«Wir ha­ben di­cke Bret­ter zu boh­ren»

In Berlin findet das WIA Women in Architecture Festival 2021 statt. Auf dem Weg zu einer gleichberechtigten Baukultur treffen sich Akteurinnen und Akteure aus Politik, Wissenschaft und der Baubranche zum längst überfälligen Umbau des Berufsbilds.

Publikationsdatum
29-06-2021
Nandita Boger
dipl. Architektin ETH / SIA, Inhaberin und Gründerin von NAN ARCHITEKTUR, Mitglied im Netzwerk Frau und SIA

«Es gibt viele von uns, und darum wird es Zeit über uns zu reden», sagt Isabel Thelen an der Eröffnung des ersten Festivals über Frauen am Bau in Berlin. Sie ist Mitglied im Berliner Netzwerk n-ails für Architektinnen, Innenarchitektinnen, Ingenieurinnen, Landschaftsarchitektinnen und Stadtplanerinnen, das hauptverantwortlich ist für das Zustandekommen des Festivals.

Ziel sei es, Bilder zu geben, Rollen zu schaffen, Frauen in den Werken sichtbar machen. Fast hundert Veranstaltungen zeigen während knapp fünf Wochen das breite Spektrum von Frauen und ihren Fähigkeiten. Das Motto lautet «Baustelle Gleichstellung». Mit dem Festival sollen die Player der Baubranche, ohne die sich in der Gleichstellung nichts bewegt, mit ins Boot geholt werden.

Christine Edmaier, Präsidentin der Architektenkammer Berlin, die Mitveranstalterin des Festivals ist, sagt: «Es gilt, die Sichtbarkeit der vielen aktiven Frauen in Architektur und Stadtplanung zu verbessern und Hindernisse im Berufsalltag aufzuspüren».

Eine geballte Sammlung an Inspiration

«Wir haben noch einiges vor und wahnsinnig dicke Bretter zu bohren. Dafür kommen wir am WIA-Festival Berlin 2021 zusammen», so Schirmfrau Regula Lüscher zum Auftakt des Festivals. Es sind gestandene, erfolgreiche Berufsfrauen wie sie, von der Stadtplanerin bis zur selbstständigen Ingenieurin, die sich mit dem Thema Gleichstellung auseinandersetzen. Elke Duda, WIA-Koordinatorin, Mitglied und Mitgründerin von n-ails bringt es in einem Satz auf den Punkt: «Die Baustelle Gleichstellung ist komplex und bedarf der Beteiligung vieler Mitstreiterinnen und Mitstreiter aus der Baukultur.»

Die Veranstaltungen sind über ganz Berlin verteilt und online zu sehen auf WIA YouTube. Beim Durchklicken durch Vorträge, Symposien und Diskussionen stellt sich die Erkenntnis ein: Das sind weder Emanzen noch gescheiterte Existenzen, kein Männerhass oder Selbstmitleid ist im Spiel. Es geht um Erfahrungsaustausch, Fakten und das Teilen von Tipps, um besser zurechtzukommen. Um Ideen und Vorschläge, wie man die Situation verändern könnte, damit die Frauen den ihnen nach den Studienzahlen zustehenden Anteil in der Berufswelt einnehmen können.

Regula Lüscher, seit 14 Jahren in Berlin, Senatsbaudirektorin im Range der Staatssekretärin, zugehörig zum Senat für Stadtentwicklung und Wohnen sagt beispielsweise, keine Frau stelle sich bei Studienbeginn die Frage, ob sie – als Frau – diesen Beruf ausüben könne. Aber von aussen werde diese Frage an sie gestellt, was eine Art Infragestellung sei. Das Ziel des WIA-Festivals ist für sie, eine junge Generation von Frauen zu begeistern und zu zeigen, was es bedeutet, unsere Welt zu gestalten – für und mit Menschen.

Für ein nächstes Festival fordert sie dringend, die Bauherrinnen miteinzubeziehen. Denn zur Bauwelt gehöre die Immobilienwelt und dort gebe es 99 Prozent Männer und ein Prozent Frauen. Wenn sich etwas verändern sollte, dann müssten Frauen auch in diese Systeme eindringen. Stadt entstehe durch das Verhältnis von Auftraggeberinnen und Auftraggebern sowie Auftragnehmern, Politik, Verwaltung und Bevölkerung. «Wir müssen den Mut haben, den Schritt in andere Welten zu wagen», ergänzt Lüscher.

Internationaler Austausch

Am internationalen Austausch und am Aufbau eines europaweiten Netzwerks arbeitet die in Hamburg gegründete Plattform WIA Europe. Am WIA-Europe-Wochenende zur Vernetzung, Zusammenarbeit und Sichtbarmachung über die Ländergrenzen hinweg präsentierte Katharina Marchal, Architektin und Journalistin, das Schweizerische Netzwerk Frau und SIA.

