Das Kreuz der Mens­chen­rechte

Umbau Rotkreuz-/Rothalbmondmuseum in Genf

Die Innenräume des Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum in Genf wurden grundlegend umgestaltet. Atelier oï entwickelte das Gesamtkonzept und Diébédo Francis Kéré, Shigeru Ban und Gringo Cardia gestalteten je einen Teilbereich.

Date de publication
09-09-2014
Revision
17-08-2017

Die drei thematischen Teilbereiche des Genfer Rotkreuzmuseums – «Verteidigung der Menschenwürde», «Familienbande wiederherstellen» und «Risiken von Naturgefahren» versprechen schwere Kost. Ob die Themen so umgesetzt sind, dass man die Ausstellung nicht allzu belastet und deprimiert ­verlässt 

Das Museum befindet sich direkt gegenüber dem Palais des Nations, neben dem Hauptsitz des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Es ist zur Hälfte in den Hügel eingebaut, auf dem das Hauptgebäude steht, und wird jährlich von 75 000 Menschen besucht. Die Gesamtfläche von 3640m2 ist auf drei Ebenen verteilt. Nach rund 25 Jahren entsprachen die Räume des Baus von Pierre Zoelly, Georges Haefeli und Michel Girardet nicht mehr dem Stand der heutigen Ausstellungstechnik und mussten umgebaut werden. Im Februar 2013 wurde das Museum wiedereröffnet.

Atelier oï entwickelte das Gesamtkonzept für die Museumsgestaltung und übernahm die Umsetzung der Gemeinschaftszonen. Die Architektur, von der die Besucher als Erstes den verglasten Innenhof vor dem Entrée wahrnehmen, sollte nicht durch einen Bruch zerstört werden, sondern das Neue sollte mit dem Alten in ­einen Dialog treten. Auch die Ko­or­dination dreier über einen Architekturwettbewerb ausgewählter Sze­nografen war Aufgabe von Atelier oï. Wichtigstes Kriterium war neben der Qualität ihrer Vorschläge die Sensibilität gegenüber den Themen.

Hanfbeton

Der erste Teilbereich «Familienbande wiederherstellen» gestaltete der burkinische Architekt Diébédo Francis Kéré. Kéré ist bekannt durch seine Lehmbauten in Burkina Faso, für die er zahlreiche Preise, unter anderem den Aga Khan Award, gewonnen hat.

Im Zentrum des Raums steht ein Turm aus Hanfbeton. Er ist wie eine in die Höhe gezogene Hütte gestaltet. An seiner Aussenseite erinnern Reihen von Porträts an ruandische Kinder, die während des Genozids 1994 ums Leben kamen. Im Innern hängt ein Tuch, das an die Tragödie von Srebrenica erinnert: Frauen haben darauf die Namen ihrer verschwundenen Väter, Ehemänner und Kinder geschrieben. Weiter führt der Weg entlang raumhoher Glasschränke mit sechs Millionen Repliken von Karteikarten der Internationalen Zentralstelle für Kriegsgefangene. Das Schicksal von zwei Millionen Menschen ist darin festgehalten.

Der Bereich «Familienbande» ist informativ und dicht. Aber die Abfolge der Schicksale aus unterschiedlichen Kulturen und Zeiten verwirrt etwas und stimmt gleichzeitig nachdenklich: Die Anordnung wider­spiegelt die heutige Situation – die Geschwindigkeit, mit der Pressemeldungen über Kriege und Revolutionen aufeinander folgen, macht es schwierig, sich zu orientieren.

Karton und Wirbelsturm

Der japanische Architekt Shigeru Ban war verantwortlich für den Bereich «Risiken von Naturgefahren begrenzen». Er staffierte die Raumabfolge mit dicken, geschwungenen Wänden aus Kartonrollen aus. Mit seiner Arbeit beabsichtigt er, dem Vorurteil gegen Papier als schwachem Material entgegen zuwirken. Vorurteile verletzen und behindern die Entwicklung – so der Japaner, der einen Teil seiner Tätigkeit dem Bau von Flüchtlingsunterkünften widmet.

Im ersten Raum, umringt von Kartonwänden, stehen aufgeregte Kinder um einen grossen runden Tisch – sie halten den interaktiven Wirbelsturm des britischen Künstlerkollektivs «Blast Theory» in Schach, der auf dem Tisch tobt. Das Spiel zeigt, wie effektiv Vorbereitungsmassnahmen bei Naturkatastrophen sind. Oft könnten einige einfache Schritte ausreichen, um unzählige Leben zu retten. Ob das tatsächlich so ein Kinderspiel ist, wie der interaktive Tisch das vermittelt, sei dahingestellt. Auf jeden Fall wird veranschaulicht, dass eine Katastrophe nicht zwangsläufig unausweichlich ist. Vorbeugend zu handeln ist Teil einer verantwortungsbewussten Einstellung. Eine solche erfordert aber langfristige Vorbereitungen.

Interaktive Würde

Den dritten Teilbereich gestaltete Gringo Cardia, ein brasilianischer Designer, Architekt, Kurator und mehrfach ausgezeichneter Szenograf. «Die Menschenwürde verteidigen» ist als immersiver Rundgang angelegt. Er steht der Materialität der anderen beiden Bereiche durch seine vornehmlich virtuelle Erscheinung gegenüber. In der Installation «The Colours of Dignity», die von ETH Lausanne entwickelt wurde, kann der Besucher grosse Farbströme generieren, indem er die interaktive Wand berührt.

Im Zentrum dieser von Cardia angelegten Kunstwelt liegt ein Kabinett mit einer Reihe von realen Gegenständen. In einer Vitrine zum Beispiel ein Schloss oder ein Tableau mit Häusern und Menschen darauf. Die Arbeiten aus rudimentären Materialien wie Zigarettenpapierchen, Kartonresten, kleinen Metallteilen und Kleidern wurden von Gefangenen für ihren Rotkreuz-Delegierten angefertigt, als Zeichen ihrer Dankbarkeit und als geistige Flucht aus einer schwierigen Situation. Der emotional stark beladene Raum ist ein Höhepunkt der Ausstellung.

Im Gang durch die drei Teilbereiche wird ersichtlich, wie breit die Gebiete sind, in denen sich das IKRK engagiert. Es versucht mit einfachen Mitteln, einen Ausgleich zu den Tragödien und Verbrechen der Welt zu schaffen. Die Ausstellung vermittelt schwere Kost – unplakativ, aus der richtigen Perspektive, tiefgründig und dennoch verdaubar. 

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