Vom Bahn­tras­see zum Hö­hen­weg

Instandsetzung Bahntrassee Rigi-Scheidegg

Die Instandsetzung des Panoramawegs First–Rigi Scheidegg gehört grundsätzlich zu den klassischen Unterhaltsarbeiten. Das Objekt an und für sich aber ist alles andere als konventionell.

Publikationsdatum
23-04-2015
Revision
06-10-2015

Vor 140 Jahren wurde die Rigi-Scheid­egg-Bahn (RSB) eröffnet. Die meterspurige Adhäsionsbahn ging am 1. Juni 1875 in Betrieb.1 Erbauer der Bahn­strecke und der Ingenieurkunstbauten war der Schweizer Bergbahnpionier Niklaus Riggenbach2. Zur gleichen Zeit wurde die Rigi auch vom Tal erschlossen: 1871 ab Vitznau und 1875 ab Goldau – jeweils mit einer Zahnradbahn. Nie elektrifiziert, verband die RSB Hotelkomplexe, die heute verschwunden sind, und brachte die Gäste in 40 Minuten von Kaltbad First (1423 m ü. M.) via Unterstetten bis in die Scheidegg (1648 m ü. M.); allerdings nur etwa 50 Jahre lang.

Weil sie unrentabel war, stellten die Betreiber den Dienst am 20. September 1931 ein. 1942 brach man die Schienen ab. Seither wird das Trassee als Wander-, Landwirtschafts- und Forstweg benutzt, im Winter als Winterwanderweg und ­Loipe. Der sogenannte Panoramaweg ist die einzige Strasse in die Gebiete Scheidegg, Burggeist und Rotenflue. Er dient als Erschliessung für Bau und Instandhaltung der ­Infrastruktur sowie für die Alpen und Wälder in diesem Gebiet. Auch für Rettungseinsätze oder die Abwehr von Naturgefahren ist der Weg wichtig.

Kunstbauten erinnern an die Bahn

Das rund 5.5 km lange und etwa 3.5 m breite historische Trassee ist ein hindernisfreier Höhenweg – das Längsgefälle beträgt im Durchschnitt nur 2–4%. Er verläuft beidseits einer Bergflanke und bietet abwechslungsreiche Tief- und Weitblicke in die Region rund um den Vierwaldstättersee und in den Talkessel Schwyz mit Zuger- und Lauerzersee sowie auf die ­Mythen. Er ist einer der meistbegangenen Wanderwege der Zentralschweiz – jährlich benutzen ihn etwa eine Viertelmillion Gäste.3

Nicht nur der gemächliche Anstieg erinnert daran, dass hier einmal Gleise eine Bahn geführt haben. Auch aufwendige Erd- und Felsarbeiten sowie ein markanter Hohlwegabschnitt in Nagelfluh sind zu sehen. Die damals erstellten Kunstbauten sind immer noch erhalten: der 70 m lange Wisstannegg-Tunnel, die zwei kleineren Brücken Rothenflue und Schild als Einfeldträger sowie die eiserne Brücke Unterstetten als Durchlaufträger von 50 m Länge. Schliesslich begleiten hunderte Meter von Stützmauern und Dämme den noch originalen Verlauf des Trassees.

Oberste Priorität: Entwässerung

Die vielfältige Nutzung hat dem Trassee zugesetzt. Der Weg war erosionsanfällig, und die Bauwerke wiesen typische Abnutzungserscheinungen auf, die sich durch den Gebrauch und die exponierte Lage auf dieser Höhe erklären lassen. Deshalb veranlassten die Bauherrschaften, die Strecke 2013 bis 2015 in enger Zusammenarbeit mit dem kantonalen Amt für Wald und Natur­gefahren (Fachstelle Langsamverkehr), dem Bundesamt für Strassen (Astra) und der kantonalen Denkmalpflege instand zu setzen. Das Trassee ist im Bundesinventar der historischen Verkehrswege der Schweiz als Objekt von nationaler Bedeutung aufgeführt. Daher hatten alle Massnahmen nicht nur auf die Natur und die Landschaft, sondern auch auf die Aspekte der Denkmalpflege Rücksicht zu nehmen.

