Wohn­raum wird be­zahl­bar

Im Norden Frankfurts soll auf dem Hilgenfeld günstiger Wohnraum entstehen. Im von der Stadt Frankfurt am Main ausgeschriebenen Konzeptverfahren wurden vier Büros ausgezeichnet. Zu den Prämierten gehören auch Duplex Architekten aus Zürich.

Publikationsdatum
11-04-2019

Günstig wohnen? Das wird in Europas Grossstädten bald nicht mehr möglich sein, so der allgemeine Konsens. Dem wollen das Planungsdezernat der Stadt Frankfurt am Main, das Deutsche Architekturmuseum (DAM) und die ABG Frankfurt Holding ein Statement entgegensetzen. Dafür haben sie im Jahr 2017 erstmals den Preis «Wohnen für Alle: Neues Frankfurt 2018» für aktuell realisierte, bezahlbare und gute Wohnbauprojekte in Europa ausgelobt, um bezahlbaren Wohnraum 1 : 1 in Frankfurt umsetzen zu können.

Ort dieses Modellprojekts ist das Hilgenfeld im Norden der Stadt. Auf dem rund 14 ha grossen Baufeld sollen 850 neue Wohneinheiten entstehen, die durch eine ergänzende Infrastruktur an die Innenstadt angeschlossen werden. Neben dem Wettbewerb «Wohnen für Alle: Neues Frankfurt 2018», sollen auf dem Areal ca. 40 % der Wohnungen öffentlich gefördert entstehen, 15 % der Flächen werden an gemeinschaftliche und genossenschaftliche Akteure per Konzept­verfahren vergeben. Durch dieses Vorhaben will die Stadt Frankfurt am Main das Quartier beleben und bei den Bewohnern eine stärkere Identifikation erzeugen.

Städtebau vor Architektur

Dem ging Ende 2016 ein städtebaulicher Ideenwettbewerb voraus, mit dem ein Konzept für das neue Wohngebiet im Hilgenfeld gesucht wurde. Thomas Schüler Architekten Stadtplaner aus Düsseldorf zusammen mit Faktorgrün Landschaftsarchitekten aus Freiburg konnten diese Ausschreibung für sich entscheiden. Das städtebauliche Konzept definiert fünf eigenständige Quartiere mit zentralen Nachbarschaftsplätzen, einem Quartierszentrum, Einzelhandelsflächen und sozialen ­Einrichtungen.

Ökologische Komponenten

Teil des Projekts ist auch ein Forschungs- und Entwicklungsvorhaben (FuE) im Bereich der nachhaltigen, zukunftsfähigen Entwicklung von innovativen Energie- und Mobilitätskonzepten in Stadtquartieren. Mithilfe dezentraler, regenerativer Stromerzeugungslösungen soll eine ganzheitliche Energieversorgung für das gesamtes Quartier gestaltet werden.

Auswahlverfahren

In der ersten Phase des zweistufigen Wettbewerbs haben sich 107 Architekturbüros aus ganz Europa mit insgesamt 131 Projekten beworben. Voraussetzung war, dass diese Arbeiten in den vergangenen vier Jahren realisiert wurden. Aus diesen Wettbewerbsbeiträgen prämierte die Jury zehn Finalisten. Diese ­wurden mit einem Preis der Stadt Frankfurt ausgezeichnet und qualifizierten sich automatisch für das folgende Konzeptverfahren über das neue Frankfurter Baugebiet Hilgenfeld.

Sieben Architektenteams aus Deutschland und dem benachbarten Ausland entwickelten für jeweils mindestens eines der vier dafür reservierten Baufelder ein umzusetzendes Konzept für bezahlbaren Wohnungsbau. Auf diesen Flächen sollen 40 % als geförderter Wohnraum mit Mieten zwischen 5.50 und 10.50 Euro entstehen, die übrigen frei finanzierten Wohnungen sollen zu preisgedämpften Mieten ange­boten werden. Um die Grundstücks- und Baukosten zu refinanzieren, soll nach heutigem Stand auf allen Wettbewerbsflächen eine Miete von ca. 10.80 Euro angestrebt werden.

Internationale Projekte für Frankfurt

Vier Teilnehmer wurden mit einem Preis ausgezeichnet, und eine Anerkennung wurde vergeben: Das Baufeld 3 wird mit dem Entwurf von Duplex Architekten aus Zürich bebaut. Für das Baufeld 4 hat die Jury der Entwurf des Büros schneider + schumacher ZT Architekten aus Wien überzeugt. Bei den Baufeldern 1 und 2 konnte sich die Jury für ­keinen der eingereichten Wettbewerbsbeiträge entscheiden. Die ausgezeichneten Entwürfe von NL Architects aus Amsterdam & Studyo Architects aus Köln und des Büros Lacaton & Vassal architectes aus Paris sollen überarbeitet werden, um jeweils auf einem anderen Baufeld im Hilgenfeld realisiert zu werden. An das Büro Praeger Richter Architekten aus Berlin hat die Jury eine Anerkennung vergeben.

Schweizer Dependance auf Baufeld 3

Duplex Architekten schlagen für das Baufeld 3 einen länglichen Riegel am Eingang des Hilgenfelds vor. Mithilfe eines zur Hauptstrasse orientierten Attikageschosses wollen die Architekten den Eingang zum Wohngebiet markieren. Hier befindet sich auch der Haupteingang zum Gebäude. Über eine aussen liegende Treppe erreicht man die Laubengang­erschliessungen, die auch als auch private Balkonflächen fungieren. Sie sollen dereinst mit verschiedenen Grünpflanzen bewachsen sein und so den Bewohnern Privatsphäre und einen vegetativen Sonnenschutz garantieren. Die Bewohner sollen diesen «Vorgarten» selbst gestalten, sodass die Gebäudebegrünung ein Gemisch aus verschiedensten Kletterpflanzen bildet.

