Auf dem Weg zu einer vielschichtigen Landschaft
Der Planungsdachverband Region Zürich und Umgebung RZU hat einen umfassenden Strategieprozess lanciert. An einem der Workshops wurde engagiert über das Verhältnis von Siedlungsgebiet, Landschaft und Landwirtschaft nachgedacht. Auch wenn es sich um eine Momentaufnahme handelt, ist die Stossrichtung klar: Es braucht eine integrale Betrachtungsweise im regionalen Rahmen.
Landschaft ist schwer zu fassen und einzuordnen. Es zirkulieren unzählige unterschiedliche Vorstellungen und Interpretationen von Landschaft. Dennoch wird sie mehr und mehr zu einer relevanten «Akteurin» am grossen Tisch der Raumplanung. Hintergrund dieser Entwicklung ist ein Wandel der Wahrnehmung von Landschaft – nicht nur in Fachkreisen. Das 2020 aktualisierte Landschaftskonzept Schweiz LKS basiert auf der von der Schweiz ratifizierten Landschaftskonvention des Europarats, in der ein umfassender und dynamischer Landschaftsbegriff eingeführt wird. Neben den besonders schützenswerten Landschaften wird neu auch den «Alltagslandschaften» eine wachsende Bedeutung zugeschrieben.
Und mit eben diesen Alltagslandschaften landen wir mitten in der Agglomeration. Denn wo sind Siedlungsgebiet und (offene) Landschaft enger ineinander verzahnt als in den weiträumigen urbanisierten Gebieten ausserhalb der Kernstädte? Da kann die Fachwelt noch so die Nase rümpfen, die Menschen «da draussen» schätzen die Nähe grosser zusammenhängender Grünräume zu ihrem Wohnort. Es gibt allerdings einen Haken: Die in der Agglomeration stark ausgeprägte Optimierung des Einzelinteresses ist nicht nachhaltig und deshalb kein Modell für die Zukunft – zumindest nicht in der Form, wie sie heute praktiziert wird. Inzwischen wird es mehr und mehr Entscheidungsträgerinnen und -trägern klar, dass es so wie bis anhin nicht mehr weitergehen kann. Das Verhältnis von Siedlung (und damit inbegriffen natürlich auch die Industrie- und Gewerbezonen, die Sport- und Freizeitanlagen, die Infrastrukturen) zur umgebenden Landschaft muss neu verhandelt werden.
Der Planungsdachverband Region Zürich und Umgebung RZU hat das Problem schon früh erkannt. Kein Wunder, besteht doch der mit Abstand grösste Teil des Siedlungsgebiets der sieben Planungsregionen aus mässig urbanisierten kleinen Städten oder grossen Dörfern; hinzu kommen ganz viele sehr unterschiedliche Landschaftsräume. Rund eine Million Menschen leben im RZU-Gebiet, hinzu kommen gut 800'000 Arbeitsplätze. Prognosen rechnen mit bis zu 296'000 neuen Einwohnerinnen und Einwohnern im RZU-Gebiet bis 2050, was einem Zuwachs von fast 30% bedeutet. Unabhängig davon, ob sich das in den Prognosen vorausgesagte Wachstum einstellt oder nicht, gilt es eine Reihe von Herausforderungen anzugehen: auch Elektroautos sind Autos, die unter Umständen viel Raum einnehmen und herumgefahren werden (und woher kommt überhaupt all der Strom?); der Klimawandel ist bereits da und wirkt auf uns und unsere Umwelt ein; wer vermehrt von zuhause aus arbeitet, interessiert sich stärker für das unmittelbare Wohnumfeld.
Es braucht neue Werkzeuge
Es zeichnet sich allerdings ab, dass das klassische Raumplanungs-Besteck aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für die oben genannten Herausforderungen (und einige mehr) nicht ausreicht. Ein grundsätzliches Problem zeigt sich bei der territorialen Zuständigkeit: Funktionalräume wie etwa das RZU-Gebiet werden weder von den kantonalen Richtplänen wie von den kommunalen Nutzungsplanung adressiert. Gerade in Bezug auf landschaftliche Themen, die praktisch immer eine oder mehrere Gemeindegrenzen überschreiten, ist dieses Manko evident. Deshalb startete die RZU 2020 den umfassenden «Strategieprozess RZU-Gebiet 2050», kurz RZU 2050, gefördert vom Bund im Rahmen eines Modellvorhabens. Im Artikel «Unbekanntes Umland» in TEC21 28/2021 erklärte RZU-Direktor Angelus Eisinger den Rahmen und den Anlass des Prozesses.
Im Sommer 2021 genehmigte ein eigens geschaffener RZU-Konvent sechs Schlüsselthemen zur vertieften Behandlung, die eine Impulsgruppe zuvor ermittelt hatte. In der aktuellen Phase im Herbst und Winter 2021/2022 finden Workshops zu diesen Schlüsselthemen statt. Aus den Ergebnissen werden anschliessend Zielvorstellungen und Positionen entwickelt und bis 2023 sollen konkrete Strategien und Massnahmen folgen. Das Anliegen der RZU ist nicht zu übersehen, die im Strategieprozess formulierten Ideen «auf den Boden zu bringen»; die 67 Gemeinden möchten wissen, woran sie sind und was sie tun können. Wichtig für die RZU sind dabei Pilotprojekte, die einen Bezug zur Strategieerarbeitung aufweisen sollen.
