«Ein Schritt in die rich­tige Rich­tung»

Der SIA befürwortet die Revision des CO2-Gesetzes, wie viele andere Baufach- und Planungsverbände. Letzte Woche lud der Verein Befürworter und Gegnerinnen zum Streitgespräch. Dass das Klima besser zu schützen sei, wird von allen bejaht.

Date de publication
26-05-2021

«CO2-frei» oder «klimaneutral» sind mehrheitsfähige Zukunftswünsche. Etwas umstrittener sind dagegen verbindliche Klimaziele: So will die Schweiz ihre Treibhausgasemissionen bis 2050 auf Netto-Null senken. Weil aktuell über vier Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr emittiert werden, braucht es wirksame Rezepte zur Reduktion dieser Bilanz.

Im Sommer soll die politische Kur aber beginnen: Mitte Juni stimmt die Schweiz über die Revision des CO2-Gesetzes ab. Doch was spricht dafür und was dagegen? Respektive: «Was bedeutet das für den Wohn- und Städtebau?», diskutierte der SIA mit Exponenten aus den Pro- und Contra-Lagern im laufenden Abstimmungskampf. Um eine Antwort darauf vorwegzunehmen: Streitpunkte sind weder der Klimaschutz an sich noch einzelne Technologien, sondern vor allem die Geschwindigkeit und die Wahl der politischen Vollzugsmittel.

«Für uns geht es zu schnell und zu einschneidend», erklärt Thomas Ammann, Ressortleiter Energie- und Bautechnik, die ablehnende Haltung des Hauseigentümerverbands. Die Klimajugend ist aus gegenteiliger Ansicht dagegen: «Das CO2-Gesetz ist viel zu wenig ambitioniert», sagt Michelle Reichelt als Vertreterin des Klimastreiks.

Und auch die Befürworter scheinen irgendwie zu hadern: «Es ist keine perfekte Lösung, aber ein Schritt in die richtige Richtung», lautet die Einschätzung von Jan Flückiger, Generalsekretär der Konferenz Kantonaler Energiedirektoren (EnDK). Derweil hofft der neue SIA-Präsident Peter Dransfeld auf wichtige Impulse für die Bau- und Immobilienbranche: «Das Tempo wird uns nicht überfordern.»

Zuckerbrot und Peitsche

Bisher regeln die Kantone selbst, wie viel Energie eine neue oder sanierte Immobilie verbrauchen darf. Der Bund hilft nur subsidiär: Die Einnahmen aus der nationalen CO2-Abgabe dürfen zur Förderung von Gebäudesanierungen verwendet werden. Das revidierte CO2-Gesetz ergänzt den Vollzug mit Zuckerbrot und Peitsche: Um weitreichendere Förderaktionen im Gebäudebereich zu finanzieren, wird die Abgabe auf fossile Treib- und Brennstoffe schweizweit erhöht. Derweil setzt ein Grenzwert erstmals fest, wie viele Treibhausgase für ein beheiztes Gebäude noch zulässig sind (vgl. Infos unten).

Klimaaktivistin Reichelt wäre «ein Verbot für fossile Heizsysteme» lieber gewesen, weil der Gebäudesektor nur so seine grosse Verantwortung dem Klima gegenüber wahrnehmen kann. Dagegen wehrt sich Hauseigentümervertreter Ammann. Der Grenzwert sei eine faktische Zwangsmassnahme: «Hauseigentümer können die Erneuerung ihrer Objekte nicht mehr nach eigenem Ermessen oder finanziellem Spielraum planen.» Zudem verweist er daraufhin, dass auch andere Sektoren tätig werden müssten.

