Bau­min­sel im Pend­ler­ver­kehr

Studienauftrag Heimplatz Zürich

Der Heimplatz in Zürich soll neu gestaltet werden – unter der Prämisse, dass der Verkehr wie bisher Vorfahrt geniesst. Aber was kann ein Studienauftrag ohne Beruhigungsmassnahme überhaupt verbessern? Wenig: Die Jury entschied sich für eine kleine Aufräumaktion.

Date de publication
29-08-2019

Links das Kunsthaus mit seinen beiden Flügeln, dem historischen und dem modernistischen. Rechts der stattliche neoklassizistische Erweiterungsbau, der nächstes Jahr eröffnet wird. Und im Rücken der «Pfauen»: das Schauspielhaus, das die Stadtbehörde eigentlich ersetzen möchte. Wir stehen am Zürcher Heimplatz, der an allen seinen drei Kanten je eine prominente Kultur­adresse ist und der sich lieber heute als morgen schick machen soll. Obwohl nur wenige Gehminuten vom See und vom historischen Zentrum entfernt, endet hier das urbane Lebensgefühl trotzdem abrupt.

Kein Platz zum Verweilen

Der Heimplatz ist ein wildes Verkehrsdreieck. Hier kreuzen sich hochfrequentierte Pendlerachsen, und hier verknotet sich das städtische Tram- und Busnetz. Für Fussgänger, Passanten und Touristen bedeutet dies jeweils einen Hindernislauf. Zwar führen insgesamt 16 Fussgängerstreifen über den Platz, dennoch dauert die ungefähr 100 m lange Passage mehrere Minuten. Dabei lädt der Platz selber zum Verweilen kaum ein. Eine Platane bietet Schutz vor Sonne oder Regen; weitere Unterstände sucht man selbst an den öV-Haltestellen ver­gebens. Zum bescheidenen Inventar gehören weiter das Denkmal des Namensgebers Ignaz Heim, der als Chorleiter und Komponist im 19. Jahrhundert tätig war, sowie ein Mikrorasen, gesäumt von einem ­Kiosk und einem halben Dutzend Autoparkfeldern. Bereits ­David Chipperfield Architects, den Gewinnern des Wett­be­werbs um die Kunsthauserweiterung, war es ein wichtiges Anliegen, die Strassenkreuzung weitgehend aufzuheben und zur ­ungestört begehbaren Kulturmeile aufzuwerten. Diese Idee ­quittierte die damalige Jury mit «Wunschdenken». Und auch nach dem Wettbewerb für die Neugestaltung des Heimplatzes, der diesen Frühling entschieden wurde, bleibt das bestehende Verkehrsregime tabu.

Verantwortlich dafür ist die übergeordnete Politik, obwohl man sich weniger Verkehr durchaus wünscht. Die Baubehörden von Kanton und Stadt haben sich verständigt, dieses Ziel in die «ferne ­Zukunft» zu verschieben. Vorderhand gibt man sich zufrieden, wenn ein Ausbau des Knotens verhindert werden kann. So steht es im aktuellen Plan für den Umbau des Hochschulquartiers geschrieben.

Unschlüssige Politik, enges Korsett

Der Heimplatz soll also bleiben, wie er ist. Aber ist ein Gestaltungswettbewerb unter solchen Umständen überhaupt erforderlich? Und kann die Einladung zum Entwerfen mehr sein als eine rhetorische Frage?

Tatsächlich bestätigen fast alle Vorschläge aus dem Studienauftrag die Ohnmacht des Planers vor einer unschlüssigen Verkehrspolitik.

Sechs interdisziplinäre Teams hatten die Präqualifikation überstanden. Mehrere loteten das enge Korsett danach geschickt aus. Gewonnen hat aber der introvertierteste Vorschlag von allen, für den Team 6 verantwortlich zeichnet. Der Eingriff in das Kreuzungsraster ist minimal und beschränkt sich auf ein Linksabbiege-Verbot, was dennoch mehr Platz und Sicherheit für öV und Velofahrer schafft. Ansonsten belässt man Strassenraum und Platzgeometrie praktisch unver­ändert. Der Kern dieser von der Jury als «ehrlich» beurteilten Gestaltungsidee ist jedoch, das kümmerliche Grün in einen kompakt möblierten Stadtgarten zu verwandeln. Die Neuausstattung soll funktional um einen Brunnen, Sitzstufen um das Denkmal sowie mit Strassencafé erweitert werden. Der Platz wird mit Marmor versiegelt und mit teilweise exotischen Laub- und Nadelhölzern bepflanzt. Fraglich erscheint, ob diese Bauminsel nicht nur vor der Sonne, sondern auch vor dem darum herum brausenden Verkehr ausreichend schützen kann.

