Ur­knall in der bau­kul­tu­rel­len Bil­dung

Dank der Analyse der auf unserem Bildungsportal für die Baubranche education.espazium.ch bereitgestellten Daten konnten wir ein in seiner Art einmaliges Porträt des Bildungsangebots in der Schweiz zeichnen. Eine erste Bilanz zeigt auf, dass Studienprogramme, die sich an der Schnittstelle zwischen Praxis und Lehre einordnen lassen, besonders zahlreich vertreten sind: Weiterbildungen.

Publikationsdatum
04-05-2023
Yony Santos
Head of education espazium.ch | Architekt | Redaktor

Wie in anderen Bereichen erfährt auch das Bildungsangebot zur Baukultur1 einen bemerkenswerten Zuwachs. Universitäre Hochschulen und Fachhochschulen erweitern mit einem breiten Spektrum innovativer und hoch spezialisierter Studiengänge die Wahlmöglichkeiten zukünftiger Studierender und Berufstätiger, die sich in einem überaus wettbewerbsorientierten Umfeld weiterbilden möchten.

Um diesen Wandel zu ergründen und sich einen Überblick zu verschaffen, nahm espazium.ch eine Bestandsaufnahme sämtlicher einschlägigen schweizerischen Bildungseinrichtungen und ihrer Studienprogramme vor. Das Projekt ermöglichte die Schaffung des Internetportals education.espazium.ch, einer Kontaktbörse für Hochschulen und Personen, die ihre Ausbildung möglichst sinnvoll und zielführend vervollständigen möchten. Mit insgesamt mehr als 300 aufgeführten Angeboten zu allen möglichen Abschlüssen bietet education.espazium.ch seit der Lancierung im vergangenen November eine digitale Orientierungshilfe durch die enorme Vielfalt von Studienangeboten.

Die Analyse und Darstellung der aus der Plattform gewonnenen Daten ermöglichte uns eine in ihrer Art einmalige Inventarisierung des Bildungsangebots in der Schweiz und bestätigte eine unserer ersten Vermutungen: Von allen auf education.espazium.ch erfassten Angeboten beziehen sich mehr als 200 – das heisst zwei Drittel – auf weiterbildende oder postgraduale Studiengänge vom Typ CAS, DAS oder MAS2. Diese zeitlich befristeten Programme sind ein zentraler Bestandteil auf dem Markt des schweizerischen Bildungssystems und werden aktuell von 26 zum Zeitpunkt der Lancierung des Portals erfassten akademischen Einrichtungen angeboten, die 15 verschiedenen Studienbereichen zuzuordnen sind; unterrichtet wird in vier Sprachen.

Spezialisierung für das Fortkommen in einer Branche im Umbruch

Für Berufstätige oder Personen, die gerade ein Erststudium abgeschlossen haben, sind diese Programme eine strategische Investition, die ihnen erlaubt, ihre Kompetenzen zu perfektionieren oder anzupassen und neue Berufschancen in einer der zahlreichen Disziplinen der Baubranche ins Auge zu fassen.

Für die Lehranstalten wiederum sind sie eine gute Möglichkeit, innovative Studieninhalte zu vermitteln, die in klassischen Bachelor- oder Masterstudiengängen schwer unterzubringen sind. Denn die Umgestaltung der Studienpläne erfordert einen hohen Zeit- und Verwaltungsaufwand, während Weiterbildungsprogramme rascher und flexibler an neue Entwicklungen in der Praxis angepasst werden können. Dank der oft hohen Gebühren leisten sie einen wirksamen Beitrag zur Finanzierung dieser Einrichtungen, insbesondere der Fachhochschulen, deren Betrieb zum Teil auf diese Finanzmittel angewiesen ist. Vermutlich passen Weiterbildungen auch gut in das Lehrangebot der Fachhochschulen, das seit jeher berufsbildender und praxisorientierter ist als dasjenige der technischen Hochschulen. Die nebenstehenden Infografiken bestätigen diese Feststellungen und zeigen auch bestehende Unterschiede klar auf. Neben weiteren Besonderheiten wird zudem ersichtlich, dass fast die Hälfte der Weiterbildungen in der Schweiz von der Hochschule Luzern (HSLU), der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und der Berner Fachhochschule (BFH) angeboten werden.

Als Ergänzung zu den grundlegenden Bachelor- und Masterstudiengängen erfüllen diese Kurse auch eine steigende Anforderung des Arbeitsmarkts an Expertinnen und Experten, zusätzliche konkrete, innovative Kompetenzen zu entwickeln. Um dieser neuen Realität gerecht zu werden, werden Fachleute ermutigt, sich in einem gesamtschweizerischen, mehrsprachigen, föderalen Kontext weiterzubilden, der in territorialer, sprachlicher und wirtschaftlicher Hinsicht äusserst heterogen ist. Mit der Schaffung von education.espazium.ch werden wir diese Entwicklungen, den damit eingehergehenden Wandel der Kenntnisse und Praktiken sowie die Tendenzen in der baukulturellen Bildung aus der Nähe verfolgen.

