«Wett­be­wer­be sind der bes­te Weg zur Qua­li­tät»

Botschaftsbauten erfüllen nicht nur eine Vielfalt von Funktionen, sie sind auch gebaute Visitenkarten der Schweiz. Welche Werte sollen sie ausdrücken? In welcher Architektursprache? Ein Gespräch über anspruchsvolle Entwurfsaufgaben und den baukulturellen Wert offener Konkurrenzverfahren.

Publikationsdatum
05-11-2020

Judit Solt: Der Schweizer Staat verfügt über ein Netz von mehr als 170 Auslandsvertretungen in über 300 bundeseigenen Liegenschaften, in denen das Eidgenös­sische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) die Interessen der Schweiz im Ausland wahrnimmt. Für den Bau und den Unterhalt dieser Vertretungen ist das Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL) als Bauherrschaft zuständig. Das ist eine besonders anspruchsvolle Aufgabe: Auslandsvertretungen müssen nicht nur allgemeine Ansprüche an Funk­tionalität, Wirtschaftlichkeit oder Ästhetik erfüllen, sondern auch eine Reihe von ­spezifischen Anforderungen. Eine davon ist: Botschaften sind Visitenkarten der Schweiz im Ausland und sollen Schweizer Werte ausdrücken. Welche Werte sind das?

Hanspeter Winkler: Zurückhaltung und Selbstbewusstsein, passend zur Rolle der Schweiz als Vermittlerin in der internationalen Diplomatie. Das beginnt bei der Parzelle: Viele unserer Vertre­tungen stehen in Botschaftsquartieren. Dennoch sind Raumprogramm und Ausstattung nicht auf Pomp ausgelegt; sie strahlen Hochwertigkeit, Sorgfalt und Gestaltungswillen aus, aber immer im respektvollen Dialog mit dem Kontext.

Jodok Brunner: Kulturelle Vielfalt ist ein wesentlicher Teil der Schweizer Identität, ebenso wie Weltoffenheit und Internationalität. Diese Werte sollen die Botschaften vermitteln, nicht zuletzt auch, indem sie sich auf architektonisch hohem Niveau mit dem kulturellen, ­klimatischen, ökonomischen und politischen Kontext des Gastlands auseinandersetzen. Übrigens nicht nur die Bauten, sondern auch ihre Aussen­räume; die Gärten sind sehr wichtig.

Marianne Jenni: Die Schweiz präsentiert sich im Ausland weltoffen, modern und innovativ, tritt aber gleichzeitig zurückhaltend, diskret-elegant in Erscheinung. Die Kontaktpflege und das Be­sprechen von Geschäften sollen in einem Rahmen stattfinden, der der Schweiz angemessen ist, und das Erscheinungsbild der Schweiz im gewünschten Sinn hervorheben. Swissness ist ein zentraler Bestandteil, man will aber nicht in Klischees verfallen. Es geht nicht nur darum, Schweizer Möbel, Design oder Kunst zu berücksichtigen, sondern auch um das Vermitteln schweizerischer Werte oder eines Bezugs zur Schweiz. In den repräsentativen Räumlichkeiten setzen wir für die sichtbarsten Möbelstücke gezielt Schweizer ­Design ein.

Botschaftsbauten sind Arbeitswerkzeuge der Diplomatie. Daher ist es wichtig, dass sie im Gastland richtig verstanden werden. Doch die Assoziationen, die bestimmte Formen, Farben oder Materialien auslösen, sind kulturell konnotiert; die Bedeutung von Symbolen variiert von Land zu Land. Wie kann man sicherstellen, dass die Botschaft – im wahrsten Sinn des Wortes, als Gebäude – richtig interpretiert wird? Wie ermittelt man die angemessene Architektursprache?

Winkler: In einem iterativen Prozess. Wir führen für alle unsere Bauten ein Konkurrenzverfahren durch, idealerweise einen offenen Wettbewerb. Das bedingt eine gründlich vorbereitete Ausschreibung, an der auch das EDA als künftiger Nutzer teilnimmt. Dabei definieren wir die Rahmenbedingungen und die Anforderungen an das Gebäude sehr genau; im Gegensatz dazu lassen wir völlig offen, mit welchen Mitteln diese Anforderung zu erfüllen sind. Die Teams sollen frei entwerfen. Je breiter die Pa­lette der eingereichten Lösungen, desto produktiver ist die Diskussion für die Wahl des Siegerprojekts. Wir haben ­keine Vorschriften in Bezug auf die Architektursprache, keine Vorgaben im Sinn eines Nationalstils, wie sie andere Länder zum Teil kennen. Natürlich gibt es interne Leitlinien grundsätzlicher Natur – zum Beispiel soll das Schweizerkreuz möglichst nicht als Dekorelement zum Einsatz kommen, der Bau als Ganzes soll unsere Werte zum Ausdruck bringen. Gute Architektur, die spezifisch auf einen Kontext und eine Aufgabe hin entworfen wird, vermag das zu leisten.

