Die Sa­nie­rung des Lin­th­werks

Hochwasserschutz für die Linthebene

Rund 180 Fachleute nahmen Anfang Juni an der Hochschule Rapperswil an einem Symposium zum sanierten Linthwerk teil. Während vor 200 Jahren beim Bau des Linthwerks die bautechnischen Probleme sowie die Finanzierung im Vordergrund gestanden hatten, waren bei der aktuellen Sanierung vor allem die komplexe Planung sowie der Ausgleich der widersprüchlichen Interessen zu meistern.

Publikationsdatum
14-06-2013
Revision
01-09-2015

«Zehn Jahre Planung und knapp fünf Jahre Bauzeit.» Mit diesen Worten eröffnete der St. Galler Regierungsrat Willi Haag, Präsident der Linthkommission, das Symposium zum Hochwasserschutzprojekt «Linth 2000». Die offizielle Eröffnung des sanierten Linthwerks fand zwar bereits Ende April im Beisein von Bundesrätin Doris Leuthard statt. Das Linthwerk umfasst den aus dem Glarnerland kommenden Escherkanal, der die Linth in den Walensee umleitet, sowie den Linthkanal zwischen dem Walen- und dem Zürichsee. «Linth 2000» ist das erste grössere Hochwasserschutzprojekt der Schweiz, das nach dem neuen Wasserbaugesetz von 1991 erfolgreich umgesetzt werden konnte.

Der Abschluss des Projektes war der ideale Zeitpunkt, um die wichtigsten Erkenntnisse aus der Planungs- und Bauzeit an die Kollegen aus anderen Landesteilen weiterzugeben. Die Walliser und die Waadtländer stecken mit der 3. Rhonekorrektion mitten in einem noch grösseren Vorhaben, und auch am Alpenrhein laufen die Vorarbeiten auf Hochtouren.  

Emotionaler Widerstand

Beim Linthwerk ist man erleichtert, dass der Hochwasserschutz in der Linthebene dank den sanierten Dämmen wieder hergestellt ist. Gleichzeitig konnten auch viele andere Ziele realisiert werden. Dabei sah es gar nicht immer gut aus für das Projekt. Obschon man laufend informierte und die Betroffenen mit einbezog, geriet das Projekt 2004 in eine gefährliche Schieflage. Der Widerstand kam von verschiedenen Seiten: Die Bauern wollten möglichst kein Land hergeben; die Bewahrer wollten an Eschers 200-jährigem Werk möglichst nichts verändern; die Naturschützer wollten möglichst viel für die Natur herausholen und am liebsten wieder den Urzustand der Linthebene herstellen.

In der Bevölkerung formierte sich eine massive Opposition gegen das Projekt; in nur zwei Monaten hatten 8600 Personen eine Petition unterschrieben. Daraufhin beauftragten die Verantwortlichen des Linthwerks die Agentur Leuzinger & Benz, die Lage zu analysieren und ein Kommunikationskonzept auszuarbeiten.

Escher als Integrationsfigur

Die Menschen in der Linthebene hätten primär den Verlust des vertrauten Landschaftsbildes und von Landwirtschaftsland gesehen, sagte Esther Leuzinger von der Kommunikationsagentur. Die Bevölkerung habe viel zu wenig wahrgenommen, welche Perspektiven und Chancen bezüglich Ökologie und Erholung das Projekt mit sich bringen würde. Eine allen bekannte Persönlichkeit musste her. Und es war klar, dass dies nur einer sein konnte: Hans Konrad Escher, der geistige Vater des Linthwerks und Übervater der Linthebene.

«Alle berufen sich auf Escher», sagte Leuzinger. Dieser sei der kleinste gemeinsame Nenner zwischen den verschiedenen Gruppen der Gegner sowie der Befürworter gewesen. Die Strategie ging auf. Der Widerstand begann zu bröckeln, und der harte Kern schmolz schliesslich auf eine kleine Gruppe zusammen. 

Schlanke Projektstruktur und kurze Entscheidungswege

Die zentrale Aufgabe des Linthwerks ist die Sicherstellung des Hochwasserschutzes. Die Verantwortlichen waren aber plötzlich mit vielen weiteren Ansprüchen konfrontiert. «Die Menschen spürten, dass nach der grossen Melioration nun wieder ein grosses Vorhaben in der Linthebene realisiert wird», sagte Markus Jud, der als Linthingenieur die Linthverwaltung leitet. Verschiedene Begleitplanungen wurden erfolgreich durchgeführt.

Trotz der breiten Abstützung des Projektes und der Mitwirkung der betroffenen Kreise gab es nach der Planauflage eine ganze Reihe von Einsprachen. Das Teilprojekt «Linthkanal» konnte sogar erst nach dem für das Linthwerk positiven Entscheid des Bundesgerichtes in Angriff genommen werden.

