«Auch der In­ge­nieur ent­wirft»

Im September 2021 findet das Internationale Symposium für Tragwerksplanung statt. Das Thema: «Entwurf» – zu Englisch «Conceptual Design». Der Fokus: Entwurf als Quintessenz einer gelungenen Planung. Die Organisatoren Aurelio Muttoni und Joseph Schwartz sprechen über die breite Bedeutung des Worts «Entwurf».

Data di pubblicazione
26-07-2021

Das diesjährige Internationale Symposium für Tragwerksplanung findet vom 16. bis 18. September 2021 in Attisholz statt. Die Gesellschaft für Ingenieurbaukunst unterstützt die dreitägige Veranstaltung.

Ihr Präsident Massimo Laffranchi und ihre Geschäftsführerin Clementine Hegner-van Rooden sprachen mit den verantwortlichen Organisatoren des Symposiums von EPFL und ETH Zürich, Aurelio Muttoni und Joseph Schwartz. Die beiden langjährigen Hochschulprofessoren sind zugleich profilierte Berufsfachleute, die innovative Tragwerke entwerfen.

Das Gespräch thematisierte die breite Bedeutung des Worts «Entwurf», den Gehalt des Ingenieurentwurfs unabhängig von der Massstäblichkeit sowie unerwartete, aber bewusst hervorgelockte Eingebungen. Die Diskussion zeigt, wie kreativ der Beitrag von Ingenieuren sein kann und wie relevant ihre Entwurfsarbeit für die Qualität eines Bauwerk ist.

 

Clementine Hegner-van Rooden: Herr Muttoni, Herr Schwartz, um zu verstehen, was Conceptual Design of Structures erreichen möchte, müssen wir zunächst einmal verstehen, was «Conceptual Design of Structures» eigentlich bedeutet.

Aurelio Muttoni: Conceptual Design of Structures heisst auf Deutsch ganz einfach «Entwurf».

Joseph Schwartz: «Entwurf» ist sogar das viel bessere Wort – ein gutes und schönes Wort.

Aurelio Muttoni: Die umständliche englische Übersetzung resultiert aus dem Problem, dass «design» im englischen Sprachgebrauch viel zu breit verstanden wird. Es kann sogar Bemessung heissen. Deshalb spricht man von «Conceptual Design», um den konzeptionellen Teil des Designprozesses klarer hervorzuheben.

Joseph Schwartz: Auch das Wort «Konstruktion» oder das Wort «Detail» haben das gleiche Problem der breiten Verständlichkeit oder eben der Mehrdeutigkeit. Bei «Design» allerdings ist das besonders ausgeprägt. Meint man das Resultat oder die Aktivität? «Entwurf» bringt man viel häufiger mit der Aktion in Verbindung; «Projekt» ist hingegen viel stärker auf das Resultat bezogen. Das sind wichtige Nuancen. Also müssen wir dem englischen Wort «design» noch etwas voranstellen – nämlich «conceptual». Erst dann entspricht die Aussage dem deutschen Wort «Entwurf».

 

Massimo Laffranchi: Was in allen Sprachen zu wenig zum Ausdruck kommt – mit Ausnahme des Deutschen – und was das Symposium thematisieren möchte, ist die schöpferische Tätigkeit, die hinter dem Entwurfsprozess steckt. Diese Arbeit erfolgt in der Regel im Dialog mit anderen Akteuren der Konstruktion. Darin profitieren die Projektbeteiligten voneinander.

Joseph Schwartz: Das ist die Kernessenz, die wir vermitteln wollen. Denn wir gehen davon aus, dass, wenn die Aktion des Entwerfens gut ist, auch das Resultat gut sein wird. Allerdings verabschieden sich die Bauingenieure relativ früh von der Baustelle, weil der Rohbau beendet und damit auch die bauingenieurspezifische Arbeit abgeschlossen ist. Der gesamte Innenausbau betrifft sie nur indirekt. Trotzdem beeinflussen sie ihn. So hört man von gut funktionierenden Planungsteams, dass jeder einzelne Beitrag an der finalen Struktur – nicht der Tragstruktur – letztlich nicht mehr auseinanderzudividieren ist. Keiner ist mehr in der Lage, den Input zu entschlüsseln – weder auf der chronologischen noch auf der inhaltlichen Ebene. 

