Car­bon auf Kar­ton

Temporärer Pavillon von Shigeru Ban

Das Museum Rietberg in Zürich hat seine Anlage um eine zusätzliche architektonische Attraktion erweitert. Auf der Terrasse der Villa Wesendonck ist ein temporärer Sommerpavillon entstanden –entworfen vom japanischen Architekten Shigeru Ban. Ab dem 16. Juni 2013 dient er drei Monate lang als Veranstaltungsort und erweitertes Museumscafé.

Date de publication
11-06-2013
Revision
28-10-2015

Shigeru Ban ist unter anderem für seine temporären Bauten aus einfachsten Materialien berühmt. Die Grenze zwischen temporär und permanent ist ihm zufolge fliessend – sie hängt davon ab, wie lange die Menschen ein Gebäude stehen lassen möchten. Ban kennt das Museum Rietberg von seiner Teilnahme am Wettbewerb um die Erweiterung vor elf Jahren. Diesen Sommer wird in Zürich auch sein Neubau für das Medienhaus Tamedia fertiggestellt. 

Sein Konzept für den Pavillon des Museums Rietberg sieht vor, dass die einzelnen Bauteile aussergewöhnlich leicht sind und daher sehr unkompliziert auf- und abgebaut werden können. Mit den Ingenieuren Conzett Bronzini Gartmann AG (Statik) und Staubli, Kurath & Partner AG (Carbonfachwerk) wurde ein Tragwerk aus äusserst unkonventionellen Materialien entwickelt. 

Zehn schwarze Fachwerkträger aus Carbon sind auf je zwei bräunlichen Kartonsäulen befestigt und werden von einer weissen Zeltmembran überdacht. Die hohlen, wuchtig wirkenden Säulen sind mit der teppichbedeckten Holzkonstruktion des Bodens verbunden. Zwölf in das Terrain eingelassene Punktfundamente geben dem Leichtbau Stabilität. Horizontalkräfte werden durch Windverbände aus gekreuzten Stahlseilen und einem Ring aus Holztafeln aufgenommen. Leider hat die Raffinesse der Konstruktion bei der Möblierung nicht mehr Pate gestanden. 

Carbon ist ein Hochleistungsmaterial – seine Zugfestigkeit beträgt rund das Zehnfache jener von Baustahl, sein spezifisches Gewicht beträgt aber nur ein Fünftel. Der Verbundwerkstoff besteht aus Kohlefasern und einem stabilisierenden Harz. Er ist extrem teuer, sehr aufwendig in der Fertigung und wird deshalb bisher kaum im Baubereich verwendet. Auch Karton ist ein selten eingesetztes Baumaterial, soll aber grosses Potenzial als Holzersatz haben.

Vor Sommerregen schützt eine Haut aus grossformatigen, transparenten Polycarbonatelementen, die sich zu weiten Teilen aufklappen lassen und dann den Blick auf Park, Stadt und See freigeben. Die Fassade ist an einem feingliedrigen Stahlrost befestigt, der sich zwischen die Fusspunkte der Säulen und die auf ihnen liegenden Holztafeln spannt. 

Bevor die Kartonsäulen Anfang September abgebaut, ineinandergesteckt und bis zum nächsten Frühsommer zwischengelagert werden, ist der Pavillon während der Öffnungszeiten des Museums für jedermann offen, der sich von der Materialästhetik überzeugen will. Am 16. Juni 2013 feiert das Theater Neumarkt mit dem Stück «Elegante Nichtigkeit» im Garten der Villa Wesendonck Premiere; bis zum 14. Juli wird der Pavillon im Rahmen der Festspiele Zürich als «Treibhaus Wagner» bespielt.

Magazine

Sur ce sujet