Macht und Ohn­macht

Was können Planerinnen und Planer zu einer nachhaltigen Entwicklung im Sinn der UN beitragen? Sollten sie es überhaupt versuchen? Sind die Nachhaltigkeitsziele der UN unverfängliche Absichtserklärungen, die bestenfalls für Greenwashing taugen – oder doch ein sinnvoller Ansatz, um komplexe Zusammenhänge in den Griff zu bekommen?

Date de publication
06-01-2023

Mittlerweile sollten eigentlich alle Bescheid wissen: Vor sieben Jahren verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, die Sustainable Development Goals oder SDG, das Kernstück der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Auch die Schweiz beteuert seither ihren Willen, die 17 Ziele umzusetzen. Nicht weniger als 15 Bundesämter, vier Staatssekretariate und verschiedene weitere Bundesorgane setzen sich offiziell dafür ein, koordiniert von einem Direktions­komitee, in dem alle sieben Departemente der Landesregierung vertreten sind. Der Bundesrat hat eine eigene Agenda 2030 und eine Strategie Nachhaltige Entwicklung veröffentlicht, es gibt diverse Förderprogramme und den Wunsch, die traditionelle Partnerschaft zwischen staatlichen und nicht staatlichen Akteuren auch in dieser Sache zu vertiefen.

Und dennoch: Wer unter Ingenieurinnen und Architekten die UN-Nachhaltigkeitsziele anspricht, erntet in der Regel verständnislose Blicke. Der an Fachveranstaltungen verteilte Pin mit dem hübschen Farbenkreis, der die 17 Ziele symbolisiert, wird meist als Solidaritätsbekundung mit der LGBTQI+-Diversity-Bewegung interpretiert. Zwar bekennen sich auch in der Schweiz immer mehr Firmen – vor allem grössere oder international tätige – öffentlich zu den SDG. Doch der Grossteil der Planungs- und Baupraxis hat sie noch nicht ernsthaft zur Kenntnis genommen.

Begründete Zweifel

Ist diese Skepsis angebracht? Sind die 17 Ziele lediglich ein weiterer Aufguss früherer Erklärungen, Absichtsbekundungen, Agenden und Protokolle, mit denen die Mitglieder der Vereinten Nationen feierlich ihren Willen zur Veränderung bekräftigten – um dann unbehelligt wieder zur Tagesordnung überzugehen? Die SDG sind zwar ambitioniert gesteckt, aber ohne konkrete, verpflichtende Zahlenwerte. Solche festzulegen, ist Aufgabe der einzelnen Nationalstaaten für ihr eigenes Territorium. Und in der Tat: Die offene Formulierung, die Themenvielfalt und die handlichen bunten Symbol­bilder, mit denen die UN die Ziele visualisieren und die sie freizügig im Download zur Verfügung stellen, laden geradezu dazu ein, sich die SDG ebenso werbewirksam wie unverbindlich auf die Fahne zu schreiben. Der ­Verdacht liegt nahe, dass viele öffentliche wie private ­Institutionen dies auch tun.

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Dennoch wäre es verfehlt, die UN-Nachhaltigkeitsziele zu ignorieren. Eine grosse Qualität der 17 SDG ist, dass sie alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – die wirtschaftliche, die soziale und die ökologische – berücksichtigen. Sie verdeutlichen deren gegenseitige Abhängigkeiten und hinterfragen eindimensionale, sektorielle Lösungsansätze. Das relativiert teilweise bisherige Bemühungen für eine nachhaltige Entwicklung, enthebt aber niemanden der Verantwortung, stattdessen durchdachtere, fachlich breiter abgestützte Massnahmen zu treffen. Der Verzicht auf globale Zielwerte mag hie und da als Freipass zum Greenwashing gelesen werden, zeugt aber dennoch von Weitsicht, weil er anerkennt, dass der Handlungsbedarf und die Prioritäten je nach Weltgegend unterschiedlich ausfallen.