Eines der sechs Schlüsselthemen lautet «Landschaft und Siedlung gemeinsam weiterentwickeln». Der Workshop dazu fand Anfang Dezember 2021 in einer umgebauten ehemaligen Industriehalle in Zürich West statt. Geladen waren Expertinnen und Experten aus den Bereichen Landschaftsarchitektur, Ökologie, Landschaftsschutz, Sozialwissenschaften und aus der Landwirtschaft. Oft genug wird letztere vergessen, wenn über Landschaft gesprochen wird. Vermutlich wird völlig unterschätzt, dass die landwirtschaftliche Nutzfläche rund ein Drittel der Gesamtfläche des Landes ausmacht. Das Raumplanungsgesetz RPG wirkt jedoch nur in den Bauzonen und im Bereich der Infrastrukturen – ausserhalb der Bauzone «regieren» unter anderem die schweizerische Agrarpolitik inklusive Direktzahlungsverordnung und das eidgenössische Waldgesetz. Oder anders herum formuliert: Die Raumplanung hat keinen Zugriff auf die Landwirtschaft und den Wald; sie hat dort einen (ziemlich grossen) «blinden Fleck». Das hat seine Gründe und ist grundsätzlich richtig, aber das Konzept stösst in dynamisch sich verändernden Agglomerationsräumen an seine Grenzen.
Subventionen schaffen keine Räume
Im Workshop, der aus einer Abfolge von kurzen Inputs, Spaziergängen in kleinen Gruppen und einer schnellen Entwurfsaufgabe bestand, zeigte sich schnell, dass Landschaft sowohl räumlich wie auch administrativ ein transversales Thema wäre, heute aber nicht so behandelt wird. In der Öffnung der Perspektive sahen alle Teilnehmenden ein grosses Potenzial. Diese könnte in Richtung einer integralen Betrachtungsweise gehen, die mögliche Überlagerungen von Nutzungen in der Landschaft immer mitdenkt. Wenn etwa Landwirtschaft, Freizeit und Erholung zusammen gedacht werden, können daraus auch Synergien und Mehrwerte für alle entstehen.
Dabei müssten insbesondere die eingangs erwähnten Alltagslandschaften stärker berücksichtigt werden, auch und gerade wegen ihrer Nachbarschaft zum Siedlungsgebiet. Da diese «normalen» Landschaften im Wesentlichen von der Agrarwirtschaft geformt werden, sollte eine Debatte über das Wesen der Landwirtschaft in Agglomerationen geführt werden. Siedlungsnahe Landwirtschaft (und damit Landschaft) könnte andere Aufgaben erfüllen als jene in den grossen Agrargebieten des Mittellands. Der Kanton Graubünden hat sich bereits 2016 Gedanken zu landwirtschaftlichen Raumtypen und Handlungsräumen gemacht.
Ohne eine Änderung des geltenden Subventionssystems werden solche Ansätze jedoch keine grossen Änderungen in der Praxis bewirken. Die Agrarpolitik und damit die Direktzahlungsverordnung unterscheidet nicht Räume, sondern nur den Grad der Hangneigung. Aussagen zum urbanen Raum macht sie schon gar nicht. Das Aufbrechen der «Monokultur Landwirtschaft» wurde in der Runde allgemein begrüsst, RZU-Direktor Angelus Eisinger warnte jedoch vor zu viel «Multicodierung»: wichtig ist es, eine bestimmte Vorrangnutzung (etwa Landwirtschaft oder Erholung) zu definieren. Diese könne dann auch von einer zusätzlichen Nutzung überlagert werden, aber nicht von mehreren.
Planen, nicht verplanen
Aber allein schon diese «mehrschichtige» Land(wirt)schaft wäre eine ungeheuerliche Neuigkeit in der Schweizer Raumentwicklung. Vielleicht schafft es die RZU, auch ohne nationale Gesetzesanpassungen eine Pionierrolle einzunehmen bei einem neuen, ganzheitlichen Verständnis des Ineinandergreifens von bebautem und bestelltem Land. Am Strategie-Workshop, der in dem grossen RZU-Strategieprozess natürlich nur eine Momentaufnahme darstellte, herrschten jedenfalls Aufbruchstimmung und realistischer Pragmatismus zugleich. Den Teilnehmenden war klar, dass das Wissen über die Notwendigkeit der Transformation längst vorhanden ist. Allein, es harzt bei der Umsetzung.
Deshalb sei es von entscheidender Bedeutung, so Angelus Eisinger bei der Zusammenfassung der Ergebnisse, dass der RZU-Strategieprozess nicht weitere Leitbilder produziere, sondern deutlich die Zielkonflikte benenne. In voller Kenntnis der «wicked problems» liessen sich planerische Schwerpunkte setzen und Potenziale und Synergien nutzen, auch ausserhalb der Bauzone. Dass dabei nicht wieder alles «verplant» wird, bleibt eine inhärente Gefahr der Disziplin selbst: Strategische Setzungen ja, dabei aber anpassungsfähig bleiben.
RZU-Publikationen zum Thema
2011 Siedlungsränder in der kommunalen Raumplanung
2016 Räume der Alltagserholung
2017 Raumrelevante Trends und Entwicklungen in der Landwirtschaft