Die Grundrisse sind so weit optimiert, dass der Erschliessungsraum entfällt. Dadurch erhalten die zum Teil sehr kleinen Wohnungen gut proportionierte und grosszügige Räume. Modulare Grundrisse ermöglichen eine Vielzahl von sehr kleinen bis hin zu normalen Wohnugen für den angestrebten Mix aus geförderten und frei finanzierten Wohnungen. Positiv bewertet werden die grossen Clusterwohnungen, die die Architekten bereits in Zürich umsetzen konnten und die sowohl Mehrgenerationenwohnen als auch neuartige Wohngemeinschaften ermöglichen. Aber auch Maisonetten sind mit dem flexiblen Raster der Architektur realisierbar. Die Wohneinheiten können dann als Duplex, Triplex oder viergeschossige Typen ausgebildet werden. Einzelne später zu definierende Flächen pro Geschoss sollen als multifunktionale Gemeinschaftsflächen fungieren.

Der Bau wurde von den Architekten als kompakter Baukörper gestaltet, sodass er kostengünstig realisiert werden kann.

Baufeld 4

schneider + schumacher ZT sind für ihr Konzept für das Baufeld 4 ausgezeichnet worden. Das Baufeld liegt an der Hauptstrasse gegenüber dem Baufeld 3 von Duplex Architekten. Die Architekten schlagen für das tiefe Baufeld am Eingang des Gebiets ein Doppelhaus unter dem Namen «Max + Moritz» nach Wiener Vorbild vor. Die Form der zwei Baukörper erinnert in der Aufsicht an eine Sanduhr. An der schmalsten Stelle werden die Geschosse über geschwungene, offene Brücken miteinander verbunden. Die Wohnungen sind grösser als bei anderen Projekteingaben, der gewünschte Mix kann aber garantiert werden. Aussergewöhnlich durch die Grösse und Zuschnitt ist der hohe Anteil der Mietflächen. Positiv hervorzuheben ist auch der zusätzliche Platz am Quartierseingang und die Laden­lokale im Erdgeschoss.

Baufeld 1 und 2

Welches Projekt auf Baufeld 1 und 2 realisiert werden soll, will die Jury nach der überarbeitung der Projekte entscheiden. NL Architects, Amsterdam & Studyo Architects schlagen für einen länglichen Riegel ein Terrassenhaus vor, das sie in anderer Form bereits in Amsterdam gebaut haben. Dabei werden die Laubengänge jeweils vom nächsten Geschoss versetzt überdacht und so klimatisch geschützt, während die Terrassen sich grosszügig öffnen und jedem Bewohner das Gefühl ­einer eigenen freien Terrasse wie im Einfamilienhaus bieten. Als ­Kon­struktionsmaterial wird eine innovative sichtbare Holz-Betonverbundkonstruktion vorgeschlagen, um die Dämmproblematik der ­Auskragungen zu bewältigen. Die ­Wohnungen sind durchgesteckt und unterschiedlich breit, um den erwünschten vielfältigen Wohnungsmix zu ermöglichen.

Lacaton & Vassal architectes wollen hingegen ihre bereits in Bordeaux und Paris angewandte Methode «Plus» realisieren. Diese sieht eine Umhüllung eines kompakten und massiven Volumens mittels besonders tiefer Wintergärten vor. Ein grosser Dachüberhang sorgt im Sommer für den passiven Sonnenschutz, die Wintergärten mit Isoliervorhängen für den winterlichen Wärmeeinbehalt. Die stützenfreien Grundrisse sind sehr flexibel und ermöglichen jede Aufteilung. Auf Keller sowie Aufzüge wird verzichtet, die Erschliessung ist minimiert.

Das Deutsche Architekturmuseum stellt die Arbeiten des ­Wettbewerbs in einem Katalog und einer Ausstellung vor, die am 12. April 2019 um 19 Uhr eröffnet wird. Die Ausstellung und der Wettbewerb sind Teil des Projekts «Neues ­Frankfurt», Frankfurts Beitrag zum nationalen Bauhausjahr 2019. Damit sollen unkonventionelle Antworten und die Architekturvielfalt bei der Schaffung von Wohnraum gefördert werden.

Weitere Pläne und Bilder finden Sie in der Rubrik Wettbewerbe.

Auszeichnungen

Ein 1. Preis:  Duplex Architekten, Zürich (Baufeld 3)
Ein 1. Preis:  schneider + schumacher ZT Architekten, Frankfurt/Wien (Baufeld 4)
Ein 1. Preis: Lacaton & Vassal ­architectes, Paris (Baufeld 1 oder 2)
Ein 1. Preis: NL Architects, Amsterdam & Studyo Architects, Köln (Baufeld 1 oder 2)
Anerkennung: Praeger Richter Architekten, Berlin

Jury

Mike Josef, Planungsdezernent Stadt Frankfurt am Main; Peter Cachola Schmal, Direktor DAM, Architekt; Martin Hunscher, Leiter Stadtplanungsamt Stadt Frankfurt am Main, Dipl. Ing. (Stadtplanung); Simone Zapke, Leiterin Bauaufsicht Stadt Frankfurt am Main; Frank Junker, Vorsitzender der Geschäftsführung, ABG Frankfurt Holding; Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender Bundesstiftung Baukultur, Architekt; Hilmar von Lojewski, Dezernatsleiter Deutscher Städtetag; Brigitte Holz, Präsidentin Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen, Architektin/Stadtplanerin; Elli Mosayebi, Prof. TU Darmstadt, Architektin; Almut Grüntuch-Ernst, Architektin, Eike Becker, Architekt

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