Ca­se Stu­dy: ei­ne re­ge­ne­ra­ti­ve Sa­nie­rungs­stra­te­gie für ein Mehr­fa­mi­li­en­haus

Diplomarbeit einer Weiterbildung

Wie kann ein Wohnhaus nur mit regenerativen Materialien und rückbaubaren konstruktiven Systemen saniert werden? Eine Arbeitsgruppe des "CAS ETHZ in Regenerative Materials - Essentials" beschreibt das Vorgehen anhand eines vierstöckigen Gebäudes in Zürich und stellt wiederverwendbare und biologisch hergestellte Materialien auf den Prüfstand.

Publikationsdatum
14-12-2023
Maria Barbieri
Architektin bei Openly Systems | Lehrende für Wohnbau an der Universität Innsbruck.
Katharina Graf
Diplom-Ingenieurin im Fachbereich Architektur (TU Dresden)| DGNB Beraterin für nachhaltige Gebäudezertifizierung
Simone Iseli
Innenarchitektin BA FHZ | Baubiologin mit eidgenössischem Fachausweis
Peter Saxer
Architekt ETHZ | Gründer und Eigentümer der Peter Saxer Architekten GmbH

Das Abschlussprojekt des Kurses "CAS ETH in Regenerative Materials - Essentials" an der ETH Zürich beinhaltet die Entwicklung einer Strategie zur Sanierung eines realen Objekts unter Verwendung regenerativer Materialien und rückbaubarer konstruktiver Systeme mit minimalem Aufwand und grösstmöglicher Wirkung. Die Grundlage dieser Recherche-Arbeit bildet eine umfassende Analyse des bestehenden Objektes, die Funktion, Konstruktion und potenzielle Entwicklungsmöglichkeiten betrachtet. Konkret handelt es sich um eine viergeschossige Mehrfamilienliegenschaft mit neun Wohneinheiten aus dem Jahr 1944 von A. Neumaier und E. Zweiacker Architekten, die sich in zentraler Lage in Zürich befindet (Abb. 1). Eine unzureichende Dämmung, damit verbundene Feuchtigkeitsprobleme, und die Erreichung des Lebenszyklusendes der technischen Anlagen umfassen wie bei vielen sanierungsbedürftigen Objekten auch hier die herausgearbeiteten Hauptaspekte. Trotz dieser komplexen Herausforderungen ist das Gebäude durch eine funktionierende Grundrissgestaltung, teilweise hochwertigem Innenausbau sowie einer tragfähigen Massivbauweise gekennzeichnet.

Blick von Aussen 

Ein erster Blick in das erdberührte Untergeschoss zeigt die Notwendigkeit einer energetischen Sanierung durch Dämmmassnahmen und Feuchteschutz. Als Strategie wird in der Recherchearbeit ein aussenliegender Feuchteschutz, begleitet von innenliegender Dämmung empfohlen. Die Installation einer Aussendämmung wird nicht angeraten, da es auf dem Markt derzeit kein regeneratives Produkt für erdberührte Bauteile gibt.

In den Obergeschossen soll die Fassade mit einer Aussendämmung versehen werden, die die Form und Erscheinung des Gebäudes nicht beeinträchtigt. Energie aus Geothermie wird für die Strom- und Wärmeversorgung des Gebäudes vorgesehen.

Mit dem Vorschlag einer Erweiterung des Dachgeschosses wird der mögliche Wohnraum maximiert.

Um eine ganzheitliche Lösung für die Gebäudehülle des Bestandes sowie der neuen Erweiterung im Dachgeschoss zu finden, hat sich nach eingehender Untersuchung diverser Materialien Hanfkalk als besonders geeignetes Dämmmaterial herausgestellt. In einem Vergleich mit herkömmlichen Lösungen wie expandiertem Polystyrol (EPS) und Mineralwolle zeigt sich, dass bei gespritztem Hanfkalk mit vergleichbaren Wandstärken ähnliche Wärmedämmeigenschaften erzielt werden können. Als regeneratives, bio-basiertes Material, kann Hanf im Gegensatz zu herkömmlichen Lösungen allerdings CO2 binden. Tatsächlich übertrifft die Kohlenstoffspeicherung des Hanfkalkes also seine eigenen CO2-Emissionen und wird in der Bilanz somit negativ. Die Berechnung zeigt 36,4 CO2 kg/m2 Emissionen bei einer EPS-Schicht von 16 cm Dicke. Im Vergleich werden bei gleicher Schichtdicke gespritztem Hanfkalk sogar 19,2 CO2 kg/m2 eingespeichert (Abb. 3). Hanfkalk bietet weitere vielseitige Anwendungsmöglichkeiten, ausgezeichnete thermische und akustische Eigenschaften, ist nicht brennbar, resistent gegen Schimmel und Insekten, und feuchtigkeitsregulierend. Zudem ist er 100% biologisch abbaubar, kompostierbar und recycelbar.

Mithilfe der Expertise verschiedener Facharbeitenden konnten während des Moduls simple, funktionsfähige Details für die Bestandsdämmung und Neubaukonstruktion ausgearbeitet werden. Begrenzt von einfachen horizontalen Holzelementen wird Hanfkalk in gespritzter Form auf die bestehende Aussenwand aufgetragen. Fensteröffnungen werden vorher geschalt und später mit Kalkputz ausgearbeitet. Auf die gesamte Aussenwand wird schliesslich eine 3 cm dicke Kalkputzschicht aufgebracht (Abb. 4 und 5).

