Mo­nu­men­ta­le Mo­de

Mode und Architektur

Einander nacheifern, aufeinandertreffen und miteinander flirten: Mode und Architektur spielen Katz und Maus.

Publikationsdatum
17-12-2019

Seit seinen Anfängen 1998 betont Jérôme Dreyfuss seine Leidenschaft für die Architektur: «Wäre ich nicht Modedesigner geworden, wäre ich zweifelsohne Architekt geworden.» Bei der Konzeption seiner Pariser Büroräume erfüllt er seine Leidenschaft, indem er Glas, Holz und Beton in Szene setzt. Doch auch für seine Accessoires-Kollektionen lässt er sich von der Energie inspirieren, die von Gebäudekonstruktionen und von Quartier- oder Stadterweiterungen ausgeht. Und damit ist er nicht allein. Weniger technisch, aber durch ihre Vergänglichkeit umso oberflächlicher, unterhält die Mode – oft als Stiefkind der Architektur betitelt – seit jeher eine enge Verbindung zu ihrer grossen Schwester der höheren Künste.

Zwölf untragbare Kleider aus zeitgenössischen Materialien

Die Karriere des spanisch-französischen Modeschöpfers Paco Rabanne nahm seinen Anfang an der École nationale supérieure des beaux-arts in Paris, als er sein Architekturstudium mit Skizzen für Modehäuser finanzierte – lang bevor er in den 90er-Jahren über seine früheren Leben zu schreiben begann. Seine geometrischen Kleider aus Kettenpanzer und vernietetem Leder revolutionierten die Mode zu Beginn der 60er-Jahre. Mit seiner ersten Kollektion «Manifesto» proklamierte der Futurist «zwölf untragbare Kleider aus zeitgenössischen Materialien».

Sein zwischen Architektur und Mode angesiedelter Stil provozierte, schockte und verzückte die Stars gleichermassen. Die französische Sängerin Françoise Hardy war die Erste, die es wagte, sich in Paco Rabanne zu zeigen; vor Kurzem machten es ihr die exzentrischen amerikanischen Popstars Lady Gaga und Katy Perry nach. Auch William Kleins Eröffnungsszene seines Films «Who are you, Polly Maggoo?» (1966) referiert auf eine Modenschau von Paco Rabanne: Vor völlig verblüfften Moderedaktorinnen präsentieren Models auf dem Laufsteg Röhrenkleider aus scharfkantigem Metall. Ob scharfe Kritik oder Lobeshymne an die Zeit – die Interpretation der Szene steht den Zuschauerinnen und Zuschauern frei.

Zwei gegensätzliche und doch so ähnliche Disziplinen

Wie so oft steht am Anfang ein künstlerischer oder intellektueller Umbruch, ein Postulat an der Schnittstelle von Material und Farbe – oder eben gerade nicht. Aus der Suche nach Varianten und der Erkundung einer unendlichen Fülle an Möglichkeiten entwickelt sich ein Stil. In der Mode wie auch in der Architektur verlangt die Überführung von der zweidimensionalen grafischen Darstellung in die dreidimensionale Fertigung eine perfekte Beherrschung der Technik.

«Ob man in ein Gebäude tritt oder in eine Jacke schlüpft: Es geht immer um den Umgang mit Materie. Mit der Umgebung in Berührung kommen, sie von innen spüren», wies Jean Nouvel in einem Interview mit dem Onlinemagazin Lumières de la Ville im März 2018 ganz unverkrampft auf die Parallelen zwischen den beiden Disziplinen hin. Im Mai desselben Jahres spann Pierre Hardy, Chefdesigner eines Schuhimperiums, in der Zeitschrift L’Express Styles den Gedanken weiter: «Die Geometrie ist Teil der Konstruktion eines Schuhs und eines Baus gleichermassen. Die Problematik unterscheidet sich jedoch: Während der Schuh den Körper stützt, wird die Architektur darum herum gebaut.»

Überwältigender Glamour und minimalistische Geometrie

Hussein Chalayan, der britische Designer türkisch-zyprischer Herkunft, Absolvent der Central Saint Martins School in London, gilt als einer der avantgardistischsten Designer seiner Generation. Bereits mit seinen ersten Kollektionen beschritt er neue Wege, inspiriert von der Architektur und den neuen Technologien. Sein Rock «Coffee Table» aus dem Jahr 2000 drückte seinem Schaffen einen Stempel auf und katapultierte ihn sofort unter diejenigen, die die Geschichte der Mode prägen. Das ultramoderne modulare Kleid verwandelt sich in einen Couchtisch und spielt gleichzeitig auf die Weidenringkonstruktion der Reifröcke aus dem 19. Jahrhundert an. Eine Zusammenarbeit mit dem Londoner Architekturbüro B Consultants brachte im gleichen Jahr «Before minus now»hervor, eine Kollektion von Röcken.

Mit seinen überschäumenden, konzeptuellen Kreationen steht der britische Designer Gareth Pugh Chalayan in nichts nach, wenn er sich mit XXL-Kragen und als Kunstwerk gestalteten Schultern dem Übermass verschreibt. Die wuchtigen Silhouetten sind dabei bemüht, die Waage zwischen unwiderstehlichem Glamour und strengen geometrischen Formen zu halten. Eine Vorgehensweise, die in ihrer Kompromisslosigkeit an Le Corbusier denken lässt: Der persönliche Stil und das Werk interagieren unaufhörlich mit der Mode, die als reduziertes Design aus eckigen und runden Linien mit punktuellen Farbakzenten daherkommt und an die durch Mondrian inspirierten Kleider von Yves Saint Laurent erinnern. 

Frauen sind in der Mode wie auch in der Architektur selten vorzufinden, ihr letztes Wort haben sie aber nicht gesprochen. Eine Ausnahme bildet die 2016 verstorbene Architektin Zaha Hadid, die Streifzüge bei den grossen Modelabels Louis Vuitton, Adidas und Lacoste unternahm. Beide Disziplinen agieren als Spiegelung der Gesellschaft, die, jede auf ihre Weise, kulturelle und wirtschaftliche Tendenzen abbilden. In einer Zeit, in der die ökologischen Herausforderungen ins Bewusstsein der Menschheit dringen, unternehmen Mode und Architektur nunzusammen einen neuen Kreuzzug: die Erfindung der Welt von morgen.

Nach seiner Ausbildung zum Modedesigner im Tessin wurde Alexandre Lanz Journalist, um seiner Leidenschaft für die Mode und deren Geschichte nachzugehen, und wirkte anschliessend als Chefredaktor von verschiedenen Fachzeitschriften für Mode in der Westschweiz. Heute schreibt er für mehrere Zeitschriftenin der Schweiz und in Frankreich.
 

Mit «Prada Experience» lanciert espazium.ch seine neue Online-Themenreihe. In diesen Dossiers greifen wir aktuelle Themen zur Baukultur auf, die nach und nach um weitere Beiträge ergänzt werden.

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