Him­mel­grau über Sei­ne­grün

Maison de la Radio et de la Musique

Seit die Maison de la Radio im Jahr 2018 zu den Monuments Historiques zählt, gibt Chatillon Architectes wichtigen repräsentativen Räumen mit feinem Gespür ihre einstige Eleganz zurück. Die Renovation erfolgt im Rahmen des 18-jährigen Gesamtkonzepts von Architecturestudio und nachdem SRA Architectes die alten Räume baulich bereinigt hatte.

Date de publication
16-03-2023

Ein Lieblingsausdruck der Planenden bei der Maison de la Radio et de la Musique, wenn man nach dem Zeitpunkt gewisser baulicher Eingriffe fragt, ist «au fil du temps». Die Worte tragen der Tatsache Rechnung, dass an dem Haus während seines 60-jährigen Bestehens eine unüberschaubare Anzahl an Eingriffen vollzogen, ergänzt, weitergeführt, mit neuen Interventionen überdeckt oder wieder rückgängig gemacht wurden. Man begreift, das «Ganze» ist Resultat einer epochalen Summe.

Dabei schwingt bei den Beteiligten Stolz mit, Teil dieser reichen, Frankreichs Kultur prägenden Geschichte zu sein. Fast alle und alles, was Rang und Namen hat, ist hier vereint: weltbeste Musiker und Orchester für Live-Konzerte in den Sälen, umgeben von baulich hochstehender Technik, modernste Materia­lien, Mosaike, Skulpturen und Teppiche berühmter Künstler, die der Architekt Henry Bernard miteinbezog.

So prägte im Originalzustand je ein Kunstwerk die öffentlichen Repräsentativräume. Im Eingangsfoyer gegen die Seine gehen die Besucherinnen und Besucher an den raumtrennenden Holzskulpturen von François Stahly vorbei. Die Seitenwände des grossen, legendä­ren Studio 104 fassen zwei kraftvolle Flachreliefs von Louis Leygue, und auch in den ehemaligen Künstlerfoyers B, C, E und F vor den 14 Kreativ-Studios befinden sich Werke von darstellenden Künstlern, die der «Ecole de Paris» angehörten.

Doch im Lauf der Zeit wurden die Orte zweck­entfremdet. Die feinen Baudetails und die Kunstwerke verschwanden hinter Zwischenwänden für Büros, Regalen, Wandverkleidungen oder heruntergehängten Decken und die räumliche Gesamtwirkung litt. «Im Haus wurden die Räume situationsbedingt gerne umgenutzt zu etwas, wozu sie nicht gedacht waren», so ­Sidonie Guenin, die für die Renovation zuständige Direktorin bei Radio France. «Dass wir seit fünf Jahren in Verzeichnis der Monuments Historiques (MH) eingeschrieben sind, erlaubt es nun, die Räume zu schützen.»

Denkmalschutz in Etappen

Aber einfach war das nicht. Allein die Entwicklung des Schutzstatus des Baus ist eine Geschichte in mehreren Kapiteln. Da die Seine-Ufer seit 1991 Unesco-Weltkulturerbe sind, war der Erhalt seiner Silhouette und des Turms eine Auflage im Wettbewerb von 2005. Als dem Haus elf Jahre später das Label «Kulturerbe des 20. Jahrhunderts» verliehen wurde, rückten auch seine innenräumlichen Qualitäten als «Gesamtkunstwerk» weiter ins Bewusstsein.

Das Label, eine reine Auszeichnung ohne Schutzstatus mit Auflagen, veranlasste Radio France im gleichen Jahr, das «Mobilier National» zu beauftragen, das Büro der Direktion von Radio France und einen Wandteppich des Künstlers Pierre Soulages in sein Inventar aufzunehmen. Erst im März 2018 – also 13 Jahre nach dem Wettbewerb – fiel das Gebäude als Monument Historique unter Denkmalschutz. Der Status umfasst unter anderem die Grundflächen des Baus, die Eingangsfassade und -halle gegen die Seine, die Fassaden und Dächer, einen Teil der Erschliessungen, das Studio 104, die Künstlerfoyers B, C, E und F, die öffentlichen Foyers 101 und 105, das Büro der Direktion sowie die Service-Treppen, «Chambord» genannt, im äusseren Ring.

Mehr zur Maison de la Radio et de la Musique Paris in TEC21 8/2023 «Klangfarben einer Renovation».

Seit der Unterschutzstellung muss das Haus besonders gepflegt werden. Dies ermöglicht den Zugang zu Subventionen, verpflichtet aber auch, die Stellungnahmen der Directions Régionales des Affaires Culturelles zu berücksichtigen. Der Denkmalwert teilt die Räume in drei Kategorien: Hohen Schutzstatus haben jene, in denen ein Grossteil der ursprünglichen Elemente erhalten blieb, bei anderen mit mittlerem Wert handelt es sich um wiederhergestellte Räume mit nur teils originalen Elementen. Völlig umgestaltete Bereiche haben keinen Denkmalwert.

