Zwi­schen Mensch und Raum

World Interiors Day 2016 in der Schweiz

Weder Architektur noch Kunsthandwerk: Die Innenarchitektur ­hat ihre eigene baukulturelle Aufgabe. Für einen individuellen Nutzer verbindet sie Raum und Möbel zu einer neuen Einheit mit eigener Identität.

Publikationsdatum
08-06-2016
Revision
23-06-2016

Ende Mai lud die Vereinigung Schweizer Innenarchitekten zum World Interiors Day ins Stilhaus nach Rothrist. Man besichtigte die Möbelsammlung des verstorbenen vsi-Mitglieds Leo Zimmermann und tauschte sich über die Schnittmenge von Bauen und Einrichten aus. 

Spricht man von Innenarchitektur, denkt man zuerst an Möbel. So entstand auch die Vereinigung Schweizer Innenarchitekten/-architektinnen vsi.asai 1942 aus der Zürcher Kunstgewerbeschule für Schreiner und Möbelhandwerk. Damals kamen der dort lehrende Basler Möbeldesigner Wilhelm Kienzle und neun Studenten zusammen, um Innenarchitektur nicht nur als Kunsthandwerk zu verstehen, sondern die planerische Leistung für spezifische Kundenbedürfnisse in den Vordergrund zustellen. 

In der Innenarchitektur befindet sich das Möbel an der Schnittstelle zwischen Mensch und Raum: Im Bett wird geschlafen, auf dem Stuhl gesessen, am Tisch gearbeitet – das Möbel steht in einer direkter Beziehung zum Menschen. Aber es braucht auch einen Raum und beeinflusst diesen wiederum. Diese Wechselbeziehung ist entscheidend: Innenarchitektur schafft aus Raum und Möbeln eine Einheit, die auf eine spezifische Nutzung zugeschnitten ist und Identität stiftet. 

Hier unterscheidet sich die Innenarchitektur von der Architektur. Gute Architektur ist nutzungsneutral und sozial flexibel, im besten Fall Abbild einer gesellschaftlichen Identität. Aber sie sollte niemals Ausdruck einer individuellen oder totalitären Identität werden – dies würde zu einer sozialen Spaltung führen, der öffentliche Raum würde zur Marken- oder Ideologiearchitektur verkommen. Deshalb funktioniert Innenarchitektur auch nur in der direkten Beziehung zwischen Mensch und Raum und nicht an der Schnittstelle zwischen Raum und Gesellschaft.

Trotzdem hat heute Innenarchitektur nur noch bedingt mit dem Innenraum zu tun. Viel mehr bezeichnet sie das Denken von innen nach aussen, während die Architektur von aussen auf das Innen schaut. Beides hat seinen Grund und darf nicht vermischt werden. Architektur und Innenarchitektur verfolgen eine jeweils grundsätzlich andere Zielsetzung und erfüllen unterschiedliche baukulturelle Aufgaben.

Master gewünscht

Für eine nachhaltige Baukultur braucht es beide Sichtweisen. Dies sollte sich auch in einem differenzierten Ausbildungsangebot abzeichnen. Die Schweiz bietet neben verschiedenen Architekturschulen auch vier Bachelor-Innenarchitekturausbildungen in den drei grossen Landessprachen an. Der internationale Standard einer Masterausbildung wurde bis jetzt noch nicht erreicht. Das erklärt unter anderem auch, warum die öffentliche Hand die Innenarchitektur noch kaum als Partner wahrgenommen hat.

Für diese Anliegen setzt sich der vsi.asai ein. Mit dem World Interiors Day soll die Sichtweise der Innenarchitektur einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht und ein Beitrag zur Stärkung der Baukultur geleistet werden. 

World Interiors Day
Der WID entstand aus einer Initiative der International Federation of Interiors Architects/ Designers IFI, des Weltdachverbands der Innenarchitektur. Die vsi.asai war 1963 Gründungsmitglied der IFI.

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