Durch dieses Teamdenken – bei dem eben nicht eine oder zwei Personen ziehen und die anderen bremsen, sondern bei dem man versucht, die Qualität des Endprodukts gegenseitig hochzuschaukeln – entsteht ein Mehrwert für ein Bauwerk. Denn Bauen ist eine komplexe Angelegenheit, die immer komplizierter wird – es kommen die Betrachtungen der Energie und der Nachhaltigkeit hinzu. Jeder ist sich bewusst, dass das Endresultat nicht die Summe aus den besten einzeldisziplinären Beiträgen sein kann. Das bedingt aber, dass sich alle entwerfenden Planer zumindest teilweise gegenüber den anderen Disziplinen öffnen.

Aurelio Muttoni: Was Tragwerksentwurf bedeutet, ist im Fall des Brückenbaus vielleicht noch klarer. Allerdings ist auch hier eine Zusammenarbeit des Bauingenieurs mit Projektpartnern, die ihm wichtige Anreize geben, oft massgebend. Es ist beispielsweise nicht einfach, den Beitrag eines Architekten während des Entwurfs einer Brücke zu ermessen. In manchen Fällen ist es nur eine kritische Bemerkung oder eine Anregung während eines kurzen Gesprächs. Oft ist es sogar nur eine Frage in einer entscheidenden Phase des Projekts. Dennoch ist die Wirkung eminent und beeinflusst das Endergebnis massgeblich. Solche Fragen von guten Leuten sind im Entwurfsprozess enorm wichtig …

Joseph Schwartz: … weil der Input eine intellektuelle Leistung ist. Und deshalb muss diese Denkarbeit am Anfang des Entwurfs passieren. Die Arbeitsstunden sind sekundär. Im Gegensatz übrigens zu den Arbeitsstunden, die für ein Ausführungsprojekt aufgewendet werden müssen. Hier kommen die Planenden nicht darum herum, sehr viel Zeit zu investieren. Die intellektuelle Leistung hingegen ist eine wichtige Charakteristik im Entwurf, die eben dieses Qualität bringende gegenseitige Aufschaukeln ermöglicht. Die einzelnen in ihren Disziplinen starken Partner stellen die richtigen Fragen und geben die richtigen Antworten, indem sie verdeutlichen, welche Konsequenzen gewisse Entscheidungen haben. Das ist «Conceptual Design of Structures».

 

Massimo Laffranchi: Dieser kooperative Dialog ergibt sich nicht aus dem Delegieren einer Arbeit. Es ist eben keine Dienstleistung. Sonst könnte man die Gesamtaufgabe einfach in Teile zerlegen, vom Architekten das Design machen lassen, vom Bauingenieur dann die Tragkonstruktion bemessen lassen und dann alles zusammenfügen. Aber das wäre eben die falsche Konnotation des Begriffs. Dieser Dialog entsteht vielmehr aus der gesamten Betrachtung, aus zuweilen im ersten Blick «unpassenden», laienhaften und unkonventionellen Überlegungen – auch über seine eigene Fachkompetenz hinaus. Mit Gehör für den jeweils anderen Fachbereich. Und mit dem Vertrauen, frei sprechen zu dürfen.

Joseph Schwartz: Professor Bruno Thürlimann hat das immer wieder schön gesagt: «Drüber brüten!» Im Entwurf geht es nicht um die Frage der Stunden. Es ist eine intellektuelle Leistung, die auch intuitiv erfolgt. Lässt sich der Entwurf nie im Sinn eines Optimierungsprozesses erfassen und entsteht er in einer gegenseitigen Diskussion und mit Respekt vor dem Austausch von allesamt wichtigen Aspekten wie von selbst, dann ist das einfach nur schön.

