The Prada Vibe: ur­bane Kul­tur für die glo­bale Stadt

Mode und Architektur

Beim Projekt für die Fondazione Prada in Mailand haben sich Miuccia Prada und Patrizio Bertelli in Zusammenarbeit mit Rem Koolhaas/OMA nicht nur mit der architektonischen Wiederbelebung einer Industriebrache auseinandergesetzt, sondern auch mit deren Wirkung in der virtuellen Welt.

Date de publication
11-12-2019
Silvia Micheli
Architektin und Forscherin an der University of Queensland

Damit eine Stadt zur Weltstadt wird, muss sie unter anderem tragfähige Strukturen für eine prosperierende Kultur- und Kreativwirtschaft schaffen, die sich sowohl an ein internationales Publikum richtet als auch lokale Besonderheiten wahrt.

In Mailand stehen Kultur und Kreativität seit jeher im Zentrum der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung. Mode, Design und Kunst haben in der lombardischen Hauptstadt traditionell einen hohen Stellenwert. Nach der Überwindung des Korruptionsskandals Tangentopoli erlebte Mailand eine kulturelle Wiedergeburt, die ihren Höhepunkt in der Expo 2015 fand.

Bei diesem Aufschwung spielten private Stiftungen eine tragende Rolle, denn viele von ihnen unterzogen ihre Kultur- und Ausstellungszentren einer radikalen programmatischen Erneuerung. Auf Initiative der Pirelli-Gruppe wurde 2004 in ehemaligen Werkhallen am östlichen Stadtrand der HangarBicocca eröffnet: ein Zentrum für zeitgenössische Kunst, das unter anderem die Dauerausstellung «Die sieben Himmelspaläste» von Anselm Kiefer zeigt. Die Fondazione Giangiacomo Feltrinelli wurde 2016 an der zentral gelegenen Viale Pasubio eröffnet: Der elegante Beton- und Glasbau von Herzog & de Meuron definiert den urbanen Charakter des gesamten Areals neu und erleichtert damit Begegnungen sowie geistigen Austausch (vgl. TEC21 14/2018).

Der «Torre» vollendete 2018 schliesslich den bereits 2015 eingeweihten neuen Hauptsitz der Fondazione Prada auf einem ehemaligen Destillerie-Areal an der äusseren Ringstrasse zwischen Stadtzentrum und Peripherie. Geplant wurde die Umgestaltung von einem Architektenteam um den OMA-Mitgründer Rem Koolhaas. Dieser stellte überrascht fest, dass der enorme Ausbau des Mailänder Kunstsystems eine sehr beschränkte Zahl von Ausstellungstypologien hervorgebracht hatte. Ausgehend von der Frage «Wozu dient eine Kulturinstitution?» verfolgten die Architekten das Ziel, dieses typologische Repertoire zu erweitern und ein alternatives Ausstellungsmodell zu schaffen, das neue Möglichkeiten für den Ideenaustausch eröffnet.

Wie schon beim HangarBicocca und der Fondazione Feltrinelli ging es auch bei der Fondazione Prada darum, sich von der traditionellen, introvertierten und spezialisierten Museumstypologie zu lösen und sich mit der Transformation eines Stadtteils und den dadurch ermöglichten Vernetzungen und Chancen auseinanderzusetzen. An dem neuen Sitz entsteht urbane Kultur – bildende Kunst, Film, Mode, Gastronomie, Architektur und Theater treffen zusammen. Damit öffnet sich Prada einem breiten Publikum und hebt die Exklusivität auf, die den Mailänder Haute-Couture-Marken anhaftet. Die neu strukturierten Altbauten und ikonischen Neubauten bieten neben den Ausstellungsräumen Platz für eine Cafeteria, eine Bar, ein Restaurant, ein Kino, eine Bibliothek und grosszügige öffentliche Räume.

Gleichzeitig wirkt der Komplex wie ein grosses Schaufenster, das Trends vorgibt und sich damit subtil, aber entscheidend von anderen Mailänder Institutionen abhebt. Auch wenn hier am Largo Isarco weit und breit kein Laufsteg und kein Prêt-à-porter zu sehen sind, wird dieser Ort auch oder hauptsächlich wegen des «Prada Vibe» besucht: um diesen zu spüren und «15 Minuten Stil» zu erleben, ohne dafür unbedingt Prada tragen zu müssen. Dies äussert sich auch in der medialen Aufmerksamkeit für die mit Blattgold gestaltete Fassade des bestehenden Fabrikturms, die den Besuchern ein raffiniertes visuelles und taktiles Erlebnis beschert.

Dieser goldene Turm gehört zu den zehn am häufigsten auf Instagram geposteten Sehenswürdigkeiten Mailands. Und da Instagram-Tauglichkeit heute ein entscheidender Erfolgsfaktor für ein Architekturprojekt ist, lässt sich der internationale Ruhm des Prada-Zentrums auch an den Parametern des beliebtesten Onlinedienstes zum Teilen von Fotos und Videos messen: Mit 1400 Posts und gut 331 000 Followern wirkt der Instagram-Account der Fondazione Prada weltweit als virtueller Verstärker des physischen Ausstellungsorts und macht ihn durch die Verbreitung von zahlreichen kunstvollen Aufnahmen zu einem Mailänder Wahrzeichen.

Das Prada-Projekt findet als Modell für eine neue urbane Typologie internationale Resonanz. So umfasst beispielsweise auch das 2019 eröffnete und vom Hong Kong JockeyClub finanzierte Tai Kwun Centre for Heritage and Art in Hongkong eine Plattform für zeitgenössische bildende und darstellende Kunst und gleichzeitig eine breite Palette an Lifestyle- und Erlebnisangeboten (vgl. TEC21 38/2019). Ein Stadterneuerungsprojekt, das von Einwohnern und Touristen intensiv genutzt wird. Auf den «Laundry Steps», einer imposanten öffentlichen Freitreppe, die unter einem der beiden gewagten, von Herzog & de Meuron entworfenen Hauptvolumen verläuft, finden Events wie Tanzkurse, Vorträge und Filmvorführungen statt. 

Das Tai Kwun Centre fördert urbane Kultur und macht sie sowohl direkt als auch virtuell einem internationalen Publikum zugänglich. Wie in allen hier beschriebenen Fällen entsteht aus dem Zusammenspiel von ikonischer zeitgenössischer Architektur und traditionellen Gebäuden (ehemalige Industriebauten in Europa, ehemalige Kolonialbauten in weiten Teilen Asiens) die städtische Szenografie für ein neues urbanes Kulturmodell, das nicht zuletzt über die Smartphone-Bildschirme verbreitet wird.

Silvia Micheli ist Architektin und Forscherin an der University of Queensland, wo sie Design und zeitgenössische Architektur unterrichtet. Zu ihren jüngsten Publikationen gehören die Bücher «Italy/Australia: Postmodern Architecture in Translation» (mit John Macarthur, URO 2018) und «Storia dell’architettura italiana 1985-2015» (mit Marco Biraghi, Einaudi 2013).

Mit «Prada Experience» lanciert espazium.ch seine neue Online-Themenreihe. In diesen Dossiers greifen wir aktuelle Themen zur Baukultur auf, die nach und nach um weitere Beiträge ergänzt werden.

In dieser Serie erschienen:


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