1952, Mai­son de la Ra­dio

Publikationsdatum
17-03-2023

Anfang der 1950er-Jahre erstellte die französische Rundfunkanstalt (RTF) das komplexe Programm für eine Maison de la Radio in Paris. Sie verlangte die Zusammenlegung aller Abteilungen: 920 Büros, 54 Studios und drei öffentliche Veranstaltungssäle. Die Stadt stellte das enge Grundstück auf dem ehemaligen Gelände des Gaswerks Passy im 16. Arrondissement zur Verfügung. Im Ok­to­ber 1952 wurde der anonyme Architekturwettbewerb eröffnet. Die Jury entschied sich im Mai 1953 unter den 26 Architekturbüros für den Beitrag «Cheval» von Henry Bernard und 1958 begannen die Bauarbeiten. Der Entwurf umfasste drei ineinanderliegende Ringe mit einem mittigen Archivturm. Der äusserste beherbergt in Form des griechischen Buchstabens Omega (Ω) im unteren Bereich die Foyers mit den Studios und im oberen Bereich die Büros. In einem viertelkreisförmigen Gebäude, das das Omega zur Seine hin abschliesst, be­finden sich eine öffentliche Halle und die Direktions­räume. Dieser äusserste Ring wurde als Lärmschutzwall aus Stahlbeton konzipiert. Er schirmt einen zweiten, niedrigeren Innenring ab. Da­rin befanden sich etwa 20 Auf­nahme­studios – die sogenannten mittleren Studios – sowie drei öffentliche Veranstaltungsräume, Varie­tés und die Musik­studios 102, 103 und 104.

Henry Bernard isolierte diese Studios und Vortragssäle akustisch in unabhängige Kästen aus zwei ineinandergestellten Hüllen. Die inneren Schalen umfassen die Saal­decken, die armierten, ausgefachten Wände und den Boden, der mit einer Ballast­schicht gegen den Auftrieb des Seine-Grundwassers ergänzt ist. Um sie vollständig in den kreisförmigen Grundriss zu integrieren, gab er ihnen eine Trapezform. Beim 63 m hohen, 22-stöckigen Archiv­turm handelt es sich um eine Stahlkonstruktion mit vorfabrizierten Deckenplatten. Er steht als «Gedächtnis des Jahrhunderts» im Zentrum der Komposition. Unter dem 500 m umfassenden und 36 m hohen ­Aussenring befanden sich Atomschutz­räu­me für 700 Personen und 500 Parkplätze. Nach seiner Ab­riegelung gegen aussen hätte im Ernstfall von dort aus weiter Radio ausgestrahlt werden können. Die Studios und Konzertsäle ragen vom äus­seren Ring in den niedrigen ­Zwischenring zum Hof. Sein Dach tragen 62 vor­gespannte, am Platz vorgefertigte Träger mit 22 m Spann­weite. Die Gründung des Volumens von 500 000 m³ erfolgt über 756 Bohrpfähle.

Im Geist der technikaffinen Zeit konzipierte Bernard, der ein radikaler Funktionalist war, den Bau wie eine Maschine und stellte sich ein monumentales Haus vor, das «wie ein Vergaser» funk­tioniert. Er lotete die Konstruktion millimetergenau aus: Spannbetondecken mit sparsamen Dicken von 11 cm und einer Fassadenverkleidung aus feinen, 4 mm dicken Aluminiumblechen sowie einer Geothermieanlage im Keller. Sie spies bis 2011 die Heizung für die 8 ha Decke und die Lufterhitzer der Klima­anlage durch natürliches Warmwasser aus 600 m Tiefe.