Jenni: Das EDA ist eng in die Planungsphase mit einbezogen und stellt mithilfe der Vertretungen vor Ort auch sicher, dass keine kulturellen No-Gos in das Projekt einfliessen. Werte wie Bescheidenheit, Schlichtheit und Understatement werden nicht überall auf der Welt gleich goutiert. Vielerorts braucht es einen gewissen Pomp, um Reichtum und damit Vertrauenswürdigkeit zu vermitteln.

Brunner: Es gibt Unterschiede, das stimmt. Sichtbeton zum Beispiel gilt in vielen Ländern als minderwertiges Material für den Tiefbau, für Brücken, Tunnel, Schutzbauten und Tiefgaragen. Schweizer Architektinnen und Architekten dagegen veredeln ihn durch eine sorgfältige und innovative Verarbeitung; das bescheidene, rohe Material wirkt dann nobel und repräsentativ. Das Gleiche gilt für Holz. Dieser Ansatz ist in manchen Ländern ungewohnt. Wir erleben aber, dass der fertige Bau dennoch überzeugt und einen neuen Diskurs in der lokalen Architekturszene anstösst.

Winkler: In den letzten Jahren ist es uns gelungen, bei den Bewilligungs­behörden verschiedener Gastländer ein echtes Verständnis für unsere Ansätze zu erarbeiten. Wir konnten die Behörden einbeziehen und ihnen unsere Auffassung näherbringen, dass Noblesse und Repräsentation auch mit subtilen Mitteln möglich sind. Wenn das Ganze in sich stimmig ist, wird es auch verstanden. An der Eröffnung der Botschaft in Moskau hat selbst Aussenminister Sergei Lawrow in seiner Rede betont, dass der Bau für Moskauer Verhältnisse eher klein, aber fein ist.

Jenni: Die Schweiz ist weltweit – sowohl in Architekturkreisen als auch im politischen und diplomatischen Umfeld – für ihre Formensprache bekannt, die auf bescheidenen, aber innovativen und qualitativ überzeugenden Lösungen basiert. Der Wiedererkennungswert ist daher sehr hoch. Diese Kontinuität im architektonischen Ausdruck sichert uns eine Wertschätzung auch in Ländern, in denen sonst extrovertierte Architektur mehr Bewunderung erntet.

Die Bauten sollen einen Bezug zum Kontext des Gastlands herstellen. Was bedeutet das konkret?

Brunner: Das ist immer spezifisch. In Seoul haben wir eine Typologie gewählt, die dort eine lange Tradition hat, heutzutage aber nicht mehr üblich ist. Wir haben sie neu interpretiert – mit einem zeitgemässen Raumprogramm und neuen Materialien. Das hat in Südkorea eine lebhafte Diskussion in der Architekturszene angeregt. Unser Neubau in Nairobi dagegen ist ein ­moderner Schweizer Bau und greift die lokale Farbenpalette auf, das Rot der ostafrikanischen Erde und das Grün der Vegetation.

Winkler: Die Auseinandersetzung mit dem Kontext bedeutet nicht nur Anpassung. In Moskau waren wir einerseits mit rigiden Vorgaben der Baubehörden und der Denkmalpflege konfrontiert; so mussten wir enge Anforderungen an die Farbigkeit der Fassaden erfüllen, wie das dort für historische Gebäude üblich ist. Andererseits gehört es in Moskau zur denkmalpflegerischen Praxis, schützenswerte Gebäude auszukernen und nur die Fassade zu erhalten. Wir aber wollten subtiler mit der historischen Substanz umgehen und haben auf eine Auskernung verzichtet. Es geht immer um eine Balance zwischen Einpassung in den Kontext und Wahrung der Eigenständigkeit.

