«Wir ho­len die Aus­sen­welt ins Stu­dio»

Seit November 2019 ist das neue News- und Sport-Gebäude von SRF in Zürich in Betrieb. Projektverantwortliche berichten, wie der Neubau im Spannungsfeld von technologischer Entwicklung, gewandeltem Medienkonsum, gesellschaftlichem Auftrag und politischem Druck seine prägnante Form fand.

Date de publication
08-01-2020

TEC21: Das News- und Sport-Gebäude markiert den ersten Schritt einer Transformation, die in den nächsten Jahren das SRF-Areal Leutschenbach und alle Produktionsprozesse von SRF erfassen soll. Wie hat sie begonnen?

Peter Krähenbühl: Der Anstoss für die Entwicklung des Leutschenbach-Areals kam aus der Immobilienbetrachtung. Wir haben den Bedarf eruiert und den Zustand unserer Immobilien in der Deutschschweiz untersucht. Schnell zeigte sich, dass der Standort Leutschenbach am meisten Potenzial hatte: Er war flächenmässig der grösste, wies den dringendsten Sanierungsbedarf auf und ermöglichte die grösste Erhöhung der Baumasse. Doch um dieses Potenzial zu konkretisieren, brauchte es einen grossen Schritt. Nicht alle gesetzlichen Auflagen waren erfüllt. Unklar war zum Beispiel, ob wir je genügend Parkplätze würden nachweisen können, um die Parkplatzverordnung der Stadt Zürich zu erfüllen. Auf diese Pendenz hat uns die Behörde wiederholt aufmerksam gemacht; ohne den Nachweis durften wir keine grössere Sanierung und Erweiterungen beginnen. Auch der Verordnung der Stadt Zürich zur Grün­flächenziffer wurden wir bei Weitem nicht gerecht. Hinzu kamen interne Fragen zu den Betriebsab­läufen. Deshalb haben wir 2010 den Studienauftrag lanciert, den Penzel Valier gewonnen haben.

TEC21: Was waren die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Studienauftrag?

Peter Krähenbühl: Der Betrachtungsperimeter umfasste ursprünglich nicht nur das Stammareal, sondern auch weitere Landreserven. Im Verlauf des zweistufigen Verfahrens erkannten wir, dass wir diese nicht brauchten, und haben uns auf das Stammareal konzentriert. Das Siegerprojekt von Penzel Valier hat geschickt und durchdacht demonstriert, wie flexibel wir hier agieren können, und die Fragen hinsichtlich Parkierung und Grünflächen elegant beantwortet. Es hat auch aufgezeigt, dass wir die Erschliessung des Campus mit Medien – Strom, Wasser, Abwasser – erneuern und zukunftsfähig machen müssen, um das Gesamtkonzept weiterdenken zu können.

Mario Löffel: Wir haben Penzel Valier als Sieger des Studienauftrags damit beauftragt, den ersten Neubau zu realisieren. Er ist der erste Schritt einer grossen Rochade und steht auf dem einzigen Grundstück, das auf dem Areal noch frei war. Anfangs dachten wir, wir könnten die Transfor­mation des Bestands erst beginnen, nachdem wir gewisse Technik-Infrastrukturen umgesiedelt hätten; deshalb war der Neubau zunächst als Technikgebäude geplant. Doch dann stellten wir fest, dass wir nicht so lang warten können. Des­halb entschieden wir uns für ein Gebäude mit kombinierter Nutzung: News, Sport und Technik, alles unter einem Dach. Ein Teil der Technik – z. B. Netzwerk und IT-Support – wurde wieder ausgelagert.

TEC21: Die Transformation des Bestands umfasst nicht nur die bauliche Instandsetzung und Verdichtung des Areals, sondern auch betriebliche Aspekte. Worum ging es genau?

Urs Leuthard: Es gab zwei parallele Entwicklungen. Die erste war das Immobilienprojekt für das Areal, die zweite die Umstrukturierung im Bereich News und Sport: Über Jahrzehnte wurde jede Fernsehsendung durch eine eigene Redaktion gemacht, die ihre Programme mehr oder weniger autonom produzierte. Das hat lang hervorragend funktioniert. Dann kam das Internet hinzu; die digitalen Kanäle wurden immer wichtiger, doch unsere Organisation war immer noch fast ausschliesslich auf die TV-Sendungen zugeschnitten. So setzte sich allmählich die Erkenntnis durch, es wäre sinnvoller, die Teams thematisch zu organisieren; zum Beispiel eine Inland-Redaktion, die Inhalte für die verschiedenen Formate im TV und online recherchiert und produziert. Im Gebäude­bestand konnte aber nie eine zukunftsgerichtete und tragfähige Lösung gefunden werden. Der Neubau bot die Chance, die Idee dann auch wirk­lich zu realisieren.