«Für die erfolgreiche Umsetzung des Projektes waren vor allem die schlanke Projektorganisation und der enge Kontakt zur Linthkommission hilfreich», betonte Jud. In der Linthkommission sind die Kantone St. Gallen, Glarus und Schwyz des Linthgebiets sowie der Kanton Zürich vertreten. Als oberstes Gremium des Linthwerks fällt die Linthkommission auch die politischen Entscheide, nachdem sich die Kantone nach Parlaments- oder Volksentscheiden zu einem interkantonalen Konkordat zusammengeschlossen hatten.

Neben der anspruchsvollen Planung gab es auch ingenieurtechnische Probleme zu lösen. Eine Herausforderung stellte etwa der schwierige und zum Teil rasch wechselnde Baugrund mit Schotter und feinsandigen bis zu torfigen Ablagerungen im Bereich des Linthkanals dar. Beim Escherkanal wollte man an der Aussenböschung des linken Damms wegen seines markanten Erscheinungsbildes sowie der artenreichen Vegetation mit dem Vorkommen einer seltenen Schmetterlingsart, dem grossen Moorbläuling, nichts verändern. Somit musste der Damm auf der Innenseite verstärkt werden, gleichzeitig war aber auch der erforderliche Abflussquerschnitt zu gewährleisten.

Bei den Flussaufweitungen wurde nichts dem Zufall überlassen. Im Auftrag der Linthwerks bauten Mitarbeiter der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie der ETH Zürich zwei Modelle im Massstab 1:30 (Hänggelgiessen am Linthkanal) beziehungsweise 1: 40 (Chli Gäsitschachen am Escherkanal). Die Erkenntnisse dieser Experimente im Labor wurden an der Tagung ebenfalls präsentiert.

Ökologische Optimierung

Ohne Massnahmen zur Verbesserung der Gewässerökologie und zur Aufwertung der Uferbereiche kann heute kein Hochwasserschutzprojekt mehr realisiert werden. Mit Heiner Keller vom Ökobüro AG Natur und Landschaft stand dem Linthwerk für die Aspekte der Umwelt ein erfahrener Biologe zur Verfügung. Am Symposium bekam man den Eindruck, dass Keller mit vielen Ideen bei den Ingenieuren auf offene Ohren stiess und dadurch die Möglichkeiten zur ökologischen Optimierung des Projektes voll ausgeschöpft werden konnten.

Neben der Schonung der vorhandenen ökologischen Werte stand die Renaturierung geeigneter Flächen im Vordergrund. Wird den Gewässern mehr Raum gegeben, fällt Material an. Das war auch beim Linthwerk so. Hatte das Material eine gute Qualität, konnte es an anderen Stellen verwendet werden. Es fielen aber auch grosse Mengen Torf an. Dieser wurde in den neuen Naturschutzgebieten ausgebracht, wo nun eine Riedvegetation gedeiht.

Ganz ohne Druck ging es freilich nicht. Die Umweltämter der Kantone hatten die Umweltverträglichkeit des Vorhabens zu prüfen. Dafür kam ein kompliziertes Punktesystem zum Einsatz. Die erforderlichen Punkte zu erreichen wurde erschwert, nachdem die Einwohner von Mollis die Zustimmung zu einer der beiden geplanten Aufweitungen am Escherkanal auf Glarner Boden verweigerten. Die deswegen nicht realisierbaren ökologischen Gewinne mussten an anderen Orten des Linthwerks mit Ausgleichsmassnahmen kompensiert werden.

Das Scheitern der geplanten Aufweitung mobilisierte die Umweltorganisationen. Mit Einsprachen hielten sie den Druck aufrecht und konnten mit einer Vereinbarung auch einiges in ihrem Sinne erreichen. So ist beispielsweise ein vom Linthwerk unabhängiges Ökobüro mit der Erfolgskontrolle der ökologischen Massnahmen über den offiziellen Projektabschluss bis 2015 beauftragt worden.

Meilenstein im integralen Risikomanagement

Auch beim Bund fällt die Bilanz zur Sanierung des Linthwerks überwiegend positiv aus. Roberto Loat vom Bundesamt für Umwelt erklärte, dass schon einige Projekte nach der neuen Philosophie im Wasserbau umgesetzt worden seien. Die neue Philosophie beinhalte insbesondere ein integrales Risikomanagement mit differenzierten Schutzzielen, die Berücksichtigung des Überlastfalls sowie die Verbesserung von Ökologie und Erholungsmöglichkeiten. Seiner Einschätzung nach haben die Verantwortlichen des Linthwerks die neue Philosophie bisher am konsequentesten umgesetzt.

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