Ge­zielt spü­len

Gesamterneuerung der Anlagen der KHR

Für einen sicheren Betrieb der Wasserkraftanlagen sind Spülungen von Staubecken nötig. Wie das Beispiel der Kraftwerke Hinterrhein zeigt, lässt sich mit einer guten Planung die ökologische Belastung der Gewässer minimieren.

Publikationsdatum
01-10-2014
Revision
18-10-2015

Spülungen von Staubecken oder sogar die komplette Entleerung von Stauseen anlässlich von Gesamterneuerungen von Wasserkraftanlagen sind für die Kraftwerksbetreiber eine heikle Angelegenheit. Solche Vorhaben fordern nicht nur aus ingenieurtechnischer Sicht heraus. Werden Staubecken «gereinigt», gelangt trübes Wasser mit einem hohen Anteil an Schwebstoffen in die unterliegenden Gewässer. In Kombination mit Sauerstoffmangel ist dies für viele Wasserlebewesen problematisch. Hohe Schwebstoffkonzentrationen können Haut und Kiemen der Fische schädigen. Die Betreiber von Stauanlagen sind gemäss Artikel 40 Gewässerschutzgesetz verpflichtet, bei Spülungen und Entleerungen von Stauräumen geeignete Massnahmen zum Schutz von Pflanzen und Tieren zu treffen.

Ein runder Tisch

Ein aktuelles Beispiel für eine umfassende Erneuerung sind die Anlagen der Kraftwerke Hinterrhein AG (KHR). Die eigentlichen Arbeiten starteten 2011 und dauern noch bis 2017 an. Rund 300 Mio. Fr. wird das gesamte Projekt kosten. Die Verantwortlichen der KHR erkannten früh die Brisanz des Vorhabens. Um die mit dem Projekt verbundenen ökologischen Fragen zu erörtern, habe man 2009 einen runden Tisch ins Leben gerufen, sagt Guido Conrad, der Direktor der KHR. An diesem regelmässigen Treffen diskutierten die Verantwortlichen der KHR mit Vertretern von WWF, Pro Natura, dem kantonalen Fischereiverband, den Fachstellen des Kantons Graubünden sowie dem am Projekt beteiligten Umweltfachbüro ecowert über Probleme und Lösungen beim Schutz der Umwelt und der Fischerei. Der Aufwand hat sich gelohnt. «Nachdem wir das Projekt bei den Behörden eingereicht hatten, dauerte es nur vier Monate, bis es bewilligt war», erklärt Conrad. 

In den 1980er-Jahren erkannte man, dass das Spülen von Stau- und Ausgleichbecken die Gewässer belastet. Damals bildeten sich in einigen Kantonen Spülungsgruppen; auf Behördenseite waren besonders die Umweltschutz- und Fischereiämter involviert. Periodische Spülungen galten als betrieblich notwendig, um das Stauvolumen zu erhalten, aber auch um die Sicherheit der Anlagen zu gewährleisten. Deshalb ging es zunächst lediglich darum, den damit verbundenen Schaden zu erheben. Und mancherorts kam es tatsächlich auch zu Fischsterben.

Mit der Zeit habe man realisiert, dass sich nicht alle Eingriffe gleich stark auf die Umwelt auswirkten, sagt Peter Rey vom Hydra Institut, einem auf Gewässerökologie spezialisierten Umweltbüro. Vor allem zeigte sich, dass einiges auch beeinflussbar ist. So lassen sich etwa die negativen Auswirkungen auf die Wasserlebewesen stark reduzieren, wenn stets genügend sauberes Wasser zugemischt wird. Damit gelingt es, allzu hohe Konzentrationen an Schwebstoffen und Schlamm zu vermeiden. Zudem setzte sich die Einsicht durch, dass Hochwasser zum Programm der Natur gehören. Deshalb müssen sich die Lebewesen auch an gelegentliche Fluten angepasst haben.

Der Anlagenpark der KHR besteht aus zwei Speicherseen, dem Lago di Lei und dem Sufnersee. Noch bevor das Wasser aus dem Avers in den Lago di Lei gelangt, fliesst es durch das Auffangbecken Preda im Madristal. Vom Lago di Lei treibt das Wasser die Turbinen in Ausserferrera an, und über das Ausgleichbecken dort gelangt es in den Sufnersee. Die nächsten Turbinen befinden sich bei der Kraftwerkszentrale Bärenburg bei Andeer mit dem zugehörigen Ausgleichsbecken. Von dort wird das Wasser noch einmal benutzt, um die Turbinen in Sils im Domleschg anzutreiben.

Ökologische Zustandserhebung

Die Spülungen des Auffangbeckens Preda und der Ausgleichsbecken Ausserferrera und Bärenburg verliefen planmässig. Anschliessend entleerte die KHR die Becken, um die Arbeiten an den Anlagenteilen auszuführen. Die Mitarbeitenden vom Umweltbüro ecowert und vom Hydra Institut erhoben noch vor dem Beginn der Gesamterneuerung den ökologischen Zustand von ausgewählten unterliegenden Gewässerabschnitten: zum einen das auf oder in der Gewässersohle lebende Makrozoobenthos, das heisst die mit blossem Auge erkennbaren Kleinwasserlebewesen wie Insektenlarven, Flohkrebse, Schnecken und Würmer. Und zum anderen den Fischbestand. Die Ergebnisse dienen als Referenz für die Erfolgskontrolle nach den Arbeiten. Während der Fluten überwachten die Gewässerökologen die Schwebstoffkonzentration im abfliessenden Wasser. 

