbeobachtungsstellen ein Werkzeug für die Bewertung von leistungsorientierten Verfahren. Um eine breite Anwendung der Ordnung zu erreichen, sind also drei Elemente wichtig: Unterstützung, Ausbildung und Markt­­beobachtung. Sobald die Ordnung in der Praxis angekommen ist, können wir die Erkenntnisse aus der Anwendung in die Weiterentwicklung fliessen lassen.

Gesprächspartner

 

Daniel Meyer ist Vizepräsident des SIA und begleitet seit 2021 den Revisionsprozess der SIA 144. Er ist Partner im eigenen Ingenieurbüro in Zürich, Luzern und Lausanne.

 

Alain Oulevey ist Mitglied im Vorstand des SIA und seit 2021 im Fachrat Vergabewesen. Der Fachrat berät den Vorstand strategisch zum Beschaffungswesen.

 

Ron Edelaar ist Architekt und Mitglied im SIA und im BSA. Seit 2019 hat er Einsitz in der Kommission SIA 144.

Das Wichtigste zum Prozess
Die Ordnung SIA 144 regelt leistungsorientierte Beschaffungsverfahren. Sie ist seit 2013 in Kraft, konnte sich in der Praxis jedoch nicht durch­setzen. Seit 2017 ist die Ordnung in Revision mit dem Ziel einer BöB-konformen Ausrichtung. Der von der Kommission SIA 144 vorgelegte Schlussentwurf wurde von der Zen­t­ralkommission für Ordnungen am 25. Januar 2022 freigegeben. An der Delegiertenversammlung im April 2022 entscheiden die SIA-Delegierten über die Freigabe zur Publikation.

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