Ers­chüt­terndes vom Be­ben

Erdbeben sind allgegenwärtig. Trotzdem sind sie im menschlichen Bewusstsein – vor allem in seismisch weniger aktiven Gegenden – kaum präsent. Dass man sie in der Schweiz nicht negieren sollte, zeigen ein Erdbebenrisikomodell im Auftrag des Bundesrats und diverse Forschungsarbeiten der Berner Fachhochschule.

Date de publication
13-04-2023

Dass in der Schweiz täglich die Erde bebt, ist eine Tatsache, die man allerdings kaum mitbekommt. Über 1000 Mal pro Jahr gibt es Erschütterungen aufgrund seismischer Aktivitäten. Über 200 seismische Stationen des Schweizerischen Erdbebendienstes (SED) sorgen dafür, dass man ihre Anzahl so genau kennt. Eine davon, in der Nähe von Davos, hat eine besondere Aufgabe: Sie dient der Überwachung des Atomteststopp-Vertrags. 2016 zeichnete sie Erschütterungen auf, nachdem Nordkorea eine Atomwaffe getestet hatte. Zwölf Minuten dauerte es, bis die Aus­wirkungen der Detonation in der Schweiz registriert wurden. Waren diese Aufzeichnungen der menschlichen Dummheit geschuldet, hat auch die Natur genügend Erschütterndes zu bieten.

Die meisten Beben haben keine Auswirkungen auf menschliche Aktivitäten, man nimmt sie nicht einmal wahr. Zehn bis zwölf Erschütterungen pro Jahr jedoch sind vom Menschen spürbar. Und auch starke Erdbeben traten hierzulande schon des Öfteren auf, etwa 1356 in Basel, 1855 im Vispertal oder 1946 in Sierre.

Aufgrund der mangelnden historischen Aufzeichnungen sind die Auswirkungen dieser früheren Beben schwer einzuschätzen. Mildernd auf die Zahl der Opfer wirkte sich natürlich die damals bedeutend geringere Bevölkerungsdichte aus. Aber wie sähe ein solches Ereignis heutzutage aus? Welche unmittelbaren Auswirkungen und Schäden würden sich einstellen?

Was passiert, wenn es heute passiert?

Der Schweizerische Erdbebendienst an der ETH Zürich hat nun zusammen mit dem Bundesamt für Umwelt (Bafu), dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz (Babs), der EPF Lausanne und weiteren Partnern aus der ­Industrie ein umfassendes Erdbebenrisikomodell für die Schweiz entwickelt.

Für einen Zeitraum von 100 Jahren wird darin eine Schadenshöhe von 11 bis 44 Milliarden Schweizer Franken berechnet – allein durch unmittelbare Aus­wirkungen von Erdstössen. Flutwellen in Seen, Hang­rutschungen oder Brände, die als Folge seismischer Aktivitäten auftreten können, sind darin noch gar nicht abgebildet. Das Modell geht von 150 bis 1600 Todesfällen aus. Zum Vergleich: Die Schäden des sogenannten «Jahrhunderthochwassers» im Jahr 2005, von dem weite Teile der Schweiz betroffen waren, beliefen sich auf drei Milliarden Franken. Sechs Tote waren damals zu beklagen.

Träte das Basler Beben von 1356 mit einer ­Magnitude von 6.6 auf der Richter-Skala heute auf, prognostiziert das Modell Schäden in der Höhe von 45 Milliarden Franken und etwa 3000 Tote.

Das sind durchaus erschreckende Szenarien und es kommt im Gegensatz zu Hochwasser oder Stürmen noch etwas hinzu: Es gibt keine Vorwarnzeit – im Ereignisfall kann man keine Vorsorge mehr treffen. Selbst bei einem Hochwasser hat man oft noch eine gewisse Zeit, Dinge zu retten oder sich in Sicherheit zu bringen. Ein Erdbeben kommt schlagartig. Die Vorkehrungen hierfür müssen bereits Jahre bis Jahrzehnte vorher erbracht werden – durch die Überprüfung von Bauten auf Erd­bebensicherheit sowie geeignete Bauverfahren und Baumassnahmen. Das Bafu hat hierzu zwei neue Arbeitshilfen veröffentlicht.