Komplette Stausee-Entleerungen sind seltener. Sie werden vorgenommen, um die seeseitigen Anlagenteile der Einläufe für die Grundablässe und das Dotierwasser (sofern unterhalb der Staumauer liegende Gewässer mit Restwasser zu versorgen sind) im Trockenen erneuern zu können. Bei diesen Vorhaben ist eine gute Planung unerlässlich. Steht die Entleerung eines Sees bevor, werden als Erstes keine Jungfische mehr ausgesetzt und die Beschränkungen für den Fischfang aufgehoben. Die am Schluss verbleibenden Wasserflächen werden in der Regel ausgefischt.

Eine genaue Abklärung erfordern auch die Sedimentablagerungen auf dem Seegrund. So ergab etwa die Analyse der Sedimentproben des Lago di Lei, dass diese Arsen enthalten. Obwohl der Ursprung des Arsens geogen und damit natürlich ist, war abzuklären, ob durch die Entleerung des Sees über den Sedimentaustrag gesundheitsschädigendes Arsen in talabwärts gelegene Trinkwasserfassungen gelangen könnte. Weil das Arsen aber in gebundener Form vorliegt, habe man den Nachweis erbringen können, dass davon keine Gefährdung ausgehe, sagt Jakob Grünenfelder von ecowert. 

Auch technische Herausforderungen stellen sich. «Der Lago di Lei war noch nie ganz leer», sagt Guido Conrad. Wie würde die Staumauer darauf reagieren? Ohne Wasser zeigt sie ein anderes Temperaturverhalten. Nach umfangreichen Abklärungen durch Experten wurde ein detaillierter Absenkplan in Etappen festgelegt. Es traten keine Probleme auf. Am Schluss sei man beim Ablassen des Wassers sehr vorsichtig vorgegangen, sagt Conrad. Nicht wegen der Staumauer, sondern wegen der Schwebstoffbelastung. Drohte diese zu hoch zu werden, schloss man den Grundablass wieder, bevor nach einiger Zeit wieder Wasser abgelassen wurde. 

Keine Entleerung des Sufnersees

Weil man heute nicht mehr genau weiss, wie der Geländeverlauf einst vor dem Aufstauen des Lago di Lei aussah, war auch unklar, wie stark sich der See mit Sedimenten aufgefüllt hat. Doch die Verlandung erwies sich als nicht sehr ausgeprägt. Dies im Unterschied zum Sufnersee, der 500m tiefer liegt. In ihn gelangen jedes Jahr 40.000m3 Sedimente. Bei der Vorabsenkung des Sufnersees traten 2011 denn auch prompt Probleme auf. Weil der Schlammaustrag in den Hinterrhein zu gross gewesen wäre, musste die Übung abgebrochen werden. Dies hatte zur Folge, dass der seeseitige Grundablass vorerst lediglich mit Unterwasserkameras inspiziert werden konnte. Seine Revision ist noch nicht dringend und wird später im Rahmen eines Folgeprojekts angegangen. Für den Einlauf des Wassers zum Druckstollen Richtung Bärenburg mussten sich die Ingenieure eine andere Lösung ausdenken. Es wurden Dammbalken angebracht, die den Einlaufbereich abdichteten – so konnten die Anlagenteile im Trockenen erneuert werden.

Aktuell führen die Gewässerökologen die ökologische Erfolgskontrolle durch. Sie wiederholen dafür sämtliche Erhebungen. Laut einer ersten Einschätzung von Jakob Grünenfelder sieht es gut aus. Bei den flugfähigen Insekten ist dies keine grosse Überraschung. Bei den weniger mobilen Fischen hingegen schon; sind sie einmal eliminiert, erfolgt die Wiederbesiedlung auf natürlichem Weg nur langsam, auch der vielen Wanderungshindernisse wegen. «Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass wir schon fast gleich viele Fische haben wie vorher, und das ohne den früher praktizierten Besatz von Jungfischen», bilanziert Peter Rey. 

Definitive Spülbewilligung angestrebt

Die in den letzten Jahren gewonnenen Erkenntnisse werden nun ausgewertet. Während die Ausgleichbecken bei den Kraftwerkszentralen früher in unregelmässigen Abständen und nur wenn nötig gespült wurden, soll dies künftig häufiger erfolgen. «Wir möchten von den Behörden eine definitive Spülbewilligung erhalten», sagt Conrad. Das Ziel: häufiger spülen, jedoch mit weniger Wasser und auch weniger lang. Dies hätte nicht nur betriebliche Vorteile, sondern auch ökologische. Mit den regelmässigen Fluten würden kleine Hochwasser nachgeahmt, wie sie auch in der Natur immer wieder vorkommen.

1994 publizierte das damalige Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft einen Bericht über die ökologischen Folgen von Stauraumspülungen. Seither ist nicht nur viel Wasser und Schlamm hinuntergeflossen, mittlerweile liegen auch viele neue Erfahrungen vor. Es wäre an der Zeit, das Wissen dieser Fallstudien in einem Bericht zusammenzustellen. Denn die aktuelle Erneuerungswelle bei den Wasserkraftanlagen dürfte erst der Anfang sein.

Verwandte Beiträge