Jenni: Das Gebäude soll nicht nur einen Bezug zum Kontext des Gastlands herstellen; es gilt auch das jeweilige Aufgabengebiet der Vertretung zu berücksichtigen. So soll ein Gebäude mit mehrheitlich diplomatischen Aufgaben mehr Repräsentativität ausstrahlen als eine Vertretung, die sich auf die internationale Entwicklungszusammenarbeit fokussiert. Das Gebäude hat den Auf­gaben der Vertretung zu entsprechen.
Ein weiterer wesentlicher Aspekt von Botschaften ist der Zwiespalt zwischen Repräsentation und Sicherheit: Die Bauten sollen zum einen Offenheit signalisieren und die demokratischen Werte der Schweiz verkörpern, zum anderen hohe Sicherheitsstandards erfüllen.

Brunner: Grundsätzlich besteht der Bautypus Botschaft aus zwei Teilen: einer Schutzmauer und einem Gebäude. Diese Gegensätze zu versöhnen und einen Bezug zur Umgebung herzustellen ist eine Herausforderung für den Entwurf.

Jenni: Das ist in der Tat immer wieder eine Herausforderung. Das EDA will sich mit seinen Gebäuden nicht abschotten, sondern eine Willkommenskultur leben. Hier braucht es je nach Kontext auch immer wieder Kompromisse. Die Sicherheit der Mitarbeitenden muss gewährleistet sein. Hinzu kommt die Vielfalt der Nutzungen. Jacques Pitteloud, der Schweizer Botschafter in den USA, schrieb: «In Zukunft will das EDA eine kohärente und sichtbare Präsenz der Schweiz im Ausland sicherstellen […] Das heisst, dass alle an einem Ort präsenten Akteure der Schweiz unter einem Dach vereinigt sind.» Konkret sollen Akteure wie Schweiz Tourismus, Handelskammer etc. im gleichen Gebäude unter­gebracht sein wie das Konsulat. Diese Institutionen stellen jedoch unterschiedliche Anforderungen an die Publikumsfrequenz, Sicherheit, Öffnungszeiten, Repräsentation etc. Wie geht man damit um?

Winkler: Wenn das architektonische Konzept stark ist und die grosse Klammer stimmt, ist es möglich, für unterschiedliche Nutzungen individuelle Ausstattungen anzubieten. Grosse Sprünge liegen zwar nicht drin, Graduierungen aber schon. Wenn etwa Schweiz Tourismus seine Räume etwas plakativer ausstatten möchte, muss das machbar sein; ein Visaschalter wiederum hat bestimmte Anforderungen an Funktionalität und Sicherheit zu erfüllen.

Brunner: Die Nutzung eines Botschaftsgebäudes ist immer komplex:
Das Raumprogramm umfasst private Wohnräume, Arbeitsbereiche, Publikumsverkehr, repräsentative Räume und kann auch Ausstellungen oder Anlässe beinhalten. Verschiedene, oft ­widersprüchliche Bedürfnisse sind auf kleinem Raum zu erfüllen. Die Kunst besteht darin, all das unter einem Dach zusammenzubringen.

Schweizer Botschaften haben das Poten­zial, nicht nur im Ausland für Schweizer Baukultur zu werben, sondern auch im eigenen Land: Die Interdepartementale Strategie zur Förderung der Baukultur fordert, dass der Bund als Auftrag­geber eine Vorbildfunktion einnimmt, und formuliert eine Reihe von Massnahmen. Viele davon praktiziert das BBL schon seit vielen Jahren. Etwa den Aufbau einer starken Bauherrenkompetenz: «Eine hohe Qualität der Baukultur kann nur sichergestellt werden, wenn auf Seite der Besteller die entsprechenden Anforderungen formuliert und eingefordert werden.» Auch die Dokumentation der Bundesbauten, um das ­Wissen über die Schweizer Baukultur der Gegenwart zu fördern, gehört im BBL zum Standard. Besonders vorbildlich agiert das BBL indes in Bezug auf die Beschaffungsverfahren, indem es Aufträge systematisch über offene Wettbewerbe bzw. Konkurrenzverfahren vergibt – mit Erfolg, wie die Ergebnisse zeigen. Wie ist es zu dieser Wettbewerbspraxis gekommen?

