Demonstrativbau aus Schweizer Vollholz
Bauökologie liegt im Trend. Der Verzicht auf synthetische Materialien und untrennbare Strukturen verstärkt das Interesse an Vollholzarchitektur. Küng Holzbau hat sich einen Verwaltungsbau errichten lassen, der Anschauungsobjekt für das eigene Vollholzsystem ist.
Alpnach, Kanton Obwalden, gut 15 km südlich von Luzern: Die Schreinerei Küng ist seit ihrer Gründung 1977 kontinuierlich gewachsen. Wurde sie zunächst angefragt, wenn jemand im Dorf eine Holzkonstruktion benötigte, hat sie sich inzwischen schweizweit einen Namen gemacht – das beweist die Tatsache, dass Peter Zumthor sein 2015 fertiggestelltes Ateliergebäude in Haldenstein von den Spezialisten erstellen liess. Seit gut zehn Jahren setzt Stephan Küng, der das Unternehmen in zweiter Generation führt, auf den präfabrizierten Vollholzbau: Holzpur heisst das System, das sich auf dem Markt etabliert hat.
Weniger Schwund und Schädlingsbefall
Grundelement von Holzpur sind massive, um die 21 cm starke Wandelemente aus in sieben Lagen kreuzweise übereinander gelegten Brettern. Diese bestehen aus Mondholz, das um Weihnachten herum vor Neumond geschlagen wird, wenn die Bäume am wenigsten Wasser führen. Schon Vitruv hielt fest, dass Bauholz am besten im Winter gewonnen wird. Von zusätzlicher Bedeutung sollen die Mondphasen sein: Nimmt der Mond ab, so zieht sich das Wasser aus dem Baum zurück, nach Neumond steigt es wieder in die Spitze.
Das bedeutet vor Neumond am wenigsten Schwund und eine Minimierung der Gefahr des Schädlingsbefalls. Wer natürlichen Ressourcen gegenüber ein eher instrumentelles Verständnis an den Tag legt, mag die Mondholz-Thematik als esoterisch abtun, doch jüngere Studien beweisen, dass die Phänomene, die über Jahrhunderte beim Holzschlag selbstverständlich berücksichtigt wurden, zutreffend sind.1 Und davon sind auch mehr und mehr Kundinnen und Kunden überzeugt, die keine Rahmenkonstruktionen wollen, keine Verbundwerkstoffe, sondern Holz pur.
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Das neue Verwaltungsgebäude im kleinen Gewerbegebiet – dort, wo Küng Holzbau seit jeher ansässig ist – behebt nicht nur die Raumnot des expandierenden Unternehmens, sondern ist zugleich Demonstrationsobjekt, Aushängeschild und Werbung für die Vollholzkonstruktion. Entworfen wurde das Gebäude vom Architekturbüro Seiler Linhart, das seit 2009 mit Küng zusammenarbeitet. Auf erste Holzbauprojekte folgte 2013 der Bau einer neuen Werkhalle für die Firma – und 2018 das private Wohnhaus für Stephan Küng, das in mancherlei Hinsicht als Vorstufe des Verwaltungsgebäudes zu verstehen ist.
Diverse Holzarten, je nach Eignung
Der viergeschossige, fast quadratisch wirkende Bau bietet Raum für 20 projektleitende Ingenieure mit Einzelbüros und umfasst überdies Besprechungsräume, eine Cafeteria im Erdgeschoss und zuoberst einen Showroom. Das äussere Erscheinungsbild wird bestimmt durch die umlaufenden, an Zugstangen abgehängten und nach oben hin weiter auskragenden Balkone, die an die Lauben der historischen Innerschweizer Häuser erinnern.
Die vorgehängten Fassadenelemente bestehen aus Eiche; die Fassade wurde mit sägerohem Fichtenholz verschalt. Die Vollholzwände bestehen aus zwei Elementen mit jeweils sieben kreuzweise wie bei Sperrholz übereinander gelegten Bretterschichten von 3 cm, sodass sich die Gesamtwandstärke auf 42 cm addiert. Die Technik der Vollholzsysteme ist nicht unumstritten: Kritiker führen an, auch mit der nachwachsenden Ressource Holz sollte man sparsam umgehen, und aus der Menge an Material, die für ein Vollholzgebäude verbraucht werde, könnte man mehrere konventionelle Holzbauten in einer gedämmten Rahmenbauweise erstellen.