TEC21: Verschiedene öffentlich-rechtliche Medienhäuser, etwa ARD und ORF, setzen neuerdings ebenfalls auf Newsrooms. Warum war es wichtig, diese Idee auch hier möglichst rasch zu verwirklichen – und dafür eine Nutzungsänderung mitten im Planungsprozess in Kauf zu nehmen?

Urs Leuthard: Das Aufkommen des mobilen Internets – letztlich des Smartphones – hat den Wandel der Medienbranche extrem beschleunigt. 2007 kam das erste iPhone auf den Markt, in den Jahren danach hat sich der Medienkonsum dramatisch verändert. Heute sind wir alle mobil unterwegs, konsumieren laufend News und sind nicht mehr darauf angewiesen, zu fixen Zeiten zu erfahren, was an diesem Tag auf der Welt geschah. Dadurch verlieren traditionelle Medien ihr Publikum, vor allem ihr jüngeres Publikum. Sie verlieren die Zukunft. Die Printmedien waren als Erste betroffen; deshalb fingen sie früher an, über Newsroom-Konzepte nachzudenken. Im Radio und Fernsehen kam es etwas verzögert, aber seit einigen Jahren sind auch wir mittendrin. So fanden die beiden Projekte – Arealentwicklung und Newsroom – zusammen, und man trieb sie gemeinsam weiter. Das publizistische Projekt wurde im Frühling 2016 gestartet, obwohl es natürlich schon vorher Überlegungen zum Thema gab; damals waren die Grundzüge des Neubaus allerdings längst definiert.

Peter Krähenbühl: Bis dahin wussten wir nur: Es braucht grosse, zusammenhängende Flächen mit guter Belichtung, einer minimalen Raumhöhe von 3,6 m und einer sehr flexiblen Versorgung, damit wir praktisch überall Studios einrichten oder Fernsehsendungen drehen konnten. Der Auftrag an Penzel Valier war in Grund- und Mieterausbau aufgeteilt. So konnten wir mit dem Bau beginnen, auch wenn das publizistische Konzept noch nicht bis ins Letzte definiert war. Das definitive Layout des Newsrooms haben wir erst am Tag der Aufrichte abgesegnet.

TEC21: So spät?

Urs Leuthard: Die publizistische Idee reifte unter hohem Zeitdruck während der Planung heran. Der fortschreitende Bauprozess zwang uns festzulegen, wie wir in Zukunft arbeiten wollen – im Wissen, dass wir die Zukunft nicht kennen.

Christian Penzel: Im klassischen Fall formuliert der Besteller seine Bedürfnisse, und die Planer suchen die richtige Form dafür. Hier war es anders. Wir hatten die Form schon, als die Bedürfnisse neu definiert wurden. Ursprünglich waren im Erdgeschoss Revisionsgaragen für Übertragungswagen vorgesehen und in den Obergeschossen die Technik; der Neubau sollte ja ein Entlastungsbau sein, News und Sport waren am anderen Eingang des Areals geplant. Dann kam der Entscheid, News und Sport hierher umzusiedeln, was den Charakter des Neubaus komplett veränderte. Die Lastwagen waren dann natürlich fehl am Platz. Deshalb wurde alles neu gedacht: In den Obergeschossen sind News und Sport untergebracht, im Mezzanin die Technik, im Erdgeschoss die Studiolandschaft und das öffentliche Restaurant. Um die Raum­bedürfnisse für News und Sport zu klären, gab es mehrere Workshops, auch mit den Redaktionsteams. Es war ein interaktiver Prozess, bei dem alle viel voneinander gelernt haben. Wichtig für uns war, dass wir die Dinge auf sehr hoher Ebene diskutieren und die Lösungen gemeinsam ent­wickeln konnten. Es gab auch richtungsweisende Entscheidungen des Auftraggebers: Zum Beispiel dürfen geschlossene Räume nur durch die Funktion begründet werden, etwa für Edit-Suiten, wo man Beiträge schneidet und vertont. Früher gab es für jeden Beitrag einen Cutter, heute kann der Journalist den Rohschnitt teilweise selber machen, und der Cutter macht nur noch den Feinschliff. Das hat mit den technischen Möglichkeiten zu tun, aber auch mit der Geschwindigkeit, mit der ein Beitrag ins Netz soll. Auch die Anzahl der Besprechungs- und Rückzugsräume wurde diskutiert. Alle anderen Arbeitsbereiche sollten offen und miteinander vernetzt geplant werden. Wir haben hierzu eine Art landschaftliches Konzept entwickelt, das durch die Einstellung von Funktionsräumen räumliche Nischen und Teilbereiche generiert. So gibt es auf den offenen Etagen identitätsbildende Teilbereiche für die Arbeitsgruppen, aber alles bleibt zueinander offen.