Nach der Unterschutzstellung des Baus 2018 wurden Chatillon Architectes unter anderem mit der Überarbeitung und Restrukturierung der vier besonders schönen ehemaligen Künstlerfoyers B, C, E und F und der öffentlichen Foyers 101 und 105 beauftragt. Sie kümmerten sich auch um die Renovation der grossen Kunstwerke und der Verbindungstreppen zwischen den Foyers sowie jener der fünf Servicetreppen. Der Referenzzustand für die Renovation sind dabei immer die 1960er-Jahre. «Herausfordernd ist, das neu Hinzugefügte mit einer funktionalen Aufwertung dem Bestand anzupassen», so Quentin Govindoorazoo, der Projektleiter von Chatillon Architectes. Francois Chatillon, der Bürogründer, ist einer der Chefarchitekten der Monuments Historiques, einer spezialisierten, dem Kulturministerium angegliederten Gruppe, die für Über­wachung, Beratung und Begutachtung des Kultur­erbes im Auftrag des Staats zuständig ist.

Die Künstlerfoyers

Zuerst mussten allerdings die räumlichen Grundlagen bereinigt werden: die im Lauf der Zeit eingefügten Einbauten und der Asbest entfernt und die Räume und ihre Oberflächen, insbesondere auch die alten Gipsdecken, die jedes Foyer auszeichnen, instand gesetzt oder erneuert werden. Für die Ausführung dieser Arbeiten übernahm SRA Architectes die Bauleitung. Das erste fertige Foyer E gehört zu den angrenzenden Studios 114/115/116. In ihm wurde neu die Cafeteria untergebracht. Sie bietet den Angestellten mehr Komfort, als dies im alten Café in der dunklen und schwer zugänglichen Agora der Fall war. Die ursprüngliche Atmo­sphäre des Foyers kommt wieder zur Geltung und das historische Mosaik von Gustave Singier, von dem Steine weggebrochen waren, wurde unter Leitung von ­Cahtillon Architectes restauriert. Die raumhohe Fensterreihe bietet einen sehr pariserischen Panoramablick auf das bourgeoise 16. Arrondissement. Gleichzeitig kommt im «geleerten» Raum die gekrümmte Perspektive entlang der Aussenfassade wieder zur Geltung.

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Chatillon Architectes entwarf Einstellmöbel und einen Barkiosk, passend zum Stil des Gebäudes und inspiriert von den original 1960er-Jahre-Materialien. Die abgerundeten Möbel aus rostfreiem Stahl, Mineralharz und geräucherter Lärche passen sich dem runden Grundriss an. Als Vorlage dienten Dokumente von Originalräumen aus den reichen Archiven von Radio France. Fotos zeigen auch, dass früher die Verbindungszonen mit den Treppenaufgängen zwischen den Foyers offen zueinander waren und so ein räumlicher Rhythmus entstand. Dieser verschwindet heute leider hinter Brandschutztüren. Es gab angesichts der Vorschriften und der finanziellen Möglichkeiten keine Alternativen. Feuersichere Glas­türen wären zu teuer gewesen, denn in Frankreich muss der Architekt im Wettbewerb einen verbindlichen Preis vorgeben. «Es gab keinen Verhandlungsspielraum – vor allem weil es sich nicht um eine einzelne Türe, sondern um die Türen aller Foyers handelte», bedauert Quentin Govindoorazoo.

Ein Wandteppich von Pierre Soulages dominiert das Foyer F, und einer von Alfred Manessier das Foyer C. Das Foyer B ist mit einem Mosaik von Jean Bazaine geschmückt. Im Gegensatz zu den Glassteinen des ­Mosaiks von Gustave Singier im Foyer E wurden hier auch Onyx- und Marmorstücke verwendet, sodass das Bild texturierter erscheint und das Licht vielfach reflektiert. «Die zylinderförmigen Deckenleuchten im Foyer B waren aus Polycarbonat – sehr ungünstig, da das Material bei einem Brand auf die Besucher tropfen würde», so Sidonie Guenin.

Sie wurden aus Milchglas neu gefertigt. Die unterschiedlich gestalteten Deckenreliefs übernehmen mit der Raumform, die der Gebäuderundung folgt, auch eine akustische Funktion. Architektur, Kunstwerke und Decken machen jedes Foyer für sich als eine gestalterische Einheit und in der Summe aller Foyers ein differenziertes Spiel ablesbar.

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 8/2023 «Klangfarben einer Renovation».

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