Um künftig Schäden am Trassee zu verhindern, musste prioritär die Oberflächenentwässerung wieder hergestellt werden. Der Weg hat heute durchgehend ein einseitiges Quergefälle von 5% (Normalprofil rechts). Das Längsgefälle blieb grundlegend erhalten. Um das nötige Quergefälle zu erreichen und den Weg mit einer wirksamen Verschleissschicht zu versehen, liess André Annen von Annen Forstingenieurbüro die Wegoberfläche in den obersten 5 bis 10 cm aufreissen, vor Ort mit einem mobilen Steinbrecher brechen und neu planieren. Dabei wurde die oberste Schicht mit gebrochenen Nagelfluhsteinen aus der Umgebung angereichert – in der für die Rigi typischen rötlichen Farbe.

Dieses Verfahren sparte Kies, das für eine neue Planierung nötig gewesen wäre. Einzig bei der Umfahrung der Brücke Unterstetten – sie ist zu schmal für Landwirtschaftsfahrzeuge – war Kies ungeeignet, da der Abschnitt ca. 20% Längsneigung aufweist. Deshalb liess Annen dem Nagelfluhkies auf rund 80 m Zement beimischen. Der Abschnitt gleicht heute einer Betonstrasse mit der typischen ­Farbe der Rigi-Nagelfluh. Diese Variante verträgt sich mit der Landschaft besser als ortsfremder Beton. Die überdeckten historischen Längs- und Quergräben – besonders die gepflasterten Rigolen – und die Wasserdurchlässe wurden freigelegt. Das anfallende Wasser fliesst wieder in einen seitlichen, in der Regel bergseitigen Graben, der in ein Gerinne führt. Auch der durchgehende Abfluss über das talseitig angeordnete Bankett entwässert den Weg wirksam.

Ingenieurkunstbauten instand setzen

Die Instandsetzung des Wisstannegg-Tunnels und der Brücken Rothenflue, Schild und Unterstetten erfor­derte spezielle fachliche Aufmerksamkeit. Eugen Brühwiler, Professor an der EPFL und Experte des Bundesamts für Kultur für Fragen der Denkmalpflege, verfasste 2008 im Auftrag des BAK ein Gutachten zur Brücke Unter­stetten. Die Instandsetzungsarbeiten der drei Brückenbauten begleitete er aus der Sicht der ­Denkmalpflege. Er hat das Konzept für den Eingriff und gewisse Ausführungsdetails bestimmt. Jakob Hedinger vom Ingenieurbüro Edy Toscana setzte die geplanten Arbeiten um. Brühwiler meint dazu: «Das Ergebnis zeigt, wie Anforderungen der Denkmalpflege mit den Betriebs- und Sicherheitsanforderungen einer modernen Nutzung des Panoramawegs kosteneffizient vereint werden können.»

Der Wisstannegg-Tunnel war grundsätzlich in einem guten Zustand. Dies hatte das Schwyzer Amt für Wald und Naturgefahren im Rahmen einer geologisch-geotechnischen Überprüfung festgestellt. Allerdings gab es Wandstellen, die stark erodierten, womit der Firstverbau mittelfristig instabil geworden wäre. Stahlstützen, Drainagen, Netze und Spritzbeton stützen das Gewölbe heute zusätzlich.

Die Brücken Rothenflue und Schild bestehen aus tragenden Betonplatten, die auf historischen genieteten Eisenträgern aufliegen. Die Platten wurden eingebaut, als der Betrieb eingestellt war. Da die Brücken seit 2013 im kantonalen Inventar schützenswerter Bauten verzeichnet sind (Kigbo-Nr. 02.079 und 02.080), war es den Vertretern der Denkmalpflege wichtig, dass die Träger nach den Instandsetzungsarbeiten an den Brücken sichtbar bleiben und den Charakter der alten Bahnzeiten wiedergeben. Die Betonplatten waren mit 2.3 m Fahrbahnbreite zu schmal. Breitere Platten ersetzten die alten – bei der Rothenflue eine von 3.4 m und bei der Schild eine von 3.2 m Breite.

