Der Fluss- und Auen­kan­ton

20 Jahre Auenschutzpark Aargau

Mit der Schaffung des Auenschutzparks ist dem Kanton Aargau in den ­letzten 20 Jahren eine Pionierleistung gelungen. Renaturierte Auen und eine attraktive Flusslandschaft könnten zum Markenzeichen des Aargaus werden.

Date de publication
03-09-2014
Revision
18-10-2015

Ein beliebtes Klischee vom Aargau ist dasjenige vom Rüeblikanton. Zweifellos spielt die Landwirtschaft hier eine wichtige Rolle. Aber auch dem Naturschutz kommt ein hoher Stellenwert zu. Eindrücklicher Beleg dafür sind die Auen. In keinem anderen Kanton ist der Auenschutz in der Verfassung verankert. Eine kantonale Initiative der Naturschutzverbände verlangte, dass innerhalb von 20 Jahren mindestens 1% der Kantonsfläche als Auenschutzpark auszuscheiden sei. Die Aargauer Bevölkerung stimmte der Initiative 1993 mit knapp 68% der Stimmen zu. Der Volksentscheid markierte den Start eines umfassenden Renaturierungsprogramms entlang der Aargauer Flüsse. 20 Jahre später ist das Ziel fast erreicht. Der Aargauer Auenschutzpark umfasst heute 0.94% der Kantonsfläche (13.26km2). 

67 % der Schweiz entwässern durch den Aargau

«1% klingt nach wenig», sagt Bruno Schelbert, der Programmleiter Auenschutzpark bei der Abteilung Landschaft und Gewässer des Kantons Aargau. «Doch wir befinden uns mitten in einer stark genutzten Landschaft zwischen den Agglomerationen von Bern, Basel und Zürich.» Das in der Verfassung festgeschriebene 1%-Ziel war klug gewählt: prägnant, ehrgeizig, aber doch realistisch. 

Der Aargau hat zwar fast keine Seen, dafür aber viele Flüsse. Im sogenannten Wasserschloss bei Brugg münden Reuss und Limmat in die Aare. Das Einzugsgebiet dieser drei Flüsse umfasst etwa 40% der Schweizer Landesfläche. Nimmt man den Rhein hinzu, dann fliesst das Wasser von mehr als zwei Dritteln der Fläche der Schweiz durch den Aargau. Und wird die abfliessende Wassermenge betrachtet, sind es sogar drei Viertel.

Alles ist im Fluss

Auen leben von der Dynamik des Flusses. Sie wandeln sich ständig und werden periodisch überflutet. Die Flussufer erodieren, Kies und Sand werden transportiert und abgelagert. Lebensräume entstehen und verschwinden wieder. Die einzige Konstante ist der Wandel. Die Flusstäler des Aargaus waren einst durch grosse Auengebiete geprägt. In den letzten 150 Jahren sind rund 90% der aargauischen Auengebiete verloren gegangen.1 Flüsse wurden kanalisiert, und Dämme schützen Landwirtschaftsland, Siedlungen und Infrastrukturbauten. Die übrig gebliebenen Auen sind stark durch den Menschen geprägt. Zwei Drittel der Aargauer Auengebiete sind durch Wasserkraftwerke beeinflusst. Der Geschiebetransport ist beeinträchtigt oder sogar ganz unterbunden. Aufgrund der zahlreichen Wehre, die die Aare aufstauen, um für die Stromproduktion nutzbares Gefälle zu gewinnen, verbleiben auf der 126km langen Strecke zwischen dem Bielersee und der Mündung in den Rhein nur 16km freie Fliessstrecke, 4km davon im Wasserschloss. 

Hotspot der Biodiversität

Für die Erhaltung der Biodiversität ist der Lebensraum der Auen zentral. Obwohl sie nur etwas mehr als ein halbes Prozent der Schweizer Landesfläche bedecken, beherbergen sie Schätzungen zufolge 1500 Pflanzenarten, was ungefähr einem Drittel der Schweizer Flora entspricht.2 Aufgrund der engen Verzahnung von Wasser- und Landlebensräumen gehören Auen hinsichtlich der Fauna zu den artenreichsten Lebensräumen.3 Und auch die Menschen halten sich gern am Wasser auf. Renaturierte Fliessgewässer und Auen sind äusserst attraktive Erholungsräume.