 

Clementine Hegner-van Rooden: Welcher Teil der schöpferischen Tätigkeit – welcher intellektuelle Beitrag – liegt denn heute noch brach, der am Symposium aufgedeckt und vermittelt werden soll? Ist es das Hinterfragen? Das Lästigsein?

Aurelio Muttoni: Wir wollen zeigen, dass Inspiration aus ganz unterschiedlichen Quellen entstehen kann – aus der Geologie oder der Morphologie des Gebiets zum Beispiel. Ein aufmerksamer Zuhörer entwickelt daraus seine ganz eigene Kreativität und gibt dem Entwurf dadurch den relevanten Charakter. Es sind die Leidenschaft und die Neugier, die diese Quellen hervorrufen. Wir wollen junge und talentierte Ingenieure motivieren, dem kreativen, interessanten Teil unserer Arbeit genügend Zeit zu widmen.

Joseph Schwartz: Entscheidend ist, Fragen eben nicht als etwas Lästiges, sondern als treibende Kraft zu sehen. Bei Fragen geht es ja um unklare, offene Punkte, die zu sogenannten Problemen führen. Wir Bauingenieure sollten in der eigenen Disziplin ein Gefühl dafür entwickeln, was als Herausforderung durchzuboxen möglich und was grundsätzlich sinnlos ist. Was ist unverhältnismässig, und was ist mit einer sportlichen Leistung möglich? Das können viele Bauingenieure nicht so gut, und dieses Gespür sollte man stärker trainieren, um den Dialog am Tisch mit dem Projektpartner weiterführen und während weiteren Begegnungen vertiefen zu können.

Aurelio Muttoni: Das Gute und Motivierende ist, dass man dieses Gefühl und dieses intuitive Denken üben kann, indem die Erfahrungen geteilt werden und von solchen Projektprozessen gesprochen wird. Daher haben wir uns das Symposium so vorgestellt und strukturiert, dass ein hoher interdisziplinärer Austausch ermöglicht wird. Meiner Erfahrung nach sind auch Architekten daran interessiert zu verstehen, wie ein Tragwerk funktioniert. Vor allem, ob das Tragwerk für die gestellte Aufgabe tatsächlich zweckmässig ist oder «nur» so gerechnet, dass es die normativen Anforderungen erfüllt. Jede Bauingenieurin und jeder Bauingenieur soll sich bemühen, ehrlich zu sein und so zu arbeiten, dass ein für das Gesamtprojekt besseres Tragwerk entsteht und nicht eines, für das die eigene Verantwortung am kleinsten ausfällt. Wenn der Bauingenieur einzig daran interessiert ist, das optimale Kosten-Nutzen-Verhältnis anzustreben, dann hat er vermutlich nicht dieselbe Zielsetzung wie einige seiner Projektpartner.

 

Massimo Laffranchi: Dabei geht es auch um die Frage, welche Zielsetzung die Aufgabe hat. Geht es beispielsweise darum, die bestmögliche und zugleich noch wirtschaftlich tragbare Lösung bei beschränkten finanziellen Mitteln zu entwerfen, dann ergibt sich eine ebenso spannende Konstellation, in der wiederum alle mitspielen müssten. Das heisst noch nicht unbedingt, dass der Dialog schlechter funktionieren würde.

Aurelio Muttoni: Das ist richtig. Auch Zweckbauten sollten mit dem inspirierenden Prozess des Dialogs entstehen. Selbstverständlich unter anderen Kriterien. Sogar der Dialog mit den Unternehmungen kann «aufschaukelnd» sein – man möchte zusammen das beste Projekt so einfach und so billig wie möglich realisieren. Auch wenn das Projekt auf dem Papier nicht einfach aussieht, kann es für die Unternehmungen trotzdem eine interessante bzw. lukrative Umsetzung werden.