Aufgrund der trennenden Raumwirkung will die Jury die Bepflanzung nochmals überprüfen. Nicht zu überzeugen vermag die ­Integration einer Installation von Pipilotti Rist in der Platzmitte. Dabei handelt es sich um ein Projekt, das die Kunsthauserweiterung künstlerisch ergänzt. An einem hohen Mast sind Lichtprojektoren angebracht; diese Ampel droht nun aber im Wald aus Baumkronen zu verschwinden.

Urbane Geste ohne Chance

Die übrigen fünf Gestaltungsvorschläge beinhalten durchwegs tiefgreifendere Eingriffe: Um breite Sichtachsen offen zu halten, werden neue Bäume nur auf die Eckpunkte konzentriert. Andererseits erweitert sich der Bewegungs- und Warte­raum für Passanten, wo immer ein Strassenast eingeengt werden kann. Die Mehrheit der Entwürfe nimmt dafür zum Beispiel in Kauf, dass sich Autos und Tram eine Fahrspur teilen. Am radikalsten geht Team 4 vor: Es kappt die Verlängerung der Heimstrasse und erweitert den Eingangsbereich vor dem bestehenden Kunsthaus zu einem städtischen Platz. Zwar fand die Jury lobende Worte für die «identitätsstiftende, urbane Geste». Doch die verkehrstechnische Analyse brachte das vorzeitige Aus. Der Eingriff hätte zu noch mehr Staus und einem Kollaps des Pendlerverkehrs geführt.

Was bleibt, ist folgender Eindruck: Der Heimplatz ist in seinem Schicksal gefangen. Der Stadtverkehr hält den «Platz der Künste» (Eigenwerbung Stadt Zürich) so lang im Griff, bis sich die Politik für ei­ne fussgängerverträgliche und freiraumtaugliche Erweiterung des historischen Zentrums zu entscheiden vermag.

Weitere Pläne und Bilder finden Sie in der Rubrik Wettbewerbe.

Empfehlung zur Weiter­bearbeitung und Realisierung

Team 6: Metron Verkehrsplanung, Brugg; Roland Müller Küsnacht Verkehrsingenieure, Zürich; Schmid Landschaftsarchitekten, Zürich; KuhnLandschaftsarchitekten, Zürich

Nach 2. Wertungsrundgang ausgeschieden

Team 2: Basler & Hofmann, Zürich; ASP Landschaftsarchitekten, Zürich; Van de Wetering Atelier für Städtebau, Zürich
Team 3: B + S, Zürich; dsp Ingenieure & Planer, Greifensee; Hager Partner, Zürich; Feddersen & Klostermann, Zürich

Nach 1. Wertungsrundgang ausgeschieden

Team 1: Kontextplan, Bern; extrā Landschaftsarchitekten, Bern; Knapkiewicz + Fickert, Zürich; Christoph Schläppi, Bern
Team 4: Transitec Beratende Ingenieure, Lausanne; 2b architectes, Lausanne
Team 5: Emch + Berger Verkehrs­planung, Bern; bbz bern, Bern

Fachjury

Katrin Gügler, Direktorin Amt für Städtebau, Stadt Zürich; Marie-Noëlle Adolph, Landschaftsarchitektin; Martin Buck, Verkehrsingenieur; Walter Vetsch, Landschaftsarchitekt; Rupert Wimmer, Verkehrsingenieur (Ersatz)

Sachjury

Richard Wolff, Vorsteher des Tiefbau- und Entsorgungsdepartements Stadt Zürich; Esther Arnet, Direktorin Dienstabteilung Verkehr Stadt Zürich; Hans Konrad Bareiss, Vizedirektor Verkehrsbetriebe Zürich; Simone Rangosch, Direktorin Tiefbauamt Stadt Zürich (Ersatz)

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