Ei­ne Tor­re Ve­las­ca für Ba­sel

Studienauftrag Hochhaus Heuwaage, Basel

Für den Ersatzneubau des Hochhauses an der Heuwaage in Basel traten ein markanter Solitär und ein eleganter Zeilenabschluss gegeneinander an. Durchgesetzt hat sich der freistehende «Hotspot» von Miller & Maranta.

Publikationsdatum
22-02-2018
Revision
22-02-2018

Das bestehende Hochhaus an der Heuwaage stammt aus den 1950er-Jahren und besetzt einen neuralgischen Ort am Rand der Basler Innenstadt. Unmittelbar daneben befindet sich der Viadukt des Cityrings, eines Autobahnzubringers aus den 1960er-Jahren. War der Bau des ersten Hochhauses an zentraler Lage seinerzeit noch umstritten, bewilligte der Grosse Rat zehn Jahre später den Viadukt bereits einstimmig.

In den kommenden Jahren wird sich die Heuwaage verändern. Der Zugang zum Zoo Basel über das Nachtigallenwäldli wurde eben erst neu gestaltet. Das daran anschlies­sende Ozeanium ist in Planung (vgl. TEC21 7–8/2013). Ein Kreisel unter dem Viadukt soll den Verkehr besser fliessen lassen, der Birsig-Parkplatz zum attraktiven Stadtraum für Fussgänger, Velofahrer, Detailhandel und Gastronomie werden.

Das Hochhaus ist in die Jahre gekommen und benötigt aufgrund des schlechten baulichen Zustands, unter anderem bei Erdbebensicherheit und Brandschutz, eine Total­sanierung. Mit 13 Geschossen in der Zone 6 ist es zudem nicht zonenkonform. Es besteht lediglich eine Besitzstandsgarantie mit wenigen Möglichkeiten zur baulichen Ver­änderung. Deswegen entschloss sich die Eigentümerin, die Basellandschaftliche Pensionskasse, die Machbarkeit eines Neubaus ab­zu­klären.

Für dieses Szenario wurden in Abstimmung mit dem Planungsamt Basel-Stadt die wesentlichen Rahmenbedingungen festgelegt. Weil sich das neue Hochhaus bei der Gebäudehöhe am nahe gelegenen Hochhaus Markthalle orientieren soll, peilt man eine Gebäudehöhe von 56 m und eine Bruttogeschossfläche von 12 500 m2 an. Flexi­ble Grundrisse sollen einen Nutzungsmix aus Mietwohnungen, Büros, Praxen und Verkaufs-, Dienstleistungs- und Gastronomieflächen ermöglichen. Die Aufgabe gestaltete sich anspruchsvoll wegen der vielen Werkleitungen unter dem Vorplatz, der Bestimmungen zum Zwei-Stunden-Schatten1 und der Belastung durch Strassenlärm, die in der Gestaltung von Grundrissen und Fassade zu berücksichtigen waren. Nachfolgend werden zwei gegensätzliche Haltungen näher vorgestellt.

Haltung 1: freigestellt

Das zur Weiterbearbeitung empfohlene Projekt von Miller & Maranta sieht einen autarken Baukörper im Brennpunkt zwischen den Häuserzeilen an der Steinenvorstadt und der Steinentorstrasse sowie dem Viadukt vor. Das neue Hochhaus tritt in Dialog mit dem Ozeanium und dem Hochhaus bei der Markt­halle. Die Gestaltung der Fassade erinnert an das Büro- und Wohngebäude Torre Velasca in Mailand von BBPR (1956/1957). Auf einem fünf­eckigen Grundriss aufgebaut, beginnt es mit zwei geschrumpften Geschossen für Verkauf und Gastronomie. Dieser Kniff gibt dem Erdgeschoss einen willkommenen Freiraum zum anschliessenden Bestand. Die fünf nächsten Geschosse sind für Büros vorgesehen und kragen über das Erdgeschoss aus. Darüber folgen Wohnetagen, die sich nach oben hin zu einem Stumpf verjüngen. Der Zugang zum Birsig-Parkplatz erfährt eine deutliche Aufwertung, und zur Steinenvorstadt entsteht ein gut proportionierter Platz.

Durch das Tragwerk mit aussen liegenden Stützen und zentralem Kern entstehen stützenfreie, flexible Grundrisse. Cafés und Läden erstrecken sich über Erdgeschoss und Mezzanin. Die Büros können in kleine Einheiten unterteilt oder geschossweise vermietet werden. Die hochwertigen Wohnun­gen ab dem 7. OG werden durch die Rück­sprün­ge modelliert und die Disposition mit Loggien bis ins Dachgeschoss fortgesetzt. In den obersten Geschossen sind luxuriöse Penthouses vorgesehen.