Joseph Schwartz: Gerade deswegen hat «Conceptual Design» mit allem zu tun, von der ersten Projektidee bis zur letzten Schraube. Erst dann können durchdachte Projekte auch tatsächlich in sich konsequent umgesetzt werden. Dieser umfassende Planungsansatz widerlegt die sich weltweit entwickelnde Entwurfskultur, wonach das eigentliche Entwurfsteam nur noch den Entwurf macht und Bilder fabriziert. Hier in der Schweiz sind wir in der privilegierten Lage, dass wir uns um die erste und ebenso um die letzte Phase des Projekts kümmern können. Ich entwerfe gern, bin gern auf der Baustelle und rede gern mit dem Polier. Wenn es auf dem Papier vorerst noch kompliziert aussieht und sich doch alles wie von Geisterhand ineinanderfügt, dann ist das enorm befriedigend.

Aurelio Muttoni: Wenn die Arbeit aufgeteilt wird – der Ingenieur ein Konzept entwickelt, dann eine Bauunternehmung ein Bauprojekt erstellt und die Ausführung von nochmals anderen Leuten übernommen wird –, verkompliziert sich das Projekt. Schliesslich führt diese Konstellation auch dazu, dass die Entwerfer keine neuen Ideen und Lösungen ausprobieren und – was noch viel verheerender ist – die Qualität leidet.

Joseph Schwartz: Dann entstehen oft nur noch 08/15-Lösungen, weil ansonsten die Retourkutschen kommen, die besagen, dass die Entwerfer Sachen entwickelt haben, die nicht möglich, nicht ausführbar und/oder zu risikobehaftet sind – finanziell, technisch oder was auch immer …

«Es wird immer wieder diskutiert, dass die Kontrolle der verantwortungsvollen Bauausführung nicht gut bezahlt werde und deshalb ausgelagert werden solle. Das ist Blödsinn!» 
Aurelio Muttoni

Aurelio Muttoni: Wir sollten dafür kämpfen, dass die Situation hier in der Schweiz so bleibt, wie sie ist. Es wird immer wieder diskutiert, dass die Kontrolle der verantwortungsvollen Bauausführung nicht gut bezahlt werde und deshalb ausgelagert werden solle. Das ist Blödsinn! Wenn der Ingenieur die Kontrolle der Ausführung anderen überlässt, so verschlechtert sich die Qualität des Bauwerks. Nicht unbedingt, weil die Kontrolle schlechter ist, sondern weil der Entwerfende viel vorsichtiger wird, kreative Lösungen vorzuschlagen. Innovation und Kreativität würde er bis zur Umsetzung selber weitertragen und selber verantworten müssen und vor allem aber auch dürfen.

 

Massimo Laffranchi: Dafür – dass der Bauingenieur bis zum Schluss zu seinem Objekt mit seinen initialen Gedanken stehen darf – möchte sich das Symposium zusammen mit der Gesellschaft für Ingenieurbaukunst stark machen. Wir Bauingenieure haben den Anspruch und auch den Willen, uns in der Ausführung bereichern zu lassen und uns in diesem Sinn weiterzubilden. Die Zutaten für den Dialog – die Neugier, die Fähigkeit zu vermitteln, die Kritikbereitschaft und die Aufnahmefähigkeit von fachfremden Ideen –, das lernt man vor allem in der Praxis. Da werden die Planenden zu Ausführenden und verfolgen ihre Ideen und Ansätze bis zuletzt auf der Baustelle. Durch diese allumfassende Arbeit lernt man viel über die konzeptionelle Phase hinaus. Was wiederum das nächste Projekt stark beeinflusst, weil man zusammen mit vielen Leuten erfährt, welche Schwierigkeiten auf einen zukommen oder welche Lösungsansätze in eine vielversprechende Richtung gehen könnten.