TEC21: War es ein Glücksfall, dass der Neubau so gut auf die neuen Anforderungen reagieren konnte?

Christian Penzel: Nicht nur. Das Konzept von 2010 basierte von Anfang an auf Flexibilität. Alles war im Umbruch, und niemand wusste, wo die Medienlandschaft in zehn, fünfzehn Jahren stehen würde. Bei einer der ersten Begegnungen während des Studienauftrags sagte Hansruedi Schoch, der damalige Programmdirektor: «Wir müssen etwas tun, aber keiner weiss, in welche Richtung sich die Medienwelt entwickelt.» Auf der städtebau­lichen Ebene übersetzten wir diese Ungewissheit mit Bauten, die wie Container unterschiedliche Nutzungen aufnehmen können und mit einem Sockel untereinander verbunden sind. Die Volumetrie des Neubaus war aus städtebaulicher Sicht also weitgehend klar. Was die Nutzung betrifft, gingen wir davon aus, dass es ein Technikgebäude wird; aber ausser Flächenvorgaben wussten wir nicht viel Konkretes. Wir entwickelten die Struktur ohne Raumprogramm, zumindest am Anfang.

Peter Krähenbühl: Umso erstaunlicher und erfreulicher, dass das Gebäude, so wie es geplant war, sehr gut mit unseren publizistischen Zielen korrespondierte.

TEC21: Masterplan und Neubau stehen für ein grundsätz­liches Umdenken – für Öffnung, Austausch und Verdichtung. Der Campus verbindet sich räumlich mit der Stadt, der Park und das Restaurant sind frei zugänglich. Passanten können von aussen in die Studios blicken; dort gibt es keine Kulissen, das  Gebäude selbst wird in den Sendungen sichtbar. Die Redaktionsteams in den Obergeschossen arbeiten in einer offenen Bürolandschaft rund um eine zentrale Halle. Inwiefern widerspiegelt diese Öffnung – sowohl nach innen als auch nach aussen – die Entwicklung der öffentlich-rechtlichen Medien, ihre gesellschaftliche Bedeutung, ihren politischen Auftrag?

Urs Leuthard: In den letzten Jahren sind die öffentlich-rechtlichen Medien politisch unter Druck geraten, nicht nur in der Schweiz. Der Service-Public-Auftrag, den wir immer als selbstverständlich betrachtet haben, war auf einmal erklärungsbedürftig. 2015 nahm das Volk die Re­vision des Radio- und Fernsehgesetzes nur hauchdünn an; 2018 kam die No-Billag-Initiative zur Abstimmung. Uns war klar: Wir müssen die Bevölkerung, unsere Auftraggeberin, zu uns einladen und ihr zeigen, was wir tun, wie wir es tun und wa­rum. Damit das Publikum uns wirklich arbeiten sieht, haben wir transparente Studios und Moderationsräume mitten in den Redaktionsbüros gebaut.

Peter Krähenbühl: Das Bekenntnis zur Öffnung prägte schon den Studienauftrag. Der Grund­gedanke erwies sich als richtig, auch wenn die Umsetzung damals noch unklar war. Weil es für die Erschliessung, die Parkplätze und die Grün­flächen eine robuste Lösung gab, konnten wir laufend auf die jüngsten Ereignisse reagieren.

TEC21: Der Newsroom soll das räumliche und technische Dispositiv bieten, um Inhalte effizienter aufzu­bereiten: in kürzerer Zeit, für unterschiedliche Medien und in verschiedenen Formaten. Die physische Verdichtung soll zu einer Verdichtung der Kompe­tenzen führen. Wie sind die ersten Erfahrungen?

Peter Krähenbühl: Um das zu beantworten, ist es noch zu früh. Der Wandel hat einige Zeit vor dem Umzug begonnen: News und Sport waren auf diesem Areal jene Teams, die schon vorher in grösseren Räumen gearbeitet hatten; die ­Tagesschau zum Beispiel hatte eine zusammenhängende Fläche und keine Einzelbüros. Doch funktioniert das auch mit 500 Personen? Von Gross­raumbüros hört man ja nicht nur Gutes. Deshalb haben wir Beispiele studiert, externe Experten beigezogen und Testflächen im Bestand eingerichtet, die aufgrund der Situation im Altbau natürlich nicht optimal waren. Aus all dem haben wir viel gelernt, und auch eine gewisse Vorfreude ist daraus entstanden. Trotzdem ist die Umstellung nicht für alle einfach.