Unter dem Strich sind die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele gerade wegen ihrer vielleicht etwas naiv wirkenden, weil unquantifizierten Forderungen wirklich ernst zu nehmen: Der ganzheitliche Anspruch verdeutlicht die Komplexität eines Unterfangens, bei dem es für übergeordnete Ziele keine allgemeinen, sondern nur spezifische Lösungen geben kann und bei dem Zielkonflikte unvermeidlich sind. Die SDG ernsthaft anzugehen, erfordert analytische Fähigkeiten, differenziertes Denken, Selbstkritik, Kreativität und Fachkompetenz. Auch wenn vermutlich allen klar sein muss, dass wir seit Jahrzehnten unerreichte Ziele wie «keine Armut» auch bis 2030 kaum erreichen werden, weder global noch national, sollte das niemanden davon abhalten, sich aus der eigenen Fachkompetenz heraus dafür einzusetzen. Insbesondere Planerinnen und Planer können die SDG als Gedankenstütze nutzen, um die eigene Haltung, die eigenen Handlungsfelder und die Grenzen der eigenen Einflussmöglichkeiten in ihrer jeweiligen Disziplin zu reflektieren.

Notwendig, aber nicht hinreichend

Es liegt auf der Hand, dass mehrere UN-Nachhaltigkeitsziele nur mit dem Beitrag der Planungs- und Baubranche erreicht werden können. Nachhaltige Siedlungen, saubere Energie, die Versorgung mit sauberem Wasser, Massnahmen zum Klimaschutz oder die Resilienz der Infrastruktur sind ohne umsichtige Planung und Umsetzung nicht zu haben. Insbesondere in Bezug auf Energie und Klimaschutz ist der Zusammenhang leicht ersichtlich: Gemäss Bundesamt für Energie BFE verursacht der Betrieb des Schweizer Gebäudeparks rund 45 % des Endenergiebedarfs der Schweiz und, weil ein grosser Teil der Energie für Heizung und Warm­wasser aus fossilen Quellen stammt, rund ein Drittel der inländischen CO2-Emissionen.

Das sind eindrückliche Zahlen, die zweierlei belegen. Erstens den enormen Leistungsausweis der Planungs- und Baubranche, die seit den Erdölkrisen der 1970er-Jahre dazu beigetragen hat, den Energiekonsum des Schweizer Gebäudeparks zu reduzieren: Gemäss Bundesamt für Umwelt Bafu sank der Wärmebedarf pro Quadratmeter von neu erstellten Wohnhäusern in den letzten 50 Jahren um rund 75 %. Ohne die bautechnischen Innovationen der letzten Jahrzehnte bis hin zu Nullenergie- und Plusenergiehäusern wären Energiekonsum und CO2-Ausstoss also viermal höher. Zweitens zeigt dieses Beispiel aber auch, dass die Einflussmöglichkeiten der Planerinnen und Planer begrenzt sind. Die bessere Energieeffizienz der Gebäude wurde durch einen höheren Flächenkonsum pro Person und ein Anwachsen der Bevölkerung kompensiert.

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Innovative Entwurfskonzepte und bautechnische Fortschritte sind notwendige, aber keineswegs hinreichende Bedingungen dafür, dass die Nachhaltigkeitsziele in Griffnähe rücken. Neben dem fachlichen Beitrag der Planungs- und Baubranche braucht es auch einen entsprechenden politischen Willen, regulatorische Massnahmen und ökonomische Anreize. In Bezug auf die Energieeffizienz von Gebäuden im Betrieb hat sich in den letzten Jahrzehnten einiges getan: Banken gewähren vergünstigte Baukredite für zertifizierte Bauten, es gibt staatliche Unterstützungsbeiträge an energetische Sanierungen, und die Mustervorschriften der Kantone im Energiebereich werden mit jeder Überarbeitung verschärft. Doch steigender Wohlstand und das damit einhergehende Konsumverhalten sind ebenfalls politisch sanktionierte gesellschaftliche Ziele.

