Vom Prin­zip der Po­la­rität

Projektwettbewerb im offenen Verfahren: Erweiterung Kantonsschule Frauenfeld

Die Kantonsschule Frauenfeld will ihre 50-jährigen Provisorien ersetzen. Lauener Baer Architekten knüpfen mit einer Erweiterung geschickt am Bestand an und erschliessen den Campus neu über einen Zugang von Norden.

Date de publication
28-05-2020

An leicht erhöhter Lage über dem alten Ortskern der Stadt liegt die Kantonsschule Frauenfeld. Der Campus umfasst das historische Hauptgebäude aus dem Jahr 1911, ein zusätzliches Schulgebäude von 1993, das den ­Abschluss nach Norden zur Speicherstrasse hin bildet, sowie Sportanlagen und Turnhallen. Das Hauptgebäude ist das repräsentative Gesicht der Schulanlage, während das Schulgebäude 2 mit Aula und Mensa den sozialen Treffpunkt bildet. Um den zunehmenden Platzbedarf zu decken, wurden in den 1960er-Jahren hinter dem Haupt­gebäude eingeschossige Baracken erstellt, die nun durch eine Erweiterung des Schulgebäudes 2 ersetzt werden sollen.

Der Anbau soll einen eigenen Zugang von der Speicherstrasse her erhalten und autonom funktionieren können. Das Raumprogramm besteht aus acht Klassenzimmern, vier Gruppenräumen, einem Ruheraum und drei ­Hörsälen. Für diese Aufgabe schrieb der Kanton Thurgau einen Projektwettbewerb im offenen Verfahren aus. Die Wettbewerbsordnung des SIA galt subsidiär zu den Bestimmungen des öffentlichen Beschaffungswesens. Es wurden 33 Beiträge eingereicht.

Zugang frontal

Das Preisgericht empfiehlt den Beitrag «Yin and Yang» von Lauener Baer Architekten einstimmig zur Weiterbearbeitung. Ein länglicher, rechteckiger Baukörper übernimmt die Traufhöhe des bestehenden Gebäudes, dockt quer an den Bestand an und formuliert eine neue Hauptfassade zur Speicherstrasse, an der auch der neue Hauptzugang liegt. Der geschickt positionierte, kompakte Baukörper lässt viel Freiraum und bettet das Schulhaus in eine parkähnliche Grünanlage ein. Von der Speicherstrasse tritt das Gebäude etwas zurück und geht damit auf respektvolle Distanz zu den historischen Villen auf der gegenüberliegenden Strassenseite.

Eine einladende, generös konzipierte Treppenanlage führt vom Eingang im Sockelgeschoss ins Parterre. Die einläufige Treppe liegt in der Fuge zwischen Alt und Neu. Auf der einen Seite verbindet ein zweigeschossiger Raum die beiden Ebenen, auf der anderen Seite fällt Licht vom Hof des bestehenden Schulgebäudes über die Treppe bis ins Untergeschoss. Im Parterre liegen die drei grossen Hörsäle, während unterm Dach sechs Klassenzimmer und drei Gruppenräume untergebracht sind. Die relativ tiefen Klassenräume sind zusätzlich durch Oberlichter natürlich belichtet. Die Struktur ist stringent entwickelt, hat allerdings den Nachteil, dass die beiden Klassenzimmer mit Gruppenraum im Untergeschoss vom Schulbetrieb abgekoppelt sind.

Der Sockel soll aus sandgestrahltem Sichtbeton ausgeführt werden, während die beiden Obergeschosse als reine Holzkonstruktion konzipiert sind. Das kompakte Volumen und die einfache Struktur versprechen tiefe Baukosten und eine hohe Energieeffizienz.

Zugang seitlich

Mit dem zweiten Preis wurde das Projekt «Elisa» von Renoplan Architektur ausgezeichnet. Ein kompakter, rechteckiger Neubau schliesst das Schulgebäude 2 nach Norden hin ab. Der Zugang hier erfolgt seitlich  von der Ringstrasse her. Über eine grosszügige Frei­treppe zwischen Alt- und Neubau gelangt man in den Lichthof des Erdgeschosses. Das neue Gebäude springt im Westen von der Ringstrasse zurück und schafft so Platz für einen adäquaten Eingangsbereich und einen Pausenplatz mit Pflanzrabatten, Sitzbänken und einem Brunnen. Von Norden her erfolgen nur die Zufahrt zur Tiefgarage und die Zulieferung. Personenflüsse und motorisierter Verkehr werden so entflochten.