Joseph Schwartz: Es ist schlicht das Schönste an unserem Beruf, dass wir mit so vielen unterschiedlichen Menschen, einer Vielzahl von kompetenten Fachspezialisten und Handwerkern zu tun haben. Deshalb ist auch die Psychologie ein wichtiges Element in diesem Prozess des Entwerfens – des Bauens überhaupt. Wie kann ich eine Baustelle so leiten, dass alle begeistert sind? Darin liegt das Potenzial der Dynamik. Ich komme auf die Baustelle und sage ehrlich, dass jetzt etwas Kompliziertes ansteht, und ich erkläre es dem Polier. Gerade weil ich die Schwierigkeit nicht verstecke, ist die Chance gross, dass er nach der Ausführung zurückkommt und mir sagt: «Es war zwar knifflig, aber doch recht einfach und ist gut gelungen!» Durch dieses gegenseitige Lehren und Lernen wird man immer besser. Und besser heisst durchaus auch, dass man sicherer wird in seinem Vorgehen und seinen fachlichen Kompetenzen. Diese Betrachtungen schliessen die Arbeiten aus dem Alltag – Bodenplattenbemessungen, Stützendimensionierungen, Nachweise von Deckenspannweiten – keinesfalls aus. Dieser Entwurfsansatz ist dann kein Hirngespinst weit entfernt von jeglicher Realität.

 

Massimo Laffranchi: Im Gegenteil. Diese Arbeitsweise ist nicht nur für eine elitäre Minderheit und für intellektuell ausgeprägt denkende Menschen. Es betrifft alle. Denn «Conceptual Design» steckt in jeder Projektphase und vor allem auch in jedem Massstab. Es läuft der gleiche Prozess des gepflegten Handelns. Ich kann ein Buch öffnen und aus dem Katalog Stangenware nehmen. Das ist eine Möglichkeit, aber nicht das von uns für gute Baukultur angestrebte Ingenieurdenken.

Joseph Schwartz: Auch im kleinen Massstab sind Diskussionen möglich, die genauso interessant sind wie im grossen Pendant. Vorstellbar sind auch Teams, in denen Planende während einzelner Phasen ihre Kompetenzbereiche klar voneinander abgrenzen. Diese unterschiedliche Zusammenarbeit ist möglich und bedeutet noch lang nicht, dass in einer vielleicht detaillierteren Bauphase wiederum ein wertvoller Dialog entstehen kann. Die Tiefe der Zusammenarbeit kann auf unterschiedliche Weise entstehen und führt in jedem Fall zu besseren Lösungen.

 

Clementine Hegner-van Rooden: Was heisst denn letzten Endes «besser»?

Aurelio Muttoni: Besser heisst vor allem, nie mit dem zufrieden zu sein, was wir vorher erschaffen haben. Es ist der Lernprozess, der die Verbesserung ermöglicht. Man lernt immer wieder von den Projekten und den Fehlern, die man gemacht hat. Es gibt kein Projekt, von dem ich sage: Das ist perfekt. Mit den Schlaufen von Projekt zu Projekt, aber auch während eines Projekts selber lernt man.

Joseph Schwartz: Es ist die schöne Aussage, die man in allen Gebieten immer wieder hört: «Wenn ich nochmals anfangen könnte, würde ich es anders machen.» Nicht besser, sondern anders. Erst wenn wir das Bauwerk final sehen, können wir es beurteilen. Dann können wir darüber sinnieren, wie wir Teile anders hätten machen können. Änderungen verkleinern vielleicht das betrachtete Problem, aber erhöhen ein anderes. Letztlich geht es um eine Optimierung, die sich schritt- und phasenweise ergibt. Gut und schlecht ist schwierig zu definieren. Richtig und falsch schon gar nicht. Hinzu kommt, dass wir Werke, die wir vor 20 Jahren gemacht haben, heute ganz anders beurteilen.

Aurelio Muttoni: Manchmal sogar besser (schmunzelt).

Joseph Schwartz: Wir haben es immer wieder mit einem neuen Prototyp zu tun. Daraus immer wieder neu zu lernen, ist individuell geprägt. Ich lerne beispielsweise nur indirekt aus den Sachen, die ich realisiert habe und mit denen ich nicht vollends zufrieden bin. Denn die gleiche Aufgabenstellung stellt sich nie mehr. Man kann neue Ansätze immer nur transformiert im neuen Entwurf anwenden.

