Ei­ne Bil­der­rei­se mit Ge­schich­te

Im Wettbewerb für den Neubau der Schweizer Botschaft mit Residenz in Addis Abeba aus dem Jahr 2018 überzeugte OLBH, Office Leib­undgut Bühler Hartmann1 die Jury mit ­einem vieldeutigen Vorschlag, der unterdessen den Stand des Vorprojekts erreicht hat. Die im Entwurf verwendete Bildreferenz begleitet sie auf der Suche nach Partnern und Materialien.

Publikationsdatum
09-11-2020

«The Flag Incident», das Gewinnerprojekt des Wettbewerbs für den Schweizer Botschaftsbau in Addis Abeba, kündigte ­seinen Entwurf anstelle der gängigen ­Renderings mit einer Collage an. Die Referenz ist unter Architekten eine Ikone: Fein angeschrieben steht am Bildrand, worum es sich handelt: «Lina Bo Bardi, Casa de Vidro, São Paulo».

Was die Architekten bei ihrem Bild von der Casa de Vidro übernahmen, ist die elegante Möblierung, die tropische Vegetation im Garten und der feine hellblaue Mosaikboden; beigefügt haben sie die kontrastreiche rohe Kassettendecke aus Beton und eine offene Laubenstruktur an der Garten­fassade.

Das Original der modifizierten ­Referenz stammt aus dem humiden tropischen Kontext Südamerikas und schärft wohl gerade dadurch den Blick auf die realen Umstände: Addis Abeba, nördlich des Äquators auf 2300 m ü. M. gelegen, ist geprägt vom subtropischen, oft auch kühlen Hochlandklima. Die veränderte Struktur stellt eine Anpassung ans Klima und die unterschiedliche Funktion dar, weist aber auch auf eine andere Bau­kultur, eine andere Zeit und andere Mittel hin.

Bei dem einstimmig gewählten Projekt lobte die Jury die atmosphärische Dichte des Entwurfs. Weiter werde dem lokalen Kontext und dem Raumprogramm der Schweizer Botschaft mit einem Paradoxon Rechnung getragen: Die vier nutzungsspezifischen Volumen sind funktional intelligent in die Topografie eingefügt, und eine teils offene, teils geschlossene Plattform- und Dachstruktur fasst sie zu einem klar definierten, aber räumlich durchlässigen Gesamtkörper zusammen. Die Plattform ermöglicht den Angestellten eine besucherunabhängige Erschliessung. Dies alles macht die Botschaft als Ganzes sowohl gross und repräsentativ als auch in ihren Einzelbereichen bescheiden.

Gebauter und umbauter Raum ergänzen sich zu einer Struktur, die ein räumliches Spiel mit dem Garten und seinen Pflanzen eingeht. Durch die erhöhte Plattform läuft der Gartenraum weitgehend unter dem Bau hindurch. Im Wettbewerbsprogramm war der Einbezug des bestehenden Botschaftsgartens mit fünf erhaltenswerten Bäumen gewünscht. Der Aussenraum soll zukünftig durch weitere lokale Pflanzen und ein nachhaltiges Wassermanagement ergänzt werden. Er ist heute wie viele andere repräsentative Anlagen in der Stadt ein bewässerter und kein autarker Naturraum.

Erste Reise und Fragen der Nachhaltigkeit

Nach ersten Sitzungen mit dem BBL reisten die Architekten Florian Hartmann, Piero Bühler und Johannes Leibundgut im Frühling 2019 erstmals nach Äthiopien. Sie schauten sich den heutigen, verhältnismässig bescheidenen Schweizer Botschaftsbau im Westen von Addis Abeba, an einer der grossen Hauptverkehrsachsen der Stadt an. Auf dem ostwärts leicht abfallenden Grundstück von 4825 m2 soll die neue, übersichtliche Gesamtanlage entstehen.

Anlässlich des Besuchs bestätigte sich vieles in ihrem Entwurf, anderes relativierte sich, und darüber hinaus hatten sie Gelegenheit, nützliche Kontakte zuknüpfen. Unter anderen trafen sie Rahel Shawl von RAAS Architects. Das Büro begleitete die Umsetzung des markanten roten Betonbaus, den Dick van Gameren und Bjarne Mastenbroek für die niederländische Botschaft entworfen haben. «Rahel kennt sich aus im Umgang mit internationalen Partnern, hat einen geschärften Blick für lokale Materialien, das Handwerk und ostafrikanische aber genauso europäische Bautechniken – das macht sie zum idealen Bindeglied zwischen uns und den Unternehmern hier», sagt Piero Bühler.