TEC21: Die Architektursprache des Neubaus ist repräsentativ und hochwertig – ein angemessener Ausdruck für die öffentlich-rechtlichen Medien in einer Demokratie. Gleichzeitig wirkt das Gebäude betont nüchtern und alles andere als üppig.

Urs Leuthard: Der Neubau wirkt eher wie ein Industrie- als ein Bürobau. Das ist auch ein Ausdruck der jüngeren Mediengeschichte: Noch vor 20 Jahren gab es viel mehr Einzelkämpfer, Journalisten, die ihre Beiträge allein in ihrem kleinen Büro erarbeiteten; heute sind es oft Teams, die zusammenwirken und vielleicht auch etwas zuliefern, das ein anderes Team weiter bearbeitet. Die umgekehrte Entwicklung gibt es auch: Um eine Live-Einschaltung zu machen, brauchte es früher ein Übertragungsfahrzeug mit Satellitenschüssel, ein Kamerateam, einen Tonoperateur – heute kann ein einzelner Reporter mit seinem Handy einen Livestream machen, wenn es sein muss. Deswegen gibt es im Neubau nicht nur den Newsroom, in dem alle zusammenkommen, sondern auch Chatpoints mit fix installierter Kamera, wo Redaktorinnen und Redaktoren etwas live aufnehmen und in eine Nachrichtensendung oder einen Facebook-­Live­stream einspeisen können. Die technologische Entwicklung, die sich in diesem Gebäude ab­zeichnet, ist mindestens so tief greifend wie die publizistische. Das Gebäude drückt auch aus: Medienarbeit ist keine Kunst, sondern ein Handwerk – ein Qualitätshandwerk, bei dem viele Menschen zusammenwirken.

Peter Krähenbühl: Wir wollten ein zurückhaltendes Gebäude, hochwertig und räumlich klar, aber nicht protzig. Bei der Materialisierung haben wir Baustoffe im ursprünglichen Zustand gewählt, etwa Sichtbetondecken, und auf Verkleidungen wie abgehängte Decken möglichst verzichtet. Das war nicht die billigste Lösung; aber weil die Betriebs- und Unterhaltskosten über die Lebensdauer des Gebäudes tiefer sind, lohnt sich die höhere Investition. Hinzu kommen die Ersparnisse, die wir erzielen, weil wir Flächen, die wir bisher dazumieten mussten, nicht mehr benötigen. Für das abends geöffnete öffentliche Restaurant gab es übrigens auch wirtschaftliche Gründe: Es erlaubt uns, die Öffnungszeiten des grösseren Personal­restaurants auf der anderen Seite des Areals zu reduzieren. Solche Erkenntnisse aus Sicht der Immobilienbewirtschaftung haben wir laufend in den Planungsprozess eingespeist, was sicher eine Herausforderung für die Planer war.

TEC21: Das Gebäude dient als gebaute Visitenkarte, als Ausdruck einer Identität, die es im wahrsten Sinn des Worts ausstrahlt: Es ist solide, stabil, sorgfältig gemacht, einsehbar, transparent, technisch hochstehend – alles Werte, die auch die SRF-Medien für sich beanspruchen. Der Einblick, der dem Publikum gewährt wird, hebt sich wohltuend von den undurchsichtigen Mechanismen der virtuellen Welt ab. Steigert die Sichtbarkeit der Räume, Materialien und Produktionsprozesse die Glaubwürdigkeit der Medien?

Urs Leuthard: Unsere Studiolandschaft ist aus meiner Sicht einzigartig: Fast überall versucht man, die reale Welt draussen zu halten und in den Studios eine eigene Realität zu erschaffen. Hier tun wir das Gegenteil: Wir holen die Aussenwelt ins Studio. Die Leute sehen die Inszenierung, werden gleichzeitig Teil davon und erkennen sich darin. Wir leben von der Glaubwürdigkeit unserer Medien; wenn wir das Vertrauen unseres Publikums verlieren, sind auch die Gebühren, von denen wir leben, politisch nicht mehr tragbar.

Christian Penzel: Die Idee eines Werkstatt­gebäudes prägte das ganze Projekt. Wir wollten die Kreativität des Machens vermitteln und zeigen, dass hier in einer und für eine reale, haptische Welt gearbeitet wird, auch wenn das Produkt nachher in digitaler Form daherkommt. Mit seinen rohen Baustoffen steigert das Gebäude das Spannungsverhältnis zwischen materieller Realität und virtuellen Kommunikationskanälen. Im Gegensatz zu den flüchtigen Bildern auf den Bildschirmen existiert hier auch das Physische, Materielle, Beständige.

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