Winkler: Vor 18 Jahren, als ich meine Funktion übernehmen durfte, sah ich zwei Gründe, konsequent Wettbewerbe durchzuführen. Zum einen kannte ich Beispiele im Ausland, bei denen eine freihändige Vergabe ohne wirklichen Fachdiskurs zu wenig überzeugenden Ergebnissen geführt hatte. Zum anderen gibt es beim Bund eine lange Wettbewerbstradition, die in vielen Jahrzehnten regelmässig zu äusserst nachhaltigen Bauten geführt hat; schon das Bundeshaus beruht auf einem hochkarätigen Wettbewerb. Wettbewerbe sind der beste Weg zur Qualität. Und: Je offener, desto besser. Sobald man selektive Verfahren wählt, wird das Feld der Beiträge kleiner, die Wahrscheinlichkeit für wirklich originelle Ideen sinkt, und die Vergleichbarkeit ist reduziert. Bei offenen Wett­bewerben kommen bis zu einem Drittel der Beiträge aus dem Ausland. Es ist ein Privileg und ein Erfolgsrezept, unter all diesen unterschiedlichen kulturellen Ansätzen und Projekten die beste Antwort auf die Fragestellung auswählen zu können.

Brunner: Auch bei der Zusammensetzung der Jury achten wir darauf, mehrere Perspektiven zu berücksichtigen. Idealerweise ist eine Fachperson aus dem Ausland dabei, die eine externe Sicht auf die Schweiz mitbringt und wenn möglich den lokalen Kontext kennt.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Winkler: Für die Erweiterung der Botschaft in Singapur haben wir einen offenen Wettbewerb ausgeschrieben. Von den rund 50 Teilnehmenden suchten fast alle die Lösung im bestehenden Gebäude. Nur ein Team schlug unerwartet vor, ein Sitzungszimmer ausserhalb davon anzubieten, was auf einfachste Weise viel Nettoraumfläche generierte und unsere Bedürfnisse erfüllte. Alle anderen Teams und auch wir bei der Ausschreibung hatten immer auf den Bestand fokussiert – jemand musste ganz anders hinschauen, um auf einmal das Offensichtliche zu sehen, das allen entgangen war, wie bei einem Bild von Magritte. Das ist «Thinking out of the box» und bringt echte Innovation, ein unschätzbares Plus. Wenn man das Teilnehmerfeld einschränkt, sinkt die Chance, einen solchen Glücksfall zu landen.

Brunner: Ein weiterer Vorteil von Konkurrenzverfahren, den wir schon erwähnt haben, ist das Commitment der künftigen Nutzer. Das EDA ist immer von Anfang an beteiligt, schon beim Verfassen der Wettbewerbsausschreibung und später in der Jury. Das ist ein riesiger Mehrwert: So entstehen zweckmässi­gere, zeitlose und darum nachhaltigere Bauten.

Winkler: Der Ausschreibungs- und Jurierungsprozess macht Betroffene zu Beteiligten. Das ist Partizipation auf Augenhöhe und erhöht die Akzeptanz. Die Nutzer haben am Bau mitgewirkt, sie schätzen ihn und bewirtschaften ihn besser. Sie sind stolz auf die gestalterische Qualität, und vielleicht entsteht ein Diskurs mit der lokalen Architekturszene.

Damit wären wir wieder bei der Funktion der Bauten als Werkzeuge der Diplomatie…

Winkler: … und bei der Nachhaltigkeit: Es ist uns ein Anliegen, schonend mit unseren Ressourcen umzugehen. Das bedeutet auch, mit Paradigmen zu brechen. Waren einst Einzelbüros in Botschaften Standard, können wir uns heute auch offene Arbeitslandschaften vorstellen. Zudem planen wir auch ­Räume, die mit einer unkomplizierten Ummöblierung flexibel genutzt werden können, für einen Empfang oder eine Sitzung. Natürlich schränkt das die Auswahl der Möbel ein; in der ganzen Botschaft braucht es möglichst die gleichen Stehtische und stapelbaren Stühle, die man neu kombinieren kann. Ohne diese Flexibilität müsste man viel mehr Infrastruktur für die gleichen Nutzungen zur Verfügung stellen. Aber eben, das funktioniert nur, wenn die Nutzer das Konzept mitdenken und mittragen.

Ein Wettbewerb hält immer Überraschungen bereit, gute wie schlechte. Trotz kompetenter Bauherrschaft, gründlich vorbereitetem Programm, hochkarätiger Jury und dem Einbezug aller Akteure gibt es keine Erfolgsgarantie. Braucht es einfach auch Mut für diese Vergabeform?