«Erdbebensicherheit von Baudenk­mälern» – Eine interdisziplinäre Wegleitung für Akteurinnen und Akteure, die bei der Überprüfung der Erdbebensicherheit sowie bei der Planung und Umsetzung von Erdbebensicherheitsmassnahmen an Baudenkmälern involviert sind.


Erd­be­ben­si­cher­heit bei le­bens­wich­ti­ger Funk­ti­on – Eine Publikation über eine einheitliche und normkonforme Behandlung bei Bauwerken mit einer lebenswichtigen Funktion. 

Klopf auf Holz: Seismik im Wallis

Betrachtet man die Landkarte des Erdbebenrisikos der Schweiz, fällt neben den Städten Basel, Genf, Zürich und Luzern, die in dieser Reihenfolge das grösste Risiko aufweisen, das Wallis mit dem Rhonetal ins Auge. Risiko ist nicht mit Eintretenswahrscheinlichkeit eines Bebens zu verwechseln, da in Ersterem das Schadens­potenzial mit eingeht. Dass ein Erdbeben auftritt, ist im Wallis wahrscheinlicher als etwa in Zürich, allerdings sind die Auswirkungen in der Grossstadt verheerender. In Leukerbad im Liegestuhl zu liegen ist üblicherweise weniger riskant, als im Zürcher Büro zu sitzen, in dem die Schränke umkippen, wenn sich gerade die afrikanische Kontinentalplatte mit der eurasischen ein Gerangel liefert. Dies ist auch der Hauptgrund für seismische Aktivitäten in der Schweiz: Die afrikanische und eurasische Lithosphärenplatten driften aufeinander zu. Dabei dringt der sogenannte apulische Sporn der afrikanischen Platte weit in Richtung Alpen vor. Dies führt zu Spannungen im Gestein. Entladen sich diese, bebt die Erde.

Im Wallis prallt Seismik auf alte, interessante Bausubstanz beziehungsweise einen eigenen Baustil. Die Holzbauten, etwa die zur Mäuseabwehr auf Steinplatten stehenden Holzstadel, sind berühmt. Die Berner Fachhochschule hat sich in zwei Forschungsvorhaben Holzbauten traditioneller, aber auch moderner Art an­ge­nommen und unter anderem deren Schwingungs­verhalten untersucht. Dieses ist ein massgebender ­Faktor für die Erdbebensicherheit eines Gebäudes.

Schwung in alte Bausubstanz bringen

Unter dem Titel «Veta/Nova – Bausubstanz einfach erneuern, Teil 5, Erdbebensicherheit» stellt das Forschungsteam einen Leitfaden zur Verfügung, wie man bei einer Prüfung der Erdbebensicherheit dieser historischen, ehrwürdigen ­Gebäude vorgehen kann und mit welchen Mitteln sie ertüchtigt werden können. Zehn unterschiedliche Blockbauten – vom Holzstadel auf Steinplatten bis zu mehrstöckigen Wohnhäusern – nahmen die Ingenieure ins Visier und untersuchten systematisch deren Schwingungsverhalten bei kleinen Anregungen mit Umgebungsschwingungsmessungen (Ambient Vibration Measurements AVM).

Ein Stall wurde auch einem Ausschwingversuch unterzogen, der Rückschlüsse auf das Verhalten im Erdbebenfall mit einer grossen kurzfristigen Belastung zulässt. Am Gebäude wird hierfür ein Stahlseil angebracht und bis zu bestimmten Belastungen gezogen. Schlagartig wird dann das Seil entspannt und die Schwingungen der Baute gemessen.

