Der Wett­bewerb und an­de­re In­stru­men­te im ge­mein­nü­tzi­gen Woh­nung­sbau

Testo originale in tedesco a corredo dell'articolo "Edilizia di pubblica utilità: concorsi e non solo", pubblicato nel numero 1/2018 di Archi.

Data di pubblicazione
19-02-2018
Revision
21-02-2018

Monique Bosco-von Allmen im Interview mit Andreas Wirz, Mitglied des Verwaltungsrats der WBG-Zürich, Experte in der Leitung von Wettbewerben, Partner von Archipel Planung und Innovation, und Ernst Hauri, Direktor des Bundesamtes für Wohnungswesen BWO.

 

Andreas Wirz

Welche Leitkriterien kommen zur Anwendung, wenn es darum geht, die geeignete Wohnbaugenossenschaft für ein – öffentliches oder privates – Baurechtgrundstück auszuwählen?

Der Verband wohnbaugenossenschaften zürich empfiehlt als Grundlage für eine Ausschreibung eine Machbarkeitsstudie zu erstellen. Unter Berücksichtigung der planungsrechtlichen Rahmenbedingungen können damit die Ausnützung, mögliche Bebauungstypologien und damit die indikativen Erstellungskosten abgeschätzt werden. Zudem ermöglicht sie städtebauliche relevante Themen zu identifizieren, welche in der Ausschreibung wichtig sind.

Es wird ein gemeinnütziger Bauträger gesucht, welcher sein Interesse mittels einer Bewerbung kundtut, organisatorisch und finanziell in der Lage ist, ein Bauprojekt der entsprechenden Grösse zu entwickeln und zu betreiben. Beurteilt wir dieses Kriterium unter Prüfung des Jahresberichtes, der Statuten, des Handelsregisterauszuges, eines Organigramms und einem beizubringenden Finanzierungsnachweis über die indikativen Erstellungskosten.

Zudem gilt es die Anforderungen des Standortes bestmöglich zu erfüllen. Dies können soziale, nutzungsspezifische oder städtebauliche Anliegen sein, welche der Baurechtsgeber als wichtig erachtet und in der Ausschreibung entsprechend definiert.

Wie sollten Ihres Erachtens die Wettbewerbe zur Vergabe eines (bebauten oder unbebauten) Grundstückes im Baurecht an eine Wohngenossenschaft gestaltet, welche Auswahlkriterien angewandt werden? Welche Möglichkeiten gibt es, die städtebauliche und architektonische Qualität zu kontrollieren?

Wir empfehlen zuerst die Planungsrechtlichen Rahmenbedingungen in Form einer Machbarkeitsstudie abzuklären.

Danach mittels einer Ausschreibung einen gemeinnützigen Bauträger auszuwählen, welche in der Lage ist ein Projekt in der entsprechenden Grösse zu stemmen und die vorgängig definierten Leitkriterien am besten erfüllt und bereit ist die Eckwerte des Baurechtsvertrages zu erfüllen. Eine Auswahl ist möglich auf Grund eines Konzeptwettbewerbes, welcher Antworten auf spezifische Fragestellungen sucht oder in einem reduzierten Verfahren über eine Präsentation der Bauträger mittels Referenzprojekten.

Auf Grund der spezifischen Anforderungen des selektierten Bauträgers wird nachfolgend ein separates Planerwahlverfahren durchgeführt.

Die städtebaulichen und architektonischen Qualitäten werden über die Verpflichtung zur Durchführung eines Wettbewerbes oder Studienauftrages nach SIA 142 bzw. 143 sichergestellt. Es ist der Vergabestelle des Baurechtsgrundstückes unbenommen, sich einen Sitz im Beurteilungsgremium zur Sicherung ihrer Anliegen vorzubehalten.

Die Organisation eines Wettbewerbs stellt einen erheblichen Kostenaufwand dar, der sich auf die Miethöhe auswirkt, da diese anhand der effektiven Kosten kalkuliert wird. Warum halten Sie es trotzdem für wichtig, in Projektwettbewerbe zu investieren? Geht es dabei ausschliesslich um die architektonische und städtebauliche Qualität?

In der Vorbereitung des Konkurrenzverfahrens werden die Bedürfnisse des gemeinnützigen Bauträgers frühzeitig diskutiert und geschärft und verbindlich festgehalten. Dies ermöglicht Planungssicherheit und zwingt die Bauträgerschaft zu einer konsistenten Aufgabenstellung in Form eins Wettbewerbsprogramms und phasengerechten Entscheiden.

Ein Architekturwettbewerb eröffnet die Möglichkeit der Wahl aus einer Vielzahl von Projekten. Wenn verschiedene Lösungsvorschläge zu einer Aufgabe vorliegen, schälen sich oft die schwierigsten Knackpunkte heraus; es können jene Lösungen gefunden werden, welche konzeptionell am besten überzeugen. Mit einer Direktbeauftragung wird diese Chance verpasst.