Im Parterre befinden sich die Hörsäle mit Nebenräumen und einem grosszügigen Foyer. Eine zweiläufige Treppe erschliesst das Obergeschoss mit den acht Klassenzimmern und vier Gruppenräumen. Die Struktur ist sehr flexibel. So können die Hörsäle bei Bedarf auch in Klassenzimmer unterteilt oder zwei Klassenzimmer zu einem Hörsaal zusammengelegt werden. Eine Serie von flach geneigten Giebeldächern macht das Dach auch im Innern erlebbar. Doch trotz der sorgfältigen Ausarbeitung des Projekts kann der zur Rückseite degradierte Bereich zur Speicherstrasse mit den grossen Eingriffen in das bestehende Gelände nicht überzeugen.

Zugang übereck

Der drittplatzierte Beitrag «pollux» von Jonas Wüest Architekten sieht eine Verlängerung des Schulge­bäudes 2 mit einem schmalen, rechteckigen Neubau vor. Der dadurch ent­stehende breite Vorbereich zur  Ring­strasse hin wird von einer grosszügigen Freitreppe erschlossen. Die Unterrichtsräume sind auf drei Obergeschosse verteilt, die durch einen halbgeschossigen Versatz an den Bestand anschliessen. Dadurch entsteht zwar viel Freiraum, der Baukörper tritt aber vor allem zur Speicherstrasse trotz der Höhenstaffelung sehr dominant auf. Die Verbindung von Alt und Neu über ein Split-Level kann nicht überzeugen. Im Vergleich zum bescheidenen Auftritt des Projekts wirkt die breite Aussentreppe mit Rampe überinszeniert.

Intelligente Lichtregie

Dem Beitrag «Yin and Yang» gelingt es, die bisher vernachlässigte Rückseite des Schulgebäudes 2 aufzuwerten. Die gekonnte Lichtführung und grosszügige Erschliessung an der Schnittstelle von Alt und Neu überzeugen. Die Anordnung des Haupt­eingangs und einzelner Unterrichtsräume im Sockelgeschoss hält den Neubau niedrig und fügt ihn sorgfältig in die Topografie ein. Früher war ein Gebäudezugang im Untergeschoss Spekulanten vorbehalten. Heute ist es eine von vielen Strategien, um Gebäude kompakt und energieeffizient zu machen. Wer es schafft, das Sockelgeschoss vom Kellermief zu befreien und grosszügig mit natürlichem Licht zu versorgen, kann damit erfolgreich sein.

Jurybericht und Visualisierungen zum Wettbewerb finden sich auf competitions.espazium.ch

Auszeichnungen

1. Rang / 1. Preis: «Yin and Yang»
Lauener Baer Architekten, Frauenfeld; Martin Klauser, Landschaftsarchitekt, Rorschach; Josef Kolb, Holzbauinge­nieur / Brandschutz, Romanshorn
2. Rang / 2. Preis: «Elisa»
Renoplan Architektur, Hagenbuch
3. Rang / 3. Preis: «pollux»
Jonas Wüest Architekten, Zürich
4. Rang / 4. Preis: «Campus Nord»
Stutz Bolt Partner Architekten, Winterthur
5. Rang / 5. Preis: «Little Sue»
Schneider Gmür Architekten, Winter­thur; Pauli Stricker, Landschafts­architektur, St. Gallen; Schnewlin + Küttel, Bauingenieure, Winterthur

FachJury

Erol Doguoglu, Architekt, Kantons­baumeister; Rico Lauper, Architekt; Rahel Lämmler, Architektin; Stephan Herde, Landschaftsarchitekt; Roland Ledergerber, Kantonsbaumeister Stellvertreter (Ersatz)

SachJury

Carmen Haag, Regierungsrätin, Chefin Departement für Bau und Umwelt (Vorsitz); Monika Knill, Regierungsrätin, Chefin Departement für Erziehung und Kultur; Chantal Roth-Merz, Rektorin Kantonsschule; Francisco Otal, Leiter Schulverwaltung Kantonsschule (Ersatz)

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