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«Ich plä­die­re für mehr dy­na­mi­sches und ho­ri­zon­ta­les Den­ken» – Viele Tragwerksplaner sind zurückhaltend, wenn es um die Erdbebenbemessung von Holzbauten geht. Martin Geiser, Leiter der Gruppe Erdbeben­ingenieurwesen an der Berner Fachhochschule in Biel, erläutert, wo die Herausforderungen bezüglich Entwurf, Analyse und Bemessung liegen, und gibt einen Einblick in seine Forschungstätigkeit.

Als Schwachpunkte der Blockbautenkonstruktionen stellten sich z.B. der Übergang der gemauerten Erdgeschosse zum eigentlichen Holzbau, schwere mit Steinplatten gedeckte Dächer und teilweise die Fugen zwischen den einzelnen Balken heraus. Letztere sind stark von der Qualität der Verkämmung der Balken abhängig. Je mehr Scheibenwirkung die Dach- und Wandscheiben aufweisen, desto besser ist das Verhalten im Erdbebenfall. Über durch die Fuge gehende Verschraubungen der Balken lässt sich hier einiges an Sicherheit dazugewinnen. Auch die Aufständerung der Stadel mit den Steinplatten ist ein seismischer Schwachpunkt. Solche problematischen Zonen sind aber keineswegs ein Charakteristikum von Holzbauten. Beim Kongresshaus in Biel etwa existiert eine ähnliche Konstruktion – eine Scheibe, die auf Stützen steht. Und die Ausbildung einer Scheibenwirkung ist auch bei der Klosterkirche Königsfelden ein grosses Thema.

Die ausführliche Version dieses Artikels ist und weitere Beiträge zum Thema finden sich in TEC21 11/2023 «Öfter als gedacht: Erdbebenertüchtigung denkmalgeschützter Gebäude».

Projektbeteiligte «Veta/Nova»
Berner Fachhochschule (BFH), Institut für Holzbau, Tragwerke und Architektur (IHTA)
Abgottspon Werlen Architekten, Visp VS
SRP Ingenieur, Brig-Glis VS
ARGE Dorfkernerneuerung Oberwallis
Holzbau Weger, Goms VS
Lauber Iwisa, Naters VS
P. Imhof Metallbau, Lax VS
Farbe + Gips, Brig VS
Kurt Karlen Bau- und Möbelschreinerei,
Stalden VS
Holzbau Noll, Brig-Glis VS
Schreinerei Perren, Bellwald VS
Atelier Summermatter Ritz, Brig-Glis VS
Truffer Ingenieurberatung, Lalden VS
Anton Imhof Ingenieurbüro, Grengiols VS
Gutex Schweiz,
Frauenfeld TG
Jomos Brandschutz, Balsthal SO
James Hardie Europe, Düsseldorf (D)
Fisolan, Worb BE
Siga Cover, Schönefeld (D)
Innosuisse, Bern


Projektbeteiligte CLT Dynamics
Berner Fachhochschule (BFH), Institut für Holzbau, Tragwerke und Architektur (IHTA)
Ancotech, Dielsdorf ZH
André, Morges VD
AJMCE, Tavannes BE
AVEMEC, Sion VS
H. Buchard, Martigny VS
Beer Holzbau,
Ostermundigen BE
Bundesamt für Umwelt Bafu, Bern
CLT Suisse, Orges VD
Dénériaz, Sion VS
DF2-Befestigungstechnik, Boswil AG
EPFL, Lausanne VD
Erne Holzbau,
Laufenburg AG
Gauye et Dayer, Sion VS
Gebäudeversicherung Bern GVB, Ittigen BE
Immer, Rothenburg LU
JPF-Ducret, Bulle FR
Les Artisans du Bois, Haute-Nendaz VS
Lignum Suisse, Zürich
Mivelaz Techniques Bois, Le Mouret FR
Renggli, Schötz LU
Roth Burgdorf,
Burgdorf BE
Rotho Blaas, Kurtatsch (I)
Schäfer Holzbautechnik, Aarau
Schilliger Holz,
Küssnacht SZ
Pius Schuler, Rothenturm SZ
Groupe Volet, St.-Légier VD

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