Haltung 2: eingebunden

Der Entwurf von Buchner Bründler ist von einer wohltuenden Einfachheit. Ein 70 m hohes Gebäude schliesst die Häuserzeile an der Steinentorstrasse ab. Ein fünfgeschossiger Zwischenbau vermittelt zwischen Alt und Neu. Eine Passage verbindet die Steinentorstrasse mit dem Birsig-Parkplatz im Hinterhof. Es entstehen spannende Raumsequenzen vom neuen Stadtraum über den Birsig unter dem Viadukt hindurch bis zum Ozeanium. Das Hochhaus weist ein konsequent durchdekliniertes Tragwerk auf, mit acht kräftigen Aussenstützen und einem tragenden Kern. Es ist auf einem quadratischen Grundriss aufgebaut, auf einer Etage sind vier bis fünf Wohnungen untergebracht, die fast ohne Korridore auskommen. Grosse zentrale Wohnhallen erschliessen die übrigen Räume. Die Bäder und Küchen liegen an der ­Fassade und sind natürlich belichtet und belüftet.

Das neue, gut proportionierte Hochhaus verbindet sich ganz selbstverständlich mit dem Stadtgefüge und ist innen mit bestechender Klarheit aufgebaut. Es reflektiert die spröde Architektur der teilweise ins Inventar der schützenswerten Bauten aufgenommen Nachbar­gebäude aus den 1950er-Jahren. Der Beitrag überzeugt mit einem souveränen und eleganten Auftritt. Einfach, aber nicht simpel – raffiniert, doch nicht effekthascherisch: So  könnten die Prämissen für diesen Wurf lauten.

Freigestellt oder ausgebaut

Beiden Entwürfen gemeinsam ist der Bezug auf starke Vorbilder. Buchner Bründler lehnen sich offensichtlich an Bauten von Mies van der Rohe an, erkennbar am spröden Charme und der Bescheidenheit ihres Entwurfs. Ihre Ingredien­zien  sind schnörkellose Grundrisse, hochwertige Materialien und ein puristisches, auf Decken, Stützen und Kern reduziertes Tragwerk. Bei Miller & Maranta hingegen stand augenscheinlich das Mailänder Vorbild Pate, an den besonders die tragende Fassade als expressives Gitter aus Beton erinnert. Mit dem fünfeckigen Grundriss, dem zurück­springenden Erdgeschoss, den regel­mässigen Bürogeschossen und den zurückge­staffelten Wohnungen vari­ieren die Architekten das Vorbild gekonnt und passen es geschickt in die heikle städte­bauliche Nahtstelle ein.

Fundamental unterschiedlich ist die städtebauliche Haltung der beiden Beiträge. Buchner Bründler fügen sich in die Zeile an der Steinentorstrasse ein und schliessen sie mit einer überzeugenden Geste zum Viadukt hin ab. Das Hochhaus von Miller & Maranta hingegen definiert sich als frei stehendes Ge­bäude, das die vorhandene Blockrandbebauung aufbricht und zum Viadukt hin öffnet. Die Sprengkraft dieses Entwurfs hält auch der Jurybericht fest: «Statt die Stimmung des un­mittelbaren Kontexts aufzunehmen und sich als Teil der pragmatisch zurückhaltenden Blockrandzeile zu empfehlen, wird ein ‹Hotspot› ­geschaffen, der neue städtische Qualitäten schafft und sich bis in die Skyline kraftvoll ausdrückt.»

Anmerkung
1 Die Fassade einer Nachbarliegenschaft darf zur Tagundnachtgleiche (22./23. September, 19.–21. März) nie länger als zwei Stunden durch ein Hochhaus verschattet werden.

Weitere Informationen finden Sie in der Rubrik Wettbewerbe.

Weiterbearbeitung
 

Projekt Nr. 4: Miller & Maranta Architekten, Basel
 

Weitere Teilnehmende
 

Projekt Nr. 1: Buchner Bründler Architekten, Basel

Projekt Nr. 2: Deon Architekten, Luzern

Projekt Nr. 3: jessenvollenweider architektur, Basel

Projekt Nr. 5: Morger Partner Architekten, Basel

Projekt Nr. 6: Staufe &Hasler Architekten, Frauenfeld
 

FachJury
 

Beat Aeberhard, Kantonsbaumeister; Yves Stump, Architekt, Basel; Christoph Gantenbein, Architekt, Basel; Daniele Marques, Architekt, Luzern; Jürg Degen, Leiter Abt. Areal­entwicklung und Nutzungsplanung, BVD BS (Ersatz)
 

SachJury
 

Georg Meier, Adimmo (Vorsitz); Roland Weiss, Basellandschaftliche Pensionskasse, Liestal; Jürgen M. Volm, Drees & Sommer, Basel; Hansjörg Deppeler, Adimmo (Ersatz)

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