Zustimmung zum Grossen, Einspruch im Kleinen
Zürich darf in die Höhe spriessen und sich nach innen verdichten. Diesen Herbst nahm die Bevölkerung gleich zwei grossformatige Wohnbauvorhaben an. Trotzdem wächst die grösste Stadt der Schweiz alles andere als schmerzfrei.
Diesen Herbst läuft es gut für die Verdichtung der grössten Stadt der Schweiz: An den letzten zwei Abstimmungssonntagen, Ende September und Ende November, nahm das Stimmvolk einen grossflächigen Gestaltungsplan an mit viel Luft nach oben für vertikales Wohnen. Der erste Urnengang galt neben einem Fussballstadion in Zürich-West ebenso den bislang höchsten Wohntürmen der Schweiz. Und beim zweiten erhielt die Grossüberbauung «Thurgauerstrasse» in Oerlikon grünes Licht, wozu ein Areal aus Schrebergärten zu versiegeln sein wird.
An beiden künftigen Hochhaus-Adressen sollen insgesamt über 1400 Wohnungen entstehen, mehr als die Hälfte mit Kostenmiete. Die Zustimmung war jeweils deutlich, mit einem Ja-Stimmen-Anteil von fast 60 %. Die Kampagnen zuvor verliefen dagegen emotional bis gehässig.
Hochaus-Schreck schwindet
Als «rücksichtslos» und «technokratisch» beschimpfte die Opposition den geplanten Zuwachs an Hochhäusern im Norden der Stadt. Gegen die Umzonung ergriff eine Koalition aus grünen und rechtsbürgerlichen Kreisen das Referendum. Die Türme im Hardturm standen derweil im politischen Schatten der Stadionfrage; die Gegnerschaft urteilte etwas milder mit «verantwortungslos» und «renditeorientiert».
Was die Befürworter nach diesen Abstimmungsrunden umso mehr ins Staunen bringt: Das Hochhaus scheint doch nicht so unbeliebt wie ihm häufig nachgesagt wird. Offensichtlich schwindet seine Symbolkraft als überzogenes Wachstumswerk, es findet bei der breiten Bevölkerung zunehmende Akzeptanz.
Fachliche Kritik erst leise
Eine weitere Überraschung ist der feine Experten-Laien-Graben, der die Meinungen zur Stadtverdichtung teilt: Verdrängte der Wunsch nach einem richtigen Fussballtempel die Debatte über städtebauliche Höhenflüge in Zürich-West, fiel der Gestaltungsplan «Thurgauerstrasse» bei benachbarten Grundeigentümern und in Architektur- und Urbanistenkreisen durch.
«Zu hoch, zu dicht, zu monoton», kanzelte «Hochparterre»-Redaktorin Rahel Marti die zur Wahl gestellte und mithilfe eines Testplanverfahrens bestimmte Neuordnung im Zürcher Norden ab. Tatsächlich übertreffen deren Geometrie und Parametrie das Meiste, was städtebaulich in naher und weiterer Umgebung zu finden ist.
Auf dem eigenen Areal an der Thurgauerstrasse beabsichtigt die Stadt, rund 700 Wohnungen bereitzustellen. An derselben Pendlerachse weiter nördlich folgt der voluminöse Glattpark von Opfikon; seine Dichte ist zwei Drittel geringer. Und das wenige hundert Meter entfernte Hunziker Areal gilt seit Eröffnung vor fünf Jahren als die Zürcher Vorzeigeadresse für urbanes, nachhaltiges Bauen schlechthin. Dieser innerstädtisch gestaltete Standort erreicht seinerseits nur 70 % des Dichtegrads, der für die Überbauung «Thurgauerstrasse» dereinst gelten soll.
Alles richtig gemacht?
Zwar kritisiert der Hochparterre-Leitartikel auch die Stadtverwaltung, weil sie für das Oerliker Grossprojekt weder einen angemessenen Ideenpool angezapft habe – etwa mit einem offenen Wettbewerb für in- und ausländische Städteplaner – noch die Betroffenen vor Ort partizipativ zu beteiligen versuchte. Doch solche Wünsche scheinen obsolet. Die jüngsten Abstimmungsresultate zeigen eher, dass grossformatige Verdichtungspläne durchaus den Nerv der Zeit treffen und auf eine hohe Gunst der Bevölkerung zählen können. Mit ihrer Einschätzung lag die Zürcher Stadtbehörde richtig; sie darf als «Eigeninvestorin» im Sinne der städtischen Wohnungspolitik folglich einen Etappenerfolg verbuchen.
Etwas weniger geschickt geht sie allerdings bei der Konkretisierung und beim Moderieren von externen Verdichtungsvorhaben vor. Zuletzt erlitt sie mehrere Rückschläge, weil Fachgremien und Gerichtsinstanzen die Meinung von Zürcher Stadtämtern oder selbst der Exekutive aus rechtlichen Gründen nicht teilen.
Gerichte greifen mehrmals ein
Bereits drei Mal hob das Baurekursgericht dieses Jahr eine amtliche Bewilligung auf, weil gesetzlichen Auflagen für den Bau von Ersatzsiedlungen nicht eingehalten wurden. Die kantonale Instanz beanstandete die Missachtung von Lärmschutzanforderungen unter anderem im Brunaupark und im Unterstrassquartier, wo die Credit Suisse respektive eine Wohnbaugenossenschaft bestehende Liegenschaften komplett erneuern wollen.
Und auch das Bundesgericht intervenierte wiederholt, um eine rechtskonforme Beurteilung von städtebaulichen Massstabssprüngen sicherzustellen respektive den Abbruch von hochstehender Baukultur zugunsten einer Siedlungsverdichtung – zum Beispiel in der Gartenstadt Friesenberg – zu verhindern.
Was aber haben diese Gerichtsfälle mit einer Volksabstimmung über Hochhäuser zu tun? An sich sehr viel, denn in der Raumplanung steckt der Teufel oft im Detail: Bis ein grundsätzlicher Entscheid zu einem Projekt mit Baureife führt und aus einem Gestaltungsplan effektiv Neues entsteht, sind noch viele Hürden, darunter etliche öffentliche und private Interessen, zu überwinden.
Zum anderen stört fast niemanden, wenn urbanes Neuland – Gewerbebrachen oder andere Reserveflächen – für die Siedlungsentwicklung nach Innen erobert wird. Traditionelle Wohnquartiere mit gewachsenen Strukturen sind dagegen ungemein schwieriger zu verändern und zu verdichten.
Will die Stadt Zürich wachsen, braucht sie nicht nur die Zustimmung für Neubauten in hoher und kompakter Form, sondern ebenso konsensfähige Konzepte zur Erneuerung bestehender Quartiere. Diese Aufgabe erfordert jedoch weniger agierendes als moderierendes und vermittelndes Geschick.