Link: education.espazium.ch: Neues digitales Zuhause für Bildung im Bauwesen

Nächster Schritt: Präsentation der Ergebnisse von Weiterbildungen

Die Ergebnisse von grundständigen Studiengängen, Workshops oder theoretischen Kursen werden genau wie diejenigen von Doktorandenprogrammen oft von den Teilnehmenden selbst veröffentlicht oder von den Lehr- und Forschungseinrichtungen verbreitet. Doch wie steht es um postgraduale Weiterbildungen? Was sind deren Ergebnisse? Bisher bekommt man trotz der im Vergleich zu einer Promotion wesentlich weniger anspruchsvollen Methoden und Ziele selten eine schriftliche Abschlussarbeit zu lesen.

Dabei sind diese Programme ein ideales Terrain zum Erproben neuer Ideen am Schnittpunkt zwischen Praxis und Forschung. In einem wenige Monate dauernden Studium können sich die Teilnehmenden sehr nah an ihrer täglichen Berufspraxis entfalten und mit ihrer Berufserfahrung und ihrer Freude am Lernen zum Austausch über die enormen derzeitigen Herausforderungen der Branche beitragen. Durch dieses Bildungsumfeld und nicht zuletzt auch dank der Unterstützung durch herausragende Fachleute bieten solche Weiterbildungen eine ideale Gelegenheit, um qualitativ hochstehende Abhandlungen und Syntheseberichte zu erstellen. Das ist zumindest die Hypothese, der wir in den nächsten Monaten nachgehen werden, wenn wir uns mit den Abschlussarbeiten der originellsten und innovativsten Programme des schweizerischen Bildungspalette befassen.3

Eins ist sicher: Der Urknall in der baukulturellen Bildung und die Synergieeffekte dieser stetigen Wechselwirkung zwischen beruflichen und akademischen Kreisen kommen sowohl Einzelnen als auch Unternehmen zugute. Der Ausbau dieser Bildungsform trägt zweifellos entscheidend zur Anpassung des baukulturellen Knowhows an die derzeit unsichere wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation bei – umso mehr, als diese aufstrebende postakademische Bildungssparte wieder einmal deutlich macht, dass für die Baubranche jede Lehre eine Art Praxis ist – und jede Praxis ständiges (Weiter-)Lernen bedeutet oder zumindest bedeuten sollte.

Valérie Bovay ist Grafikerin und künstlerische Leiterin von TRACÉS. Sie hat die Visualisierungen, die diesen Artikel illustrieren, im Rahmen des Certificate of Advanced Studies BFH in Data Visualization erstellt.

 

Yony Santos ist Architekt und verantwortlich für die Education Platform.

 

Cedric van der Poel ist Co-Direktor von espazium.ch.

 

Anmerkungen

 

1 Massgeblich für die Erfassung des baukulturellen Bildungsangebots durch espazium.ch war die Definition aus der 2018 von den europäischen Kulturministerinnen und Kulturministern verabschiedeten Erklärung von Davos: «Baukultur umfasst die Summe der menschlichen Tätigkeiten, welche die gebaute Umwelt verändern. Die gesamte gebaute Umwelt muss als untrennbare Einheit verstanden werden, die alle gebauten und gestalteten Güter umfasst, die in der natürlichen Umwelt verankert und mit ihr verbunden sind. Baukultur umfasst den gesamten Baubestand, einschliesslich Denkmäler und anderer Elemente des Kulturerbes, sowie die Planung und Gestaltung von zeitgenössischen Gebäuden, Infrastrukturen, vom öffentlichen Raum und von Landschaften.» (Erklärung von Davos, 2018, S. 17, davosdeclaration2018.ch)

 

2 CAS – Certificate of Advanced Studies, mind. 10 ECTS; DAS – Diploma of Advanced Studies, mind. 30 ECTS; MAS – Master of Advanced Studies, mind. 60 ECTS. Quelle: swissuniversities.ch

 

3 Aus Interesse an den Ergebnissen der Weiterbildungen und zur Steigerung ihrer Sichtbarkeit werden wir im kommenden Herbst auf unserer Plattform eine Auswahl der von Einzelnen oder Gruppen zum Abschluss einer postgradualen Weiterbildung verfolgten Projekte, Forschungen, Arbeiten und Ansätze vorstellen. Ein Aufruf zur Teilnahme wird in Kürze auf unserer Internetseite an die zahlreichen betroffenen Zentren und Einrichtungen ergehen.

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