Ein neu­er Weg

Dezentrale Energieversorgung

Bei der nachhaltigen Energieversorgung geht es nicht nur darum, wie viel Energie verbraucht werden darf und wie viel aus erneuerbaren Quellen erzeugt werden soll. Auch auf welchem ­Einzugsgebiet die Energie verteilt wird, ist eine Frage nach dem rechten Mass.

Publikationsdatum
16-02-2017
Revision
20-02-2017

Klimaschutz hat seine Tücken. Die Schweizer Treibhausgas-Emissionen sollen bis 2020 um 20 % niedriger liegen als 1990, die Energieversorgung aber langfristig gesichert sein – und das trotz dem geregelten Ausstieg aus der Kernenergie. Wie kann also nachhaltige Energienutzung funktionieren? Es geht um drei Dinge: Möglichst wenig Energie verbrauchen, diese effizient nutzen und sie aus CO2-neutralen, nachwachsenden Ressourcen erzeugen. Diese Aufschlüsselung trifft auf Konsumgüter ganz genauso zu wie auf den Gebäudepark. Da dieser die Hälfte des Schweizer Energieverbrauchs ausmacht, ­arbeiten Experten seit Jahrzehnten an seiner Energie­ver­brauchs­optimierung.

Auf den Trend zu immer ­dickeren Wärmedämmungen, die den Verbrauch von Heizöl-
(-äquivalenten) reduzieren sollten, folgten die Trends zu effizienten Haushaltsgeräten und haustechnischen Anlagen zum Beispiel mit Wärmerückgewinnung sowie schliesslich zur eigenen Erzeugung von erneuerbarer Energie. Plusenergiehäuser waren das neue goldene Kalb. Aktive Gebäude, wie das 2016 vom Büro Viridén + Partner renovierte Mehrfamilienhaus beim Schaffhauserplatz in Zürich, führen gleich zur nächsten Trendwende: weg von der zentralen Energieerzeugung, hin zu einer Dezentralisierung. 

Woher kommt die Energie?

Unter zentraler Energieversorgung versteht man die Produktion von enormen Energiemengen an einzelnen (zentralen) Standorten, die dann – zum Teil über Ländergrenzen hinweg – in viele Richtungen verteilt werden. Durch lange Leitungswege entstehen hierbei hohe Verluste. Als Endkunde ist man überdies von den Importen, Angeboten und Preisen des Energielieferers abhängig. Bei der dezentralen Versorgung gibt es nicht das eine grosse Zentrum, sondern viele kleine. 

Zentral versus dezentral ist keine schwarz-weisse Angelegenheit. Es gibt nicht nur russische Gaspipelines und die komplette, abgeschottete Eigenversorgung, wie sie auf der Monte-Rosa-Hütte (vgl. TEC21 49/2015, «Gebäudebetrieb zwischen Anspruch und Wirklichkeit») angestrebt wird. Das Versorgungsgebiet eines zentralen Erzeugers kann landesweit, kantonal oder stadtweit sein. Ein dezentraler Erzeuger gilt auch dann noch als solcher, wenn er Nebengebäude wie ein Gartenhaus oder einen Stall mitversorgt. Der Gedanke lässt sich auf die Nachbarn bis hin zur Arealvernetzung ausweiten. 

Letztere wird auf einschlägigen Konferenzen schon seit Jahren als bedeutende Zukunftsvision gehandelt. Ob damit die goldene Mitte gefunden ist, eine Grössenordnung, die die Vorteile von zentraler und dezentraler Energieversorgung zu vereinen schafft, wird in der Schweiz gerade rege und in verschiedenen Komplexitätsgraden erforscht. Die Hochschule Luzern betrachtet in ihrem Projekt «SCCER» Energy Cluster, die Strom, Wärme und Gas teilen (vgl. TEC21 9–10/2015, «Erdwärme: First come first serve?»). Die Empa Dübendorf beschäftigt sich in ihrem Projekt «ehub» mit der Arealvernetzung (vgl. TEC21 22/2016, «Empa NEST – Brutplatz für die Forschung») und am Hönggerberg der ETH Zürich werden thermische Netzknoten im Realbetrieb getestet (vgl. TEC21 34/2015, «Thermische Netze»). 

Das Haus als Kraftwerk

Was bedeutet Dezentralisierung aber nun für ein Einzelgebäude? Eventuell gar nichts. Wenn ein Gebäude nur als Verbraucher auftritt, könnte das exakt selbe Gebäude ohne die geringste Änderung statt von einem zentralen Anbieter von einem dezentralen versorgt ­werden – vorausgesetzt beide stellen ihm die gleichen Energieformen (z.B. Wechselstrom auf Niederspannung) zur Verfügung. In einem vernetzen Areal hat das Objekt noch zusätzliche Möglichkeiten. Jedes Gebäude kann als Erzeuger, Verbraucher oder Speicher dienen, muss aber eben nicht alle diese Funktionen gleichzeitig und auch nicht für alle Energieformen erfüllen. 

Zur Betrachtung, wie dezentrale Energieversorgung funktioniert und wie es mit ihr weitergehen könnte, sind die aktiven Gebäude innerhalb eines Systems am aufschlussreichsten. Versorgt sich ein Gebäude oder Gebäudekomplex völlig selbst, wie es das Mehrfami­lienhaus von René Schmid in Brütten (vgl. «Egoist») tut, oder dient ein Gebäude als Knoten im Energienetz, wie das Active Energy Building von Falkeis Architekten in Vaduz (vgl. «Altruist»), lässt sich daraus besonders viel lernen. Denn derartige Gebäude bedürfen eines besonders hohen Technikeinsatzes, um ihre Funktion zu erfüllen.

So bieten diese Extrembeispiele mit ihrem vielfältigen technischen Arsenal den Praxistest für ­diverse Methoden der Erzeugung von elektrischer und thermischer Energie, der Maximierung von passiven Gewinnen und Minimierung von Verlusten, der Energiespeicherung und der effizienten Nutzung. An ihnen wird sich im Laufe von den Alltag begleitenden Monitorings zeigen, ob und wie die dezentrale Energie­versorgung über das Areal betrachtet funktionieren kann. Nicht jedes Gebäude muss in Zukunft so aussehen. Aber es hat sein Gutes, dass ein paar es heute tun.

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