Importierte Güter, exportierter Einfluss

Ein weiteres gut dokumentiertes Beispiel, das den Handlungsbedarf in der Planungs- und Baubranche – und die möglichen Handlungsfelder der entsprechenden Fachleute – in aller Deutlichkeit aufzeigt, sind die CO2-Emissionen. Wie erwähnt verursacht der Betrieb des Schweizer Gebäudeparks rund ein Drittel des inländischen CO2-Ausstosses. Diese Zahl erfasst indes nicht den effektiven CO2-Fussabdruck der Schweizer Planungs- und Baubranche: Ausgeklammert bleiben die grauen CO2-Emissionen, also jene, die durch die Gewinnung, die Herstellung, den Transport und das Verbauen der verschiedenen Baustoffe und Bauteile verursacht werden. Ein Bruchteil dieser grauen Emissionen versteckt sich in den Zahlen anderer Sektoren, etwa der Industrie. Doch der überwiegende Anteil erscheint überhaupt nicht in der Statistik, weil diese nur jene Emis­sionen erfasst, die innerhalb der Landesgrenzen anfallen, die Schweiz aber sehr viele Güter importiert. Gemäss Bundesamt für Statistik kommen auf jede in der Schweiz ausgestossene Tonne CO2 zwei weitere Tonnen anderswo auf der Welt hinzu: Unser globaler CO2-Fussabdruck ist also dreimal höher, als die nationale Statistik ausweist. Dies gilt insbesondere auch für die Baubranche, deren enormer Material­umsatz – gemäss Bundesamt für Umwelt BAFU rund 65 Millionen Tonnen jährlich – beträchtlich zu Buche schlägt, umgekehrt aber auch einen ebenso mächtigen Hebel für die Senkung der CO2-Emissionen ermöglicht.

Wie immer bei globalen Betrachtungen stellt sich auch in Bezug auf die Nachhaltigkeitsziele die Frage, welche Einflussmöglichkeit ein kleines Land wie die Schweiz überhaupt hat. Auch hier ist das Beispiel CO2 erhellend. Was den Ausstoss pro Nation betrifft, rangiert die Schweiz auf Platz 71, erwartungsgemäss weit hinter China, den USA, Indien und Russland. Beim konsumbasierten Pro-Kopf-Ausstoss inklusive externer Emissionen dagegen belegt sie den wenig schmeichelhaften dritten Platz in Europa: Mit knapp 14 Tonnen CO2 pro Person und Jahr liegt sie weit über dem europäischen Durchschnitt. Ändern die Schweizerinnen und Schweizer ihr Konsumverhalten – unter anderem von Baustoffen –, bewirkt das im internationalen Umfeld mehr, als es die Grösse des Landes vermuten liesse.

Ein ähnliches Bild ergibt sich als Antwort auf die Frage, ob und allenfalls was Planerinnen und Planer dazu beitragen können, die 17 UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung zu erreichen. Wie die Schweiz im globalen Umfeld ein geringes Gewicht hat, so haben auch Ingenieurinnen und Architekten in der Schweiz nur beschränkte Einflussmöglichkeiten. Doch beide können mehr bewirken, als es auf den ersten Blick erscheint – die Schweiz aufgrund ihres überdurchschnittlichen Wohlstands und die Planerinnen und Planer, weil ihre Entscheidungen weitreichende Konsequenzen haben. Und zwar sowohl geografisch als auch zeitlich: Was wir hierher importieren, festigt anderswo Produktionsbedingungen und Lieferketten. Was wir heute bauen, muss für die nächsten Generationen passen. Es lohnt sich, darüber nachzudenken, in aller Bescheidenheit, aber bei vollem Bewusstsein der eigenen Verantwortung. Denn trotz allen Einschränkungen in der Praxis haben Ingenieure und Architektinnen das Rüstzeug, um innerhalb ihrer Disziplinen kompetente, fundierte Entscheidungen im Sinne der Nachhaltigkeit zu treffen. Wir sollten es zumindest versuchen.

Quelle:
www.eda.admin.ch/agenda2030

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