Fang­netz im Gleich­ge­wicht

Brückensicherung in Bern

Schnetzer Puskas Ingenieure und Rolf Mühletaler Architekten haben für Bern Sicherungsnetze für die Kirchenfeld und Kornhausbrücke geplant und mit der Stadt ausgeführt.

Date de publication
17-03-2016
Revision
25-08-2016

Die Aare zieht eine Schlaufe um die Berner Altstadt, die seit 1983 zum Welterbe der UNESCO zählt, und formt so den ­typischen ­Charakter der Halbinsel. Hatte es zu Beginn nur die Unter­torbrücke gegeben, waren ab dem 19. Jahrhundert weitere Brücken ­er­forderlich.

Denn die Stadt wuchs über die Halbinsel hinaus, und die verschiedenen Stadtteile sollten erschlossen werden. Am Schlaufenhals spannen die Kirchenfeld- und die Kornhausbrücke über den Fluss.

Die etwa 37 m hohe Kirchenfeldbrücke ist seit 1883 in Betrieb (Entwurf: Ingenieur Moritz Probst und Jules Röthlisberger von der Metallbau­firma Gottlieb Ott & Cie in Bern). Sie verbindet die Altstadt mit dem Kirchenfeldquartier und ist 229 m lang, besteht aus zwei gelenklosen 87 m weit gespannten Fachwerkbogen aus Schweisseisen, einem Pfeiler in der Talmitte und den Widerlagern an den Talhängen.

Darauf aufgeständert ist die Fahrbahn. Die Brücke steht unter Denkmalschutz, und weil sie einen guten Aussichtspunkt mit Blick auf das Bundeshaus bietet, ist sie eine Touristenattraktion.

Die 355 m lange Kornhausbrücke wurde 15 Jahre später eröffnet (Entwurf: Ingenieur Paul Simons, Theodor Bell & Cie. AG aus Kriens und Gutehoffnungshütte in Oberhausen). Sie verbindet die Altstadt mit dem Breitenrainquartier und dem nördlichen Teil Berns.

Zwischen zwei markanten Kämpferpfeilern spannt ein gelenkloser 115 m weiter Gitterbogen. Auf Bogen und Pfeilern ist die Fahrbahn aufgeständert. Beid­seits des Bogens schlies­sen ein bzw. vier kleinere 34 m weit gespannte Zweigelenkbögen und jeweils ein Balkenrandfeld an.

Sowohl die Kirchenfeld- als auch die Kornhausbrücke gelten als Anzie­hungs­punkte für Suizide. Um vorzubeugen, liess die Stadt deshalb 2009 provisorische, 2.80 m hohe Sicherheitsnetze montieren. Sie ­waren vertikal und nur partiell angebracht und genügten den ästhetischen und denkmalspezifischen Anforderungen nicht.

Die ­Direktion für Tiefbau, Verkehr und Stadtgrün beauftragte ein Projektteam, eine definitive Lösung zu finden. Das Ingenieur-Ar­chitekten-­Team Schnetzer Puskas Ingenieure und Rolf Mühlethaler konstruierte Netze, die den gestellten Ansprüchen gerecht werden. Für die Verankerungen waren die Brückeninge­nieure Bächtold & Moor und die Ingenta zuständig.

Seit Ende November 2015 sind nun horizontale Netze angebracht, die die Sicht auf die und von der Brücke offen lassen und zugleich die sicherheitsspezifischen Anfor­derungen erfüllen. Horizontale Si­cherheitsnetze sind eine wirksame ­Präventionsmassnahme gegen Brückensuizide, wenn sie denn mindestens 3 m unter der Fahrbahn bzw. 4 m unter der Geländer­oberkante montiert werden.1

Das Projektteam ordnete die Netze beidseits der Kirchenfeldbrücke entsprechend auf 3 m Tiefe ab Ober­kante Fahrbahn an. Bei der Kornhausbrücke sind die Netze in einer Tiefe von 1.6 m montiert; gestalterische und städtebauliche Aspekte begründen diesen Kompromiss ­zwischen Gestaltung und Anforderung an die Suizidprävention.

Optisch und statisch im Gleichgewicht

Die Netzkonstruktionen beider Brücken sind konstruktiv ähnlich. Sie unterscheiden sich im Detail und passen sich an die gegebenen Spannweiten sowie an die bestehende historische Brückenkonstruktion an. Das Ingeniöse an der Konstruktion ist, dass alle Bauteile tragend mitwirken – auch das Netz.