Für die inneren Bretterlagen gelangt bei Küng Sekundärholz aus Fichte zur Anwendung. Dabei handelt es sich um Bretter von niederer Qualität, die sonst zu Holzfaserplatten verarbeitet oder thermisch verwertet würden. Wie die Holzpur-Elemente hergestellt werden, lässt sich in der Werkhalle gegenüber beobachten: Auf einer 54 m langen Produktionsstrasse mit drei Portalen erfolgen Zuschnitt und Konfektionierung weitgehend automatisiert.
Liebe zum Detail und Flexibilität
Eindrücklich ist die doppelgeschossige Eingangshalle mit Rezeption rechts und Besprechungstisch links; vermittels einer Lattenstruktur öffnen sich die Konferenzräume im Obergeschoss zur Halle. Und sofort, wenn man das Gebäude betritt, tritt unerwartet das Zentrum des Gebäudes in Erscheinung, ein alle Geschosse verbindender Erschliessungskern aus sandgestrahltem Beton. Das Cheminée im Eingangsbereich wird morgens von der ersten Person angezündet; es verströmt eine wohnliche Atmosphäre – und so verwundert es nicht, dass der Sumpfkalkboden von den Mitarbeitenden selbst gestampft wurde.
Aus der Not einer nicht aus Holz bestehenden Aussteifung machten die Architekten eine Tugend, indem sie die Betonstruktur des Kerns in eine Skulptur verwandelten: Die Ecken sind expressiv abgekantet, und runde Aussparungen in den Treppenläufen an den Wänden – die Inspiration durch das Skandia-Teatern in Stockholm von Sigurd Lewerentz verschweigt Søren Linhart nicht – geben den Blick mal in das Geschoss darunter, mal in das darüber frei.
Die Trennwände im Innern sind nicht tragend und gewähren die gewünschte Flexibilität, sodass die Büros, die sich mit Schiebetüren zum Gang um den Kern schliessen lassen, auch anders konfigurierbar sind. Seiler Linhart entwarfen das Mobiliar und entwickelten ein Stecksystem für Schrankmöbel. Auch dieses kommt ohne Leim und Schrauben aus, und die Mitarbeitenden können es je nach Bedarf zusammenstellen und verändern. Alle Türen und Möbel im Kern sind aus schwarz geölter Eiche. Alles Übrige ist in unbehandelter Weisstanne und Fichte ausgeführt.
Kurz und gut: Die Präzision und die Liebe zum Detail, mit der Seiler Linhart zu Werk gingen, sind bewundernswert und betreffen die Konstruktion und die baubiologisch bestimmte Materialwahl ebenso wie Innenausbau und Möblierung.
Dieser Artikel ist erschienen im Sonderheft «Stadt aus Holz – Büros, Werkhöfe, Ateliers und andere Arbeitsorte». Weitere Artikel zum Thema Holz finden Sie in unserem digitalen Dossier.
Anmerkung
1 Z. B. Ernst Zürcher, «Trocknungs- und Witterungsverhalten von mondgefälltem Fichtenholz», in: Schweizerische Zeitschrift für Forstwesen, Jg. 154 (2003), Nr. 9, S. 351–359.
Am Bau Beteiligte
Bauherrschaft: Küng Holzbau, Alpnach
Architektur: Seiler Linhart, Luzern
Holzbau: Küng Holzbau, Alpnach
Baumeisterarbeiten: B + B Bau, Sachseln
Fenster: Gawo Gasser, Wolhusen
Elektroinstallation: Ettlin, Alpnach
Gebäude
Geschossfläche Büros: 762 m2
Ausstellungsraum: 242 m2
Preis: Prix Lignum, Region Zentrum, Anerkennung
Holz und Konstruktion
Balken: 60 m3, Eiche (Schweiz)
Decken und Riemenboden: 180 m3, Buche (Schweiz)
Aussenwände und Dachelemente: 370 m3, Fichte / Tanne (Schweiz), Holzpur
Daten und Kosten
Fertigstellung: 2019
Bauzeit: 1.5 Jahre
Elemente Produktion/Aufrichte: 6 Wochen
Kosten: nicht kommuniziert