In Addis Abeba sind grossmassstäbliche Bauten meist aus Beton. Es ist klar, dass vieles, was die bauliche Grundstruktur betrifft – etwa die grossen Glas­fronten, die dem Schutzkonzept des KMZ (Krisenmanagement-Zentrum) entsprechen müssen –, importiert wird. Auch Stahl für die Stahl-Beton-Konstruktion des offenen Baus mit flexiblen Raum­strukturen wird in Äthiopien nicht hergestellt. Im Wettbewerb war ein energieneutraler Bau mit wirtschaftlichen Betriebskosten verlangt. Doch inwieweit ist über den Betrieb hinaus die geforderte Umsetzung der Schweizer Nachhaltigkeitsstrategie – gerade im Bereich Umwelt – in einem aussereuropäischen Land realistisch?

Bei der Erstellung, die einen grossen Anteil der grauen Energie ausmacht, sind Daten zum Energieverbrauch bei Materialproduktion, Bau und Transport sowie zusätzlich zum späteren Rückbau gefragt. Diese können in Addis Abeba freilich nicht auf die gleiche Weise erhoben werden wie in der Schweiz. Andererseits fallen Elemente wie wärmegedämmte Wände, die einen hohen grauen Energieanteil haben, durch das wärmere Klima weg.

Caroline Schnellmann vom BBL erklärt: «Die Wirtschaftlichkeit des Projekts hat bei der Jurierung ein Bauökonom untersucht. Eine vertiefte Analyse des lokalen Kontexts betreffend Materialien, deren Transport, Ort der Herstellung und Dauerhaftigkeit erfolgt während der Phasen Vor- und Bauprojekt mit den lokalen Planern.» Die örtlichen und schweizerischen Normen werden auf ihre Machbarkeit untersucht und dementsprechend umgesetzt. Hier ist vor allem auch gesunder Menschenverstand gefragt. Die Architekten begrüssen jedenfalls die Zusammenarbeit mit dem BBL und profitieren von dessen Bau­erfahrung im Ausland.

Suche nach einer kulturellen Balance

Ein zentrales, spannendes und gleichzeitig komplexes Thema ist, die kulturelle Vielfalt und die unterschiedlichen architektonischen Techniken Äthiopiens und der Schweiz in eine Balance zu bringen. In ihrem Entwurf nehmen die Architekten Stellung, indem sie sich weitgehend einer kolonialromantischen Materialisierung und Gestaltung entziehen: Wichtig sei, dass etwas entstehe, das nicht aus europäischen Klischeevorstellungen der afrikanischen Architektur hervorgeht. So finden sie Lehmarchitektur und Lowtech interessant, wollen aber mit dem Entwurf nicht implizieren, dass diese Bauweisen im afrikanischen Kontext authentischer seien als andere.

Dennoch – vernakuläre Techniken werden ihren Platz haben. Die Architekten schlugen im Wettbewerbsprojekt eine Hourdisdecke aus Lehm vor. In der Zwischenzeit haben sie aber die Architekturfakultät EiABC University in Addis Abeba besucht (vgl. TEC21 21/2013) und dort die zahlreichen angewandten Pilotbauten auf dem Campus gesehen. Sie sind das Ergebnis einer jahrelangen Forschung zu Lehmbau, und die Fachleute haben daher ein immenses Wissen über die Zusammensetzung des Bodens, die Lehmmischungen, die Zuschläge, die Eigenschaften des Rohstoffs und die ­Verarbeitungstechniken.

Da die Decken des Botschaftbaus mehrheitlich tragend sind, können die Innenwände frei ausgebildet werden. Man zieht dafür nun in situ erstellte Lehmziegel in Erwägung. Eine Bauweise, die vor Ort nicht üblich ist – in Addis Abeba vermauert man normalerweise Hohlblocksteine aus Zement. Mit Unterstützung von Rahel Shawl, dem Know-how aus der Schweiz und jenem der EiABC University soll nun in einem Wissensaustausch untersucht werden, ob eine Fabrikation solcher Steine umsetzbar ist.