Auch in der Schweiz sei die Gleichstellung noch eine Baustelle, sagt sie. Die aktuellen Zahlen sprächen eine deutliche Sprache. Während bei den Studierenden an der Architekturabteilung der ETH Zürich 45 Prozent weiblich seien, betrage der Anteil weiblicher Professorinnen dort nur elf Prozent. Immerhin sei die Zahl steigend, waren es 2006 doch erst drei Prozent. Auch beim Schweizerischen Ingenieur- und Architektenverein (SIA) seien mit 22 Prozent Anteil die Frauen im Fachbereich Architektur untervertreten, bei den Ingenieurinnen seien es gar noch weniger.

Der SIA erteilte 2014 Frau und SIA den in den Statuten verankerten Auftrag, ihn in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter zu beraten. Laut Marchal habe sich seit der Gründung des Netzwerks der Frauenanteil im SIA verdreifacht. Des Weiteren habe die Arbeitsgruppe International zum Ziel, sich mit den Netzwerken der Nachbarländer auszutauschen, Synergien zu fördern und gemeinsame Aktionen durchzuführen. Marchal wünscht sich mehr Vorbilder für die junge Generation und hofft, das Netzwerk in den nächsten Jahren über die Grenzen hinweg auszubauen.

Abschaffung des Festivals als Ziel

Paula Villa-Braslavsky, Professorin für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, hat mit Architektinnen der TU München eine Studie über Frauen in der Architektur verfasst. Sie hält nicht das Geschlecht für ausschlaggebend für den Erfolg einer Architektin. Eine heroische Figur, kraftvoll, autoritär, sorglos, voller genialischer Kreativität werde wahrscheinlich in der Branche reüssieren, unabhängig ob Mann oder Frau.

Villa-Braslavsky konstatiert die Benachteiligung aufgrund von Geschlecht eher im Feld der Care-Arbeit. Care bedeute, sich um die Bedürfnisse des Lebendigen zu sorgen. Sich kümmern jedoch werde ausgegrenzt aus der bezahlten Arbeit und gelte in der Gesellschaft immer noch als typisch weiblich. Die Statistik der Erwerbsarbeit zeige: In Deutschland arbeiteten sechs Prozent der Väter und 69 Prozent der Mütter Teilzeit.

Care bedeute aber auch Glück, Sinn und Notwendigkeit. Es sei daher weder dumm, rückwärtsgewandt noch schlecht zu sagen: «Ich will weniger arbeiten», sagt Villa-Braslavsky. Das Problem sei die Gesellschaftsstruktur, die dies nicht wertschätzen könne, nicht bereit sei, diese Haltung zu integrieren, sondern mit Ausgrenzung im beruflichen Bereich reagiere.

Um zu entgeschlechtlichen – und allen die gleiche Möglichkeit zu geben zu Care- und Erwerbsarbeit – müssten wir viel darüber sprechen, müssten wir Geschlecht und Gender thematisieren. Villa-Braslavsky nennt dies eine paradoxe Intervention: Etwas, was eigentlich egal ist, sichtbar machen, darauf aufmerksam machen, damit wir es überwinden können und damit es irgendwann tatsächlich egal ist.

Tragwerksplanerin Nicole Zahner, eine der zwölf Mitorganisatorinnen des Festivals, führt als Grund für ihr Engagement das Fehlen von Vorbildern ins Feld: «Es gibt sehr wenige weibliche Vorbilder im Bauingenieurwesen.» Dem wollten die Planerinnen etwas entgegensetzen. Entstanden ist eine Ausstellung über Bauingenieurinnen und ihr Werk. «Queens of Structure» zeigt eine breite Vielfalt von Projekten und von den Personen, die dahinterstehen. Dazu gibt es einen Katalog und eine eigene Webseite.

Abschluss des Festivals am 1. Juli mit dem ManifestA. Livestreams und Videos finden sich auf WIA YouTube.

 

Zur Präsentation von frau + sia gehts hier (ab 1:35)

Auszug aus den SIA-Statuten Art. 2 Abs. 4 Statuten (2014) – Förderung der Frauen

«Der SIA fördert das Bewusstsein für die Gleichwertigkeit der Geschlechter mit dem Ziel der Erreichung eines Kulturwandels in der Arbeitswelt und in den Ausbildungsinstitutionen. Er engagiert sich für gleiche Chancen in Wirtschaft und Wissenschaft sowie für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Zu diesem Zweck bildet er ein Netzwerk, dem sich alle Mitglieder des SIA anschliessen können.»

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