Ein Konkurrenzverfahren entspricht den genossenschaftlichen Prinzipien der Sorgfalt und Nachhaltigkeit: Nicht die erste, sondern die beste Lösung wird ermittelt. Dabei werden aufgrund einer vergleichenden Beurteilung nicht nur architektonische und städtebauliche, sondern auch Kriterien wie Wirtschaftlichkeit, Ökologie und Soziales beurteilt. Die Mehrkosten von 1 bis 2.5% der Erstellungskosten wiegen die Vorteile bei weitem auf.

Die Wohngenossenschaften nehmen eine wichtige soziale Rolle ein, ihr Erfolg basiert auch auf dem Engagement und dem Verhalten der Bewohner. Wie kann man diese Aspekte bereits in der Wettbewerbsphase bewerten, um dann einer bestimmten Genossenschaft den Zuschlag zu geben? Wie sollte idealerweise die Jury eines solchen Wettbewerbs zusammengesetzt sein?

Wir empfehlen den gemeinnützigen Bauträger vor der Durchführung des Architekturwettbewerbes zu selektieren. In einer Ausschreibung könnte abgefragt werden, welche sozialen Anliegen der gemeinnützige Bauträger verfolgt und mit welchen Instrumenten er diese umsetzt.

Mögliche Themen könnten sein: Mietzinsverbilligungen, partizipative Projektentwicklung, Verpflichtung zu einer durchmischten Bewohnerschaft, Selbstverwaltung, etc.

Die Jury setzt sich idealerweise aus Vertretern der Baurechtsgeberin und Fachpersonen des gemeinnützigen Wohnungsbaus und allfälligen Experten aus Schlüsselkriterien der Ausschreibung zusammen.

Im Architekturwettbewerb können auch räumliche Themen der Gemeinschaftsbildung abgefragt und beurteilt werden. Dabei ist zu beachten, dass das Beurteilungsgremium die entsprechenden Fachgebiete auch abdecken kann.

In Zürich wurden mehrere Projektwettbewerbe erst ausgeschrieben, nachdem das Baurechtgrundstück bereits einer Wohngenossenschaft zugesprochen worden war. Im Falle des Projektwettbewerbs für das Areal Zollstrasse der Genossenschaft Kalkbreite waren die Jurysitzungen öffentlich, auch wenn die Zuschauer natürlich kein Mitspracherecht hatten. Was waren die positiven und/oder negativen Aspekte dieses ungewöhnlichen Entschlusses?

Öffentliche Jurierungen sind keineswegs ungewöhnlich. Sogar der SIA hat zum Einbezug der Öffentlichkeit ein eigenes Merkblatt verfasst (142i-402d), wo er auf die zu beachtenden Rahmenbedingungen hinweist. Auch die Stadt Zürich führt bei vielen Wettbewerben öffentliche Jurierungen durch.

Öffentliche Jurierungen sorgen für Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Entscheide. Gerade bei gemeinnützigen Bauträgern ist dies eine gute Möglichkeit den Mitgliedern die Möglichkeit zu geben, den Entscheidprozess zu verfolgen und damit Vertrauen zu schaffen.

Die öffentliche Beurteilung schliesst eine optionale Bereinigungsstufe aus, weil unter den Teilnehmern unerwünschte Ideentransfers stattfinden könnten.

Ernst Hauri

Herr Hauri, Sie sind Direktor des Bundesamtes für Wohnungswesen. Auf der Internetseite des BWO liest man: „Wohnen stellt ein Grundbedürfnis dar. Marktergänzend sorgen Bund, Kantone und Gemeinden dafür, dass guter und erschwinglicher Wohnraum für die ganze Bevölkerung zur Verfügung steht. Eine wichtige Rolle spielt dabei der gemeinnützige Wohnungsbau...“. Wie ist die Situation des Wohnraums in der italienischen Schweiz einzuschätzen?

Ich kann hier nur für den Kanton Tessin sprechen, denn viele statistische Grundlagen sind nur auf Kantonsebene vorhanden. Diese zeigen, dass im Tessin im Vergleich zu den übrigen Schweizer Regionen der Markt derzeit ausgeglichen ist. Der Wohnungsmangel, der vor einigen Jahren vor allem in den städtischen Gebieten herrschte, wurde vielerorts durch eine starke Neubautätigkeit beseitigt. Auch ein Preisanstieg war in jüngster Zeit kaum mehr festzustellen. Die Entwicklung hin zu einem weitgehend ausgewogenen Wohnungsmarkt zeigt sich auch bei der Leerwohnungsziffer. Diese ist zwischen Juni 2016 und Juni 2017 von 1,21 Prozent auf 1,59 Prozent angestiegen und liegt damit über dem Schweizer Mittel von 1,47 Prozent. Wer eine Wohnung sucht, ist im Tessin somit in einer vergleichsweise guten Situation. Aus den Zahlen geht aber nicht hervor, ob die freistehenden Wohnungen bezüglich Preis oder Mietzins, Qualität und Lage auch den Bedürfnissen der Wohnungssuchenden entsprechen. Was den gemeinnützigen Wohnungsbau betrifft: Dieser ist im Kanton Tessin wenig verbreitet. Wohnungen gemeinnütziger Bauträger machen weniger als ein Prozent aller bewohnten Wohnungen aus. Schweizweit liegt dieser Anteil bei etwas über vier Prozent, und in den Kantonen Zürich und Basel bei rund 10 Prozent.