Dieses ist grundsätzlich über seinen inneren Rand am Brückenuntergurt fixiert und aussen über Hänger am Tragseil befestigt. Das Tragseil mit einem Nenndurchmesser von etwa 31 mm ist ein vollverschlossenes Seil mit einer charakteristischen Bruchkraft von 916 kN. Die inneren Lagen sind feuerverzinkt, die äusseren Zink-Aluminium-beschichtet (galfanver­zinkt).

Das Tragseil ist an den Brückenwiderlagern verankert. Es hat einen Durchhang in der horizontalen Ebene und stützt sich über Abrollsattel auf geneigte Stahlstützen, die als Ausleger wirken und an den Brückenpfeilern befestigt sind. 

Die Stützung des Tragseils an den Brückenpfeilern widerspiegelte das statische Konzept der ­Brücke selbst. Das statische System der neu hin­zugefügten Seilkon­struktion unterstützt so architek­tonische und ­städtebauliche Anfor­derungen und verflicht sich mit der historischen Bausubstanz.

Anfangs- und Endgeometrie

Um den relativ komplexen Bauvorgang der Seilkonstruktion zu vereinfachen, waren die Mitarbeiter von Schnetzer Puskas Ingenieure aus Basel erfinderisch. Die Tragelemente sind in ihrer Länge und Lage so aufeinander abgestimmt, dass sie im Bauzustand lose montiert und zusammengefügt werden können.

Mit ihrer Verschiebung in die Endlage «fallen» sie genau ins Kräfte­gleichgewicht: In einem ersten Schritt liessen die Ingenieure die Endverankerungen in den Wider­lagern und die Verankerungen der Hänger und Ausleger an der Brücke installieren. Die Ausleger wurden an der vorgängig montierten Auslegerverankerung zunächst vertikal befestigt.

Danach zog man die Tragseile über die Abrollsattel der Ausleger. Die Seile waren vorab im Werk unter kontrollierter Tempe­ratur vorkonfektioniert, d. h. genau auf ihre künftigen Belastungen, Dehnungen und Anschlüsse dimensioniert, abgelängt und markiert worden. Die Eigenlasten aller Konstruktionselemente wie Seile, Netze und selbst Beschläge spielten für die Endgeometrie eine massgebende Rolle und waren genau zu ermitteln. 

An das Tragseil schloss man die Hänger an und an diese wiederum die Netze inklusive der Netzrand­seile. Sobald auch der Innenrand des Netzes am inneren Randseil befestigt war, konnte man die Konstruktion in die Endposition ablassen. Mit diesem Vorgang dehnten und spannten sich die Seile und das Netz, und die Gesamtkonstruktion gelangte in ihr stabiles Gleichgewicht.

Nichtlineare Bemessung

Die Netze besitzen in Feldmitte einen vertikalen Durchhang von l/60. Dieser ergibt sich aus den Eigenlasten der Seil- und Netzkonstruktion. Die aus diesem Durchhang resultierende Horizontalkraft ergibt die Kraft, die das Tragseil in horizontaler Ebene vorspannt. Die Berechnung der Verformungen und der Seilkräfte erfolgte nichtlinear.

Aus einer Anfangsgeometrie ermittelten die Ingenieure iterativ die erwünschte Gleichgewichtsgeometrie im End­zustand. Dabei arbeiteten sie mit einem globalen Sicherheitskonzept, führten die statischen Berechnungen also mit Gebrauchslasten durch.

Die Teilsicherheitsfaktoren für ständige und veränderliche Lasten teilten sie erst bei der Bemessung der Seilelemente durch den entsprechen­den Faktor. Dadurch ist der Ausnutzungsgrad nicht ganz ausgeschöpft. 

Es entsteht eine effiziente Seilkonstruktion, die inklusive Netze als ganzheitliches statisches System funktioniert, präventiv gegen Suizidversuche wirkt, unter Umstän­den Leben retten kann und zugleich den gestalterischen, städtebaulichen und denkmalpflegerischen Anfor­derungen genügt.

Anmerkung
1 Suizidprävention bei Brücken: Follow-Up, Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK, Bundesamt für Strassen, Forschungsprojekt AGB2009/014 auf Antrag der Arbeitsgruppe Brückenforschung (AGB), April 2014.

Am Bau Beteiligte


Bauherrschaft
Tiefbauamt der Stadt Bern

 

Seil- und Tragkonstruktion
Schnetzer Puskas Ingenieure

 

Architektur
Rolf Mühlethaler

 

Brückeningenieure
Bächtold und Moor AG, Ingenta ag

 

Drahtseiltechnik
Jakob AG

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