«Die Werk­statt der Zu­kunft ist ver­ne­tzt»

Digitale Technologien verändern die Holzbranche. Das Institut für digitale Bau- und Holzwirtschaft an der Berner Fachhochschule entwickelt in der «Werkstatt der Zukunft» Modelle für Produktions- und Arbeitsprozesse.

Data di pubblicazione
28-10-2021

Herr Baumann, ist das holzverarbeitende Gewerbe in der Schweiz für die zukünftigen Herausforderungen gerüstet?

Rolf Baumann: Mit viel Wald und dem Rohstoff Holz vor der Tür haben wir gute Voraussetzungen. Ausserdem verfügt die Schweiz über viel Know-how und technisch gut ausgestattete Betriebe. Schwierig ist die Struktur der Branche mit 80 000 Mitarbeitenden in 10 000 Unternehmen. Alle Unternehmen werden sich in eine von vier Richtungen bewegen. Einige können auf Grösse setzen und eine starke Marktstellung anstreben. Andere werden sich schleichend oder abrupt zurückziehen. Spezialisierung mit einer Nischenstrategie ist eine weitere Möglichkeit. Der vierte Weg ist besonders spannend: Kooperation.

Weshalb spannend?

Kleine Firmen können gemeinsam ­Projekte stemmen, die Einzelne überfordern. Kooperationen können horizontal erfolgen, wenn mehrere Holzbauer gemein­sam ein Grossprojekt in Angriff nehmen, oder vertikal über die Verarbeitungskette vom Kunden zurück bis zur Rohstoff­gewinnung. Interessant sind die Anforderungen projektspezifischer, flexibler Kooperationen. Firmen können aber auch losgelöst davon kooperieren, indem sie gemeinsam Spezialisten anstellen, die sie sich allein nicht leisten könnten.

Verändert sich auch die Beziehung zwischen Kunde und Unternehmen?

Kunden erwarten vermehrt, dass sie ihr Produkt im Web konfigurieren und bestellen können. Ein persönlicher Austausch mit dem Hersteller findet nicht mehr unbedingt statt. Um virtuelle Platt- formen sinnvoll zu nutzen, muss man Grundprinzipien wie die Parametrik, die Vererbung und die Kombinatorik in den Konstruktionsprozess inte­grieren. Da ergeben sich neue Geschäftsmodelle.

Können Sie das erläutern?

Früher versuchten sich Schreinereien mit dem Qualitätsargument von der Konkurrenz abzuheben. Das ist heute kaum noch relevant, auch Discounter bieten Qualität. Aber ihr Sortiment ist beschränkt, während die Schreinerei individuelle Wünsche erfüllt. Wenn sich also die Schränke der Schreiner bezüglich Qualität kaum unterscheiden: Warum machen sie nicht eine gemeinsame Plattform, auf der ein Kunde seinen Schrank konfigurieren kann und eine hohe Gestaltungsfreiheit und ein tolles Einkaufserlebnis hat? Wenn Prozesse und Prinzipien der Her­stellung gelöst sind, können die Schreiner beliebige Schränke massanfertigen.

Voraussetzung für solche Kooperationen, Synergien und Fertigungsprozesse ist die Vernetzung. Wie will die BFH diese fördern?

Unsere Werkstatt der Zukunft ist eine offene Entwicklungs-, Test- und Lernumgebung im Originalmassstab. Wir erproben die Vernetzung – sowohl betriebsintern zwischen Menschen, Maschinen und Erzeugnissen als auch  gegen aussen mit der Einbindung von Kunden und Lieferanten, im Bauwesen auch in Interaktion mit BIM.

Ist Vernetzung heute in der betrieblichen Praxis noch ein Fremdwort?

Nein, aber die Schwierigkeiten liegen bei den Schnittstellen zwischen meist ­pro­prietären Systemen verschiedener Hersteller und der Verwendung von Daten mit unterschiedlichen Strukturen. Zudem ist Vernetzung eine Daueraufgabe. Handwerksbetriebe sind mit solchen IT-Auf­gaben überfordert. Für sie wollen wir praxisnahe Lösungen entwickeln.

Wie gehen Sie dabei vor?

Wir bearbeiten einzelne Problem­stellungen und integrieren sie in das Gesamtsystem. Wir haben zum Beispiel ein System der Triangulierung entwickelt, um beliebige Formen aus Dreiecken zusammenzubauen. Bisher hätte man die Drei­ecke zeichnen und berechnen müssen. Jetzt geht das hochflexibel auf einer grafischen Oberfläche. Man modelliert eine Form, und das Programm errechnet die Dimen­sionen und Bearbeitungen aller Dreiecke, die eine Maschine dann herstellt. Damit können Firmen beliebige Formen effizient und kostengünstig realisieren.

Gibt es auch ein Beispiel für die Vernetzung aller Geschäftsprozesse?

Hier geht es um das Zusammenspiel zwischen Produktplanung (CAD), Geschäftsprozessen (ERP) und Fertigungsprozessen (CAM). Im Rahmen eines Innosuisse-Projekts mit Softwarepartnern haben wir das Modell eines Nachrichtensystems entwickelt. Da liefern die Systeme Statusinformationen an einen zentralen Server und können dort umgekehrt Informationen abfragen. So können Systeme erstmals untereinander Nachrichten austauschen. Das CAD kann sich zum Beispiel im ERP über die Materialbestellungen informieren.

Sind KMU mit der Digitalisierung und Vernetzung nicht überfordert?

Wir haben ein Tool entwickelt, mit dem ein Unternehmen den Aufwand abschätzen kann, um Daten zu generieren. Zudem zeigt es das Optimierungspotenzial – also zum Beispiel, wie viel ich bei der Einsatzplanung jedes Jahr einsparen könnte. Das liefert mir Hin­weise, in welchem Bereich ich als Nächstes investieren sollte. Dabei bietet das Tool eine Orientierungshilfe. Es ist auf der Website der Initiative Wald & Holz 4.0 verfügbar.

Dieser Artikel ist erschienen im Sonderheft «Stadt aus Holz – Büros, Werkhöfe, Ateliers und andere Arbeitsorte». Weitere Artikel zum Thema Holz finden Sie in unserem digitalen Dossier.

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