Welche sind die effektivsten Mittel, die Ihres Erachtens den Kantonen und Gemeinden zur Verfügung stehen, um den gemeinnützigen, also nicht gewinnorientierten Wohnbau zu fördern? Gibt es ausschliesslich die Instrumente der Planung oder auch andere, die ausschlaggebend sein können? Und warum?

Die Planung kann wichtig sein, um gemeinnützigen Bauträgern den Zugang zu Boden für Neubauten zu erleichtern. Es gibt zum Beispiel die Möglichkeit, in der Nutzungsplanung Zonen oder Anteile von Zonen vorzusehen, in denen gemeinnützige Wohnungen erstellt werden müssen. Allerdings müssen dazu die Rechtsgrundlagen vorhanden sein. Zudem kann ein solches Vorgehen wohl nur erfolgreich sein, wenn genügend gemeinnützige Bauträger vorhanden sind, die investieren möchten. Angesichts der geringen Zahl von gemeinnützigen Bauträgern im Tessin wäre es wohl zweckmässiger, wenn sich Gemeinden für Neugründungen von gemeinnützigen Bauträgern einsetzen. Sie könnten sich am Genossenschafts-, Stiftungs- oder Aktienkapital beteiligen und/oder den Genossenschaften Boden im Baurecht zur Verfügung stellen. So kann die Gemeinde Einfluss nehmen auf die Geschäftstätigkeit und mitbestimmen, für wen Wohnungen gebaut werden sollen – zum Beispiel für Familien, für ältere Menschen, für Junge oder für solche, die neue Formen des Zusammenlebens suchen.

Was sind Ihres Erachtens die Gründe für den grossen Erfolg der Wohnbaugenossenschaften in den Kantonen nördlich der Alpen, insbesondere in den letzten Jahren mit vielen innovativen Wohnprojekten? Ist der soziale Aspekt ausschlaggebend?

Der genossenschaftliche Wohnungsbau kann nördlich der Alpen, besonders in den städtischen Regionen, auf einer über 100 jährigen Tradition aufbauen. In den letzten rund 20 Jahren entstanden viele neue Genossenschaften, in denen sich jüngere Menschen engagierten und bereit waren, mit neuen Prozessen und Wohnformen zu experimentieren. Daraus ergaben sich Impulse für die „alten“ Genossenschaften, und in verschiedenen Regionen kam eine frische Dynamik in die ganze gemeinnützige Branche. Damit innovative Bauträger und Projekte erfolgreich sein können, braucht es neben risiko- und innovationsfreudigen „Machern“ aber auch Einzelpersonen und Familien, die „anders wohnen“ und zum Beispiel dem gemeinschaftlichen Zusammenleben mehr Gewicht geben möchten. Es scheint, dass es vor allem in den städtischen Regionen nördlich der Alpen genügend Interessierte gibt, die sich auf ein Wohnen einlassen möchten, das anders ist als in einem Einfamilienhaus, in einer Stockwerkeigentümergemeinschaft oder in einer normalen Mietwohnung.

Auf der Internetseite des BWO liest man auch: „Wohnen geht über die Wohnungstür hinaus. Die Qualität der Aussenräume spielt eine wichtige Rolle für das Wohlbefinden der Bewohnerschaft und ihre gesellschaftliche Teilhabe. Die zunehmende bauliche Verdichtung erfordert Lösungen um den Bewohnerinnen und Bewohnern ein attraktives Wohnumfeld anzubieten.“ Was ist die Haltung des BWO dazu, und auf welche Weise lassen sich Aussenräume mit Hilfe der Teilhabe der Bewohner aufwerten?

Die Aussenräume erfüllen vielfältige soziale, ökologische und wirtschaftliche Funktionen: Sie sind Spiel- und Begegnungsort, bieten Naturerlebnis, dienen unserer Freizeit, dem Sport und der Bewegung. Attraktive Aussenräume sind zudem ein wichtiger Faktor für den Wert einer Immobilie. Wo die Bewohnerschaft in Mitspracheprozessen an der Gestaltung und Nutzung der Aussenräume teilhaben kann, entsteht eine starke Identifikation mit ihrem Wohngebäude. Es kommt zu weniger Mieterwechseln und damit auch zu weniger Kosten für die Vermieter. Wir sind auch überzeugt, dass die nötige bauliche Verdichtung in unseren Städten und Dörfern nur erfolgreich sein kann, wenn gleichzeitig zum Beispiel verkehrsberuhigte Quartierstrassen oder lebendige Grünflächen angeboten werden. Dann sind die bereits ansässigen Bewohnerinnen und Bewohner eher bereit, sinnvolle Verdichtungsmassnahmen zu akzeptieren.


 

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