Aurelio Muttoni: Es ist und bleibt die Übung des Prozesses. Und den können wir erläutern, mit Erfahrungsberichten aufzeigen, durch Workshops mit Diskussionen während des Symposiums veranschaulichen. Wobei im Übrigen der Entwurf bei den Bauingenieuren nicht vom Nachweis zu trennen ist.

«Ist es nicht so, dass wir uns die Nachweispflicht sehr erleichtern können, wenn wir die Aufgabe des konzeptionellen Entwurfs am Anfang ernst nehmen?»
Joseph Schwartz

Joseph Schwartz: Richtig. Doch ist es nicht so, dass wir uns die Nachweispflicht sehr erleichtern können, wenn wir die Aufgabe des konzeptionellen Entwurfs am Anfang ernst nehmen? Wir sagen oft «die gestalterische Freiheit gegenüber der physikalischen Notwendigkeit». Diese Entwurfsarbeit ist aber durchaus auch intuitiv gespeist – geprägt von allem, was wir studiert haben, und von alldem, was wir je umgesetzt haben.

 

Massimo Laffranchi: Es ist das Erlernen der ganz eigenen, individuellen Handschrift – subjektiv geprägt, persönlich motiviert und für sich kennzeichnend komponiert.

Aurelio Muttoni: Es ist einfach so: Auch der Ingenieur entwirft.

Gesprächspartner

 

Dr. Massimo Laffranchi – dipl. Bauing. ETH/SIA – ist Mitbegründer und Geschäftsleiter vom Ingenieurbüro Fürst Laffranchi und seit 2019 Präsident der Gesellschaft für Ingenieurbaukunst. Fürst Laffranchi weist mehrere Wettbewerbserfolge und Realisierungen aus, insbesondere im Brückenbau, die sich durch innovative Tragwerke auszeichnen.

 

Prof. Dr. Aurelio Muttoni – dipl. Bauing. ETH/SIA – ist ordentlicher Professor und Direktor des Labors für Betonbau an der EPFL. Er ist Mitbegründer und Partner von Muttoni & Fernández, das bekannt ist für Tragwerke, die in enger Zusammenarbeit mit Architekten entstehen. Diese Wechselbeziehung zeigt sich vielschichtig gewinnbringend in den realisierten Bauwerken.

 

Prof. Dr. Joseph Schwartz – dipl. Bauing. ETH/SIA – ist ordentlicher Professor für Tragwerksentwurf am Departement Architektur der ETH Zürich. Mit seinem eigenen Ingenieurbüro arbeitet er eng mit mehreren führenden schweizerischen Architekten zusammen, was sich in Bauwerken niederschlägt, worin sich Architektur und Ingenieurwesen bedingen.

Internationales fib-Symposium für Tragwerksplanung: «Conceptual Design of Structures 2021»

 

Hybridformat mit Präsenz- und Online-Teilnahmen

 

16. bis 17. September 2021, mit Ausflügen zu interessanten Bauten am 18. September

 

Der Entwurf von Tragwerken – «Conceptional Design of Structure» – ist das Herzstück baukulturell wertvoller Bauwerke. Er findet statt, wenn die grundlegendsten und bedeutendsten Entscheidungen für ein Projekt getroffen werden, ist Dreh- und Angelpunkt projektbestimmenden Gedankenguts. Hierin vereinen sich Erfahrung, Intuition, Tradition, Standortvorgaben, technische Lösungen und insbesondere die Genialität und die Sensibilität der Designer – der Bauingenieure.

Das Symposium widmet sich diesem Prozess und zeigt in einem konstruktiven Austausch zwischen Bauingenieuren und Architekten auf, wie Bauwerke in hoher Qualität entworfen sowie gekonnt und gelungen umgesetzt wurden.

 

Ort: Attisholz-Areal SO

 

Infos: http://conceptualdesign2021.com

 

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