Der bestehende Damm aus Blocksteinen bei der Schild-Brücke war talseitig zu steil ausgebildet. Aufgrund der Belastung wies er vielerorts Deformationen und Anzeichen von beginnendem Zerfall auf. Um ihn zu entlasten, wurde er bergseitig auf einer Länge von 80 m um etwa 1 m verbreitert, der Pano­ra­maweg wurde in diesem Bereich um etwa 50 bis 80 cm bergseitig verschoben. Die bestehende Blocksteinmauer wurde mit Mörtel behandelt, um eine weiterschreitende Deformation und den Zerfall aufzuhalten und ohne ihren historischen Anblick zu beeinträchtigen. 

Die 1874 gebaute Brücke Unterstetten ist ein Ingenieurbauwerk von hohem kulturellem Wert (Kigbo-Nr. 02.077). Sie überquert eine rund 100 m breite Öffnung eines Bergkamms. Die Zufahrt erfolgt auf beiden Seiten über einen Damm, der an die Widerlagerpfeiler angeschüttet ist. Der Zustand der Eisenkonstruktion gilt als gut. Die Fahrbahnplatte – die nach der Stilllegung eingesetzt wurde – zeigt Betonabplatzungen. Beim Widerlager Nord ist das Mauerwerk unterhalb der Auflagerbank stark ausgebaucht, und ein klaffender vertikaler Riss zeigt eine Verschiebung der Widerlagerwand an. Haupt­ursache ist das Wasser, das hinter dem Mauerwerks­pfeiler versickert. Seit etwa sechs Jahren stützt eine provisorische Spriessung das letzte Feld.

Derzeit wird ein separates Projekt für die Erneuerung erstellt. Die Kosten sind etwas höher als jene für den Panoramaweg, die sich auf 1 Mio Fr. belaufen und nur gemeinschaftlich finanziert werden konnten. Unter anderen beteiligten sich neben der Rigi Scheidegg AG mit der treibenden Kraft des Verwaltungsrats Karl Küttel auch die Rigi Bahnen AG, das Astra, die Fachstelle Wanderwege, die Denkmalpflege des Kantons Schwyz und die Unterallmeind Korporation Arth. Die Instandsetzung der Brücke Unterstetten soll ebenfalls gemeinschaftlich finanziert werden und – damit eine Finanzierung realistisch ist – in denselben Kostenrahmen fallen. Die Brücke soll 2015/2016 restauriert werden – als Schlusspunkt der Instandsetzungsarbeiten des ehemaligen Bahntrassees. 

Funktion unverändert, Nutzung angepasst

Ein weiterer nicht zu unterschätzender Aspekt für den Erhalt dieses bedeutenden Denkmals war die Ausholzung. Dadurch wurden die Böschungen und die Widerlager entlang des Trassees von der schädigenden Durchwurzelung der bis zu 30 m hohen Bäume befreit. Mitunter hat sich durch die Holzereiarbeiten die Aussicht verbessert. Denn erhalten und instand gesetzt, bleibt die Hauptfunktion des kulturhistorisch wertvollen Bauwerks unverändert: Es dient noch heute dem Tourismus auf der Rigi. 

Dass sich die Hauptfunktion über 140 Jahre nicht veränderte, ist aussergewöhnlich. Darauf dürfen die vielen Nutzer des Bahntrassees aufmerksam gemacht werden. Denn was Seltenheitswert hat, wirkt attraktiv und lockt Gäste. Was wiederum Motivation für die aufwendigen Unterhaltsarbeiten und schliesslich Garant für die nachahmenswerte Erhaltung ist. 

Anmerkungen

  1. Florian Inäbnit: Rigi-Scheidegg-Bahn. Prellbock Druck & Verlag, Leissigen 1999, ISBN 3-907579-13-5 (vergriffen)
  2. Niklaus Riggenbach (1817–1899) war ein Schweizer Ingenieur, Erbauer von Lokomotiven sowie Erfinder des Zahnradbahn­systems Riggenbach (Leiterzahnstange) und der Gegendruckbremse. Er plante und baute weltweit mehrere Bergbahnen.
  3. Rigianzeiger, Oktober 2013

Weitere Infos zur Wanderroute:
www.ingbaukunst.ch/de/geschichten/wanderwege/rigi.html

Am Bau Beteiligte


Bauherrschaften
Rigi Scheidegg AG und Unterallmeind Korporation Arth 
 

Projektleitung
Annen Forstingenieurbüro, Seewen
 

Planung und Bauleitung
BrückenEdy Toscano AG, Brunnen

Magazine

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