EnDK-Generalsekretär Flückiger warnt davor, bisher Erreichtes aufs Spiel zu setzen. Der Klimaschutz sei im Gebäudebereich in Fahrt gekommen. «Nun geht es unter anderem darum, die Sanierungsquote per CO2-Gesetz zu erhöhen.» Dieselbe Wirkung erhofft sich SIA-Präsident Dransfeld: «Prototypen und Pilotanlagen, die das riesige CO2-Reduktionspotenzial beweisen, gibt es zwar.» Doch jetzt brauche es Rahmenbedingungen für eine breite Anwendung. Dass fossile Heizungen «noch eine gewisse Zeit möglich seien», könne er akzeptieren. Langfristig würden sich sowieso erneuerbare Systeme durchsetzen.

Was ist das kleinere Übel?

Eine Annäherung zwischen den Lagern ergab sich, als über das Spektrum der freiwilligen Massnahmen gesprochen wurde. Thomas Ammann griff seinerseits auf, dass sich Hauseigentümer nicht per se gegen kleinere Wohnflächen als Kriterium für Suffizienz, aussprechen. Peter Dransfeld sieht das genauso: «Die Lebensqualität ist nicht abhängig von einer Quadratmeterzahl.» Das Weniger-ist-mehr-Prinzip sei ein Auftrag an die Branche, etwas Positives zu gestalten. Jan Flückiger stimmte ebenfalls zu: «Es braucht nachhaltige Siedlungs- und Stadtplanung», auch wenn nicht alle Leute in einer Stadt wohnen würden. Und auch Michelle Reichelt hält raumplanerische Konzepte für attraktive Quartiere und kurze Versorgungswege als äusserst wirksame Form von Klimaschutz.

Zum Abschluss der Gesprächsrunde bat Moderatorin Claudia Schwalfenberg, Leiterin des SIA-Ressorts Politik, um eine Prognose für den Abstimmungsausgang. Während sich die Befürworter, Flückiger und Dransfeld, auf ein nicht allzu knappes Ja, «mit 55 %», einigten, verzichteten Reichelt und Ammann auf eine Schätzung. Die Klimaaktivistin gab zum Schluss aber zu, dass das Gesetz wohl das kleinere Übel sei als das Referendum dagegen anzunehmen.

Was will die Revision des CO2-Gesetzes?

 

National- und Ständerat haben letzten Herbst ihre Differenzen bereinigt und ein CO2-Gesetz mit folgenden Zielen und Massnahmen im Gebäudebereich verabschiedet:
 

  • Die Schweiz muss den CO2-Ausstoss bis 2030 halbieren, im Vergleich zu 1990. In den letzten 30 Jahren sanken die Emissionen um knapp 15 %.
     
  • Drei Viertel der Reduktionen sind im Inland zu erzielen.
     
  • Ab 2030 müssen ein nachfolgendes Gesetz die ausstehenden Emissionsreduktionen regeln.
     
  • Bauten und Anlagen, deren Bewilligung mit einer Umweltverträglichkeitsprüfung verbunden ist, sind neu auf Treibhausgasemissionen zu überprüfen.
     
  • Neue Gebäude sind ab 2023 generell emissionsfrei zu betreiben.
     
  • Für Gebäudeerneuerungen und bei Heizungsersatz gilt ein Emissionsgrenzwert: ab 2023 20 kg CO2/m2; ab 2028 noch 15 kg CO2/m2.
     
  • Die CO2-Abgabe auf Heizöl und Erdgas wird abhängig von den Reduktionzielen für fossile Energieträger erhöht.
     
  • Bei Industrie- und Gewerbebetrieben, die mit der Umweltbehörde eine bilaterale Emissionsreduktion vereinbaren, entfällt die CO2-Abgabe.
     
  • Ein Drittel der CO2-Abgabe finanziert zweckgebunden den Klimafonds. Zwei Drittel werden an die Bevölkerung zurückbezahlt.
     
  • Der Klimafonds speist unter anderem das Gebäudeprogramm, als Fördermassnahme für energetische Erneuerungen.
     
  • Rund 100 Millionen Franken werden jährlich für Innovationen im Energie- und Gebäudebereich zur Verfügung gestellt.
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