Nach Annahme der Initiative setzte der Kanton Aargau 1996 die Auengebiete im kantonalen Richtplan erstmals fest und formulierte die Rahmenbedingungen für die Umsetzung das Auenschutzparks. In der Folge erstellte das Baudepartement ein Sachprogramm mit  Schutz- und Aufwertungszielen für den Zeitraum von 1998 bis 2014. Bis heute investierte der Kanton Aargau rund 50 Mio. Franken in den Auenschutzpark. Bei Flussrenaturierungen stellt der Landbedarf oft eine der grössten Herausforderungen dar. Laut Bruno Schelbert liessen sich aber alle Projekte des Auenschutzparkes mittels Landabtausch oder -erwerb realisieren; Enteignungen waren bisher keine nötig.

Zwischen Aarau und Wildegg 

Die Früchte von 20 Jahren Auenrenaturierung kann man unter anderem zwischen Aarau und Wildegg erleben. Mit einer Fläche von 317ha ist es das grösste zusammenhängende Auengebiet im Aargau. Eine 10km lange Wanderung führt an sämtlichen Projekten vorbei, die der Kanton in diesem Gebiet bisher realisiert hat.4 Die Wanderung beginnt in Aarau an der Stelle, wo die Suhre in die Aare mündet. Nur wenig aareabwärts ist der Biber am Werk. Im Rohrer Schachen entfernte man auf einer Strecke von 900m den direkt an der Aare verlaufenden Damm und ersetzte ihn durch einen zurückversetzten neuen Hochwasserschutzdamm. Durch regelmässige Überflutungen entsteht in diesem bis zu 180m breiten Streifen nun eine für diesen Ort typische Weichholzaue mit Weiden und Pappeln.

Früher mäandrierte die Aare im flachen Gebiet. Sie änderte ihren Flusslauf laufend, sodass aus abgeschnittenen Flussschlaufen immer wieder stehende Gewässer entstanden. Einen solchen Altarm bildete man im Aarschächli nach. Der durch das Grundwasser gespiesene See ist 2.5ha gross und bis zu 3m tief. Eine Kartierung ergab kürzlich, dass inzwischen 30 der rund 80 in der Schweiz nachgewiesenen Libellenarten im Aarschächli vorkommen.

Bei den durch die Wasserkraft beeinträchtigten Abschnitten sind Kompromisse unumgänglich. «Wir wollen die bestehenden Nutzungen grundsätzlich erhalten», sagt Schelbert. «Der Spielraum zugunsten einer natürlicheren Flussdynamik soll aber so weit wie möglich genutzt werden.» Beim Kraftwerk Rupperswil-Auenstein bedeutete dies, dass die Restwassermenge sukzessive erhöht und im Altlauf eine neue Dotierturbine installiert wurde. Seit 2006 steht den Fischen zudem ein 660m langes Umgehungsgewässer zur Verfügung.

Ein neuer Seitenarm

Doch wie lässt sich erreichen, dass sich in einem so stark genutzten und regulierten Flusssystem wieder mehr Dynamik entfalten kann? Eine vollständige Wiederherstellung der Prozesse einer Auenlandschaft ist nicht möglich. Aufgrund der zahlreichen Wehre und aufgestauten Flussstrecken ist beispielsweise der Geschiebehaushalt stark beeinträchtigt. In einem neu geschaffenen 20m breiten und 1500m langen Seitenarm bei Rupperswil soll künftig in kontrolliertem Rahmen wieder Dynamik stattfinden. Dank diesem durch den Bagger geschaffenen Flusslauf entstanden neue Steilufer, die dem seltenen Eisvogel als Brutplatz dienen. Durch Erosion führen sie dem Fluss auch Kies und Sand zu, die das Ausgangsmaterial für Kiesbänke bilden. Ein Leitwerk soll sicherstellen, dass möglichst immer Wasser in den neuen Seitenarm geleitet wird und dadurch bei Hochwasser die gewünschte Dynamik entsteht.

Besonders gut zu sehen ist der keilförmige Wasserteiler auf der Insel zwischen dem Unterwasserkanal des Kraftwerks und der alten Aare. Über eine 2011 vom SIA Aargau prämierte Spannbandbrücke5 gelangt man wieder auf die rechte Flussseite und von dort nach Wildegg.

Anmerkungen

  1. www.ag.ch/de/bvu 
  2. Bundesamt für Umwelt: Merkblattsammlung Wasserbau und Ökologie, Merkblatt 2 «Biodiversität in Fliessgewässern», 2012. 
  3. Christian Rust-Dubié et al.: Fauna der Schweizer Auen, Bern 2006.
  4. Informationen und Flyer: www.ag.ch/bvu 
  5. www.ag.sia.ch 

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