Winkler: Es braucht Innovations­willen und eine Bereitschaft zum – kalkulierten – Risiko. Denn ja, ein offener Wettbewerb ist immer auch ein Risiko, mit dem man professionell umgehen muss. Dass wir im BBL die Rückendeckung haben, um auch für Bauten im Ausland offene Verfahren durchzuführen und massgeschneiderte Lösungen auf hohem architektonischem Niveau zu suchen, ist ein Privileg. Das ist im internationalen Kontext nicht selbstverständlich, man beneidet uns darum.

Jenni: Das EDA befürwortet die Architekturwettbewerbe, die Erfahrungen damit sind sehr gut. Der Einbezug des EDA in den gesamten Entstehungsprozess – von der Vorbereitung über die Jurierung bis zur Ausarbeitung des Projekts – stellt sicher, dass das Gebäude die momentanen und künftigen Anforderungen und Bedürfnisse der Nutzer berücksichtigt.

Brunner: Viele Büros, die an unseren Wettbewerben teilnehmen, haben noch nie eine Botschaft entworfen oder aus­serhalb der Schweiz bzw. Europas gebaut. Das kann man natürlich als Risiko sehen. Hier spielt die bauherrenseitige Projektleitung seitens Auftraggeber eine tragende Rolle: Es sind Architektinnen und Architekten, die regelmässig in verschiedene Länder reisen und sich mit den dortigen Gegebenheiten auskennen. Ihr Wissen fliesst in die Wettbewerbsausschreibung ein und steht den Planungsteams jederzeit zur Verfügung. Es gibt Dinge, die man einfach erlebt haben muss … In Moskau war es normal, dass einige Arbeiter auf der Baustelle wohnten. Und in Bangladesch staunte ein lo­kaler Bauleiter angesichts unseres gut schweizerischen Terminplans: «You can see in the future!» Die Vermittler­funk­tion seitens Projektleitung ist deshalb enorm wichtig. Übrigens nicht nur, um das Risiko zu reduzieren: Die Stärken der lokalen Bauindustrie zu kennen und zu nutzen ist eine Chance. In manchen Ländern beispielsweise ist die Arbeitskraft günstig im Verhältnis zum Material; das bedeutet, dass man dort handwerkliche Spitzenleistungen verwirklichen kann, die in der Schweiz unbezahlbar wären. So haben wir in der Botschaft in New Delhi anstelle von Kunst am Bau wundervolle Möbel realisiert, schlicht und hochwertig, von einem dortigen Architekturbüro entworfen und von lokalen Schreinern gebaut.

Arbeiten Sie bei der Ausführung oft mit lokalen Firmen zusammen?

Brunner: Ja. Nachhaltigkeit bedeutet auch, ressourcenschonend und effizient zu bauen. Wenn man das ernst nimmt und pragmatisch reagiert, kommt man rasch auf lokale Lösungen – mit Schweizer Ansatz. In der Gebäudetechnik zum Beispiel sind wir bemüht, uns auf das wirklich Notwendige zu beschränken und einfache Konzepte anzubieten.
Eine elegante technische Lösung wird dann, ähnlich wie die Gestaltung, zu einem Kommunikationstool der Diplomatie, einem Aushängeschild der Schweizer Cleantech-Industrie.

Ergibt sich auch ein Know-how-Transfer?

Winkler: Im erdbebensicheren Bauen sind die Schweizer Ingenieurinnen und Ingenieure weltweit führend. Auch im Betonbau kann die Schweiz innova­tive Lösungen vorweisen, nicht nur ge­stalterisch, sondern auch technisch. Das führt zu einem intensiven Austausch mit den Ingenieurbüros vor Ort, die die Ausführung begleiten.

Brunner: Als wir in Thailand eine Photovoltaikanlage gebaut haben, konnte die lokale Firma dank diesem Auftrag ein völlig neues Geschäftsfeld aufbauen, das sie bis heute erfolgreich betreibt.

Winkler: In Indien haben wir eine Vakuumröhrenkollektoranlage installiert, um die Wärme und Kühlanlage
zu betreiben. In Indien gibt es zwar genug Ingenieure, die eine solche Technologie umsetzen könnten – aber es braucht eben immer jemanden, der es als Erster tut und seine Erfahrungen teilt. Auch das ist ein Privileg.

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