Wie viel Dich­te braucht der Mensch?

Gesprächsrunde über die aktuelle Siedlungsentwicklung

Einsichten von Urbanisten, Architekten, Denkmalpflegern, Standortentwicklern und Verkehrsplanern zu den gesellschaftlichen Aspekten im Städtebau.

Publikationsdatum
24-03-2016
Revision
24-03-2016

Die Zukunft ist, aller Voraussagen und Prognosen zum Trotz, ungewiss. Welche Spuren die aktuellen Trends wie demografische Alterung oder digitale Revolution im Siedlungsraum hinterlassen werden, bleibt daher offen. Zukunftsforscher Georges T. Roos empfiehlt zumindest ein raumplanerisches Rezept, um die «steigende Ungewissheit» angemessen zu bewältigen: «Eine Siedlungsentwicklung muss widerstandsfähig und robust sein sowie sich an künftige Anforderungen anpassen können», so Roos an der Fachtagung «Bauen und Gesellschaft» in St. Gallen; die Gesprächsrunde griff die Frage «Wie viel Dichte erträgt der Mensch?» auf. Der Anlass zur Eröffnung der Immobilienmesse wurde gemeinsamen mit der SIA-Lokalsektion organisiert.

Auf «mehr Dichte» hofft Angelus Eisinger, Direktor der Regionalplanung Zürich und Umgebung. Er wolle sogar «eine Lanze für die Verdichtung brechen», obwohl die Skepsis dagegen wächst. Doch darunter ist nicht einfach quantitativer Prozess zu verstehen; damit sei zuallererst eine Hoffnung auf höhere Qualitäten verbunden: «Die Entwicklung nach Innen fördert die Durchmischung und bremst die funktionale Entflechtung in vielen Agglomerationen», erwartet der Urbanist. Gleichzeitig warnt er vor der Reproduktion althergebrachter Städtemuster oder vor nostalgisch anmutenden Baukonzepten.

Programmierung öffentlicher Räume

Siedlungsplanungen und Quartierentwicklungen bleiben nämlich dann mangelhaft, wenn der Kontext zur Umgebung und die Programmierung der öffentlichen Räume vergessen gingen. «Die vermehrte Zusammenarbeit unter Grundeigentümern, Interessensvertretern und Planern sowie eine Architektur, die intelligente Intervention schaffen kann», sind Eisingers zentrale Einsichten für einen besseren Städtebau.

Diesen Empfehlungen fügte Markus Schäfer, Hosoya Schäfer Architects und Gewinner des EXPO-2027-Ideenwettbewerbs, den Hinweis auf ein allgemeines Missverständnis an: «Die Angst vor mehr Dichte ist unnötig, weil dafür nicht möglichst viele Menschen in einen Raum zu quetschen sind.» Die Verdichtung sei demgegenüber ein Mittel, um das Zusammenleben im städtischen Rahmen zu ermöglichen. Die Frage, «wie viel der Mensch erträgt?», brauche es eigentlich nicht. Sondern eher: «Wie viel Dichte braucht der Mensch?».

Schäfer plädiert aber nicht für ein flächendeckend einheitliches Verdichtungskonzept, sondern er will das bestehende Siedlungsmosaik durchaus bewahren und dem Sog der Städte ein gewisses raumplanerisches Gegengewicht geben. Dieses Prinzip soll auch Eingang in die Expo 2027 Bodensee-Ostschweiz gefunden: Das dezentrale Gefüge und eine Verkehrserschliessung in die Fläche sind wesentliche Merkmale von Hosoya-Schäfers-Siegerkonzept.

Verkehr als Raumtreiber

Zurück zu den aktuellen Anforderungen an die Siedlungsentwicklung: Wie lässt sich diese aktiv beeinflussen respektive welche Faktoren treiben sie an? Als eine zentrale Schlüsselgrösse wurde mehrmals der Verkehr angesprochen. Gerold Kunz, Denkmalpfleger im Kanton Nidwalden, kritisierte die Schweizer Raumplanung dafür, ein dezentrales, aufgelockertes, weitläufiges und verkehrsgerechtes Bebauungsmuster populär gemacht zu haben. «Im vergangenen Jahrhundert fand daher eine Entdichtung des Städtebaus statt.» Allerdings will auch er nicht einfach eine 180°-Wende: «Die aktuelle Verdichtungsdebatte muss sich mit den städtebaulichen Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit auseinandersetzen.»

Von der Mobilität sind inskünftig sogar positive Einflüsse zu erwarten. Andreas Blumenstein, Inhaber des Büros für Mobilität, hofft auf eine räumlich entlastende Wirkung: «Die Wahl der Verkehrsmittel verliert an Bedeutung, weil eine lückenlose Servicekette von Tür zu Tür aufgebaut wird und der Individualverkehr auf weniger Autos angewiesen sein wird.»

Oliver Gröble, Leiter der Standortentwicklung und des Tourismus im Kanton St. Gallen, leidet dagegen darunter, dass Verdichtungsvorhaben häufig scheitern und potenzielle Investoren sich wieder abwenden. Seine Erfahrung zeigen, dass sich die Behörden oft nicht einig seien, oder die geltenden Regularien zu wenig koordiniert würden. «Ist mehr Dichte überhaupt erwünscht oder wird die wirtschaftliche Komponente nicht zu sehr vernachlässigt?», fragt Gröble, in Anlehnung an die Einstiegsfrage «Wie viel Dichte erträgt der Mensch?»

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