Ein Blick nach vorn und einer zurück

Hoffentlich entwickeln die Lehmelemente eines Tages im repräsentativen Botschaftsumfeld Signalwirkung und zeigen, dass das Material neben einfachen ländlichen Beispielen auch in hoher Qualität in afrikanischen Städten Fuss fassen kann. Vielleicht wird Lehm dann in ferner Zukunft auch bei Grossprojekten massgeblich zur Nachhaltigkeit beitragen – was gerade in Ostafrika mit seinem hohen Bevölkerungswachstum bedeutend ist.

Indessen wagt Bühler einen Blick in die nähere Zukunft: «Auch nach dem Vorprojekt versuchen wir, das Bild von Lina Bo Bardis Villa nicht aus den Augen zu verlieren, es inspiriert uns als Stimmungsvorlage, und wir sind zusammen mit RAAS Architects auf der Suche nach lokal verfügbaren Materialien, die das Projekt verankern und dabei einen ähnlichen Ausdruck vermitteln.»

Anstelle des hellblauen Schwimmbadmosaik-Bodens der Casa de Vidro soll in der Botschaft ein Terrazzo gegossen werden. Es gibt zahlreiche dieser Böden in Ostafrika, und der äthiopische Marmor, der dafür verwendet wird, hat eine besonders feine Zeichnung. Die bereits in der Antike angewandte Technik wurde einst von den Italienern perfektioniert und Ende des 19. Jahrhunderts nach Abessinien gebracht. Später, als Lina Bo Bardi ab 1934 in Rom Architektur studierte, brach der Abessinienkrieg zwischen Italien und Äthiopien aus. Der Inspirationsbogen, der in Italien mit der Architektin seinen Ausgang nahm, schliesst sich also über Südamerika ausgerechnet wieder in diesem widerständigen Land Ostafrikas.

Anmerkung


1 OLBH, Office Leibundgut Bühler Hartmann (heute fusioniert). Gewonnen haben sie den Wettbewerb unter der Bezeichnung ARGE Bühler Hartmann und Leibundgut Architekten.

Am Bau Beteiligte

 

Bauherrschaft
Schweizerische Eidgenossenschaft, Bundesamt für Bauten und Logistik
Projektleiter: Jean-Paul Rausis

 

Architektur
OLBH GmbH (Office Leibundgut Bühler Hartmann, Zürich)
RAAS Architects, Addis Abeba (Äthiopien)

 

Landschaftsarchitektur
Goldrand GmbH, Zürich

 

Tragwerkplanung
WaltGalmarini AG, Zürich
Afro-European Engineer., Addis Abeba (Äthiopien)

 

Bauphysik, Akustikplanung
Raumanzug GmbH, Zürich

 

Elektroplanung
fux & sarbach Engineering AG, Gümligen
Sirhir Electrical Consult, Addis Abeba (Äthiopien)

 

Planung HLKS
Aicher, De Martin, Zweng AG, Zürich
Mepls Consult, Addis Abeba (Äthiopien)

 

Sicherheits- und Brandschutzplanung
HKG Consulting AG, Aarau

 

Verkehrsplanung
Nagel + Steiner GmbH, St. Gallen

 

Bauingenieur Entwässerung
Süss und Partner AG, Zürich

 


Facts & Figures

 

Offener, internationaler Projektwettbewerb (GATT/WTO), 2018

 

Nutzung
Botschaft (Integrierte Vertretung: Diplomatie [auch mit AU, UNO, Südsudan], Konsulat [ebenfalls für Djibouti und Südsudan zuständig], DEZA),
Residenz des Botschafters

 

Ausführung
voraussichtlich Oktober 2023–August 2025

 

Bezug
voraussichtlich Dezember 2025

 

Grundstücksfläche
6800 m2

 

Gebäudevolumen SIA 416
8300 m3

 

Geschossfläche SIA 416
2300 m2

 

Hauptnutzfläche SIA 416
1500 m2

 

Gesamtkosten BKP 1–9 (gemäss Grobkostenschätzung ±25 %)
15 Mio CHF

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