Im Zuge der neuen Aufstockung auf das bestehende Gebäude soll mit einer simplen und leichten Holzrahmenkonstruktion gearbeitet werden. Diese wird mit Hanfkalk in gespritzter Form ausgeblasen. Ein Holzpaneel trennt die Konstruktionsschicht von einer weiteren Schicht vorgefertigter Hanfkalkblöcke. Auch hier wird zum Schluss eine 3 cm dicke, witterungsbeständige Kalkputzschicht aufgetragen. Im Innenraum kann hingegen mit feuchtigkeitsregulierendem Lehmputz gearbeitet werden. Hanfkalkblöcke sind selbsttragend und können bei Innenwänden ohne statische Anforderungen ohne zusätzliche Konstruktion eingesetzt werden (Abb. 6).

Blick nach Innen

Innerhalb des Gebäudes sind einige qualitativ hochwertige Ursprungsküchen und -bäder zu finden (Abb. 7). Die Atmosphäre dieser Räume ist authentisch, zeitlos und schlicht. Um eine Wiederverwendung der Einbauten in Betracht zu ziehen, steht am Anfang eine sorgfältige Schadstoffanalyse. Asbest und sonstige Schadstoffe können so in Bauteilen ausgeschlossen werden. Nach einer genauen ‚Ist-Analyse’ werden die bestehenden Küchen und Bäder in die Kategorien "gut", "ok" und "neu" eingeteilt (Abb. 8). Das Ziel dabei ist, nur jene Küchen und Bäder gänzlich erneuern, die aufgrund von Schäden und starker Abnutzung nicht weiter genutzt werden können. Je nach Kategorie sollen ganze Küchen oder einzelne Elemente durch wiederverwendete Bauteile ersetzt werden. Auch die Boden- und Wandoberflächen sollen mit Fliesen-Restbeständen ausgeführt werden. Diese Herangehensweise eignet sich gut für die bereits bestehende Diversität der einzelnen Wohnungen.

Im Sinne der sozialen Nachhaltigkeit lassen sich durch gezielte, kleine Eingriffe in die Grundrissstruktur Schaltzimmer realisieren, die auf die sich ändernden Bedürfnisse der Bewohnende reagieren können. Jedes Schaltzimmer erhält dafür einen Durchbruch zu Nachbarwohnungen oder Treppenhaus, um den Wohnungsspiegel nach Bedarf zu variieren (Abb. 9). Um Brand- und Schallschutz gerecht zu werden, werden die Wandquerschnitte in diesen Bereichen mit 12 cm dicken Hanfkalkblöcken oder gespritztem Hanfkalk (je nach Bestandswand) sowie 3 cm Lehmputz vergrössert. Da die Wohnungseingangstüren ohnehin durch (nach Möglichkeit wiederverwendete) EI30-Türen ersetzt werden müssen, können diese auch als Zugang zu den Schaltzimmern verwendet werden. Im Erdgeschoss werden halböffentliche Nutzungen für Bewohnende und Nachbarschaft angeboten – wie Werkstätten, Co-Working, Kita – da die notwendige Infrastruktur bereits vorhanden ist. Ergänzt wird das Angebot durch einen Gemeinschaftsraum auf dem Dach.

Im Rahmen des CAS soll mit all den aufgeführten Massnahmen die Lebensqualität verbessert und ein konkreter Lösungsvorschlag für die Sanierung im Sinne der Nachhaltigkeit geleistet werden.

CAS ETH in Regenerative Materials - Essentials

 

Im Rahmen des "CAS ETH in Regenerative Materials - Essentials" an der ETH Zürich wird den Teilnehmenden ein umfangreiches Wissen über lehmhaltige, biobasierte und wiederverwendete Baumaterialien vermittelt. Ziel des Kurses ist die Fähigkeit der Teilnehmenden zu fördern, durch effizientes und kreatives Projektmanagement am ökologischen und sozialen Wandel im Baugewerbe mitzuwirken. Die Leitung des Kurses übernehmen Prof. Dr. Guillaume Habert sowie Dr. Arnaud Evrard vom Lehrstuhl für Nachhaltiges Bauen an der ETH Zürich.

Autorinnen und Autoren

 

MARIA BARBIERI hat Architektur an der Universität Innsbruck sowie der Etsam Madrid studiert. Sie arbeitet als Architektin für das Schweizer Unternehmen Openly Systems mit Fokus auf nachhaltigen Wohnbau und ist Lehrende für Wohnbau an der Universität Innsbruck.

KATHARINA EHRENKLAU hat Architektur an der ETH Zürich sowie der GSD Harvard studiert. Sie ist Mitinhaberin der Atelier Ehrenklau Hemmerling GmbH mit Sitz in Zürich, einem Architekturbüro mit Fokus auf nachhaltiger Architektur – im kleinen wie im grossen Massstab, zwischen Forschung und Praxis.

KATHARINA GRAF ist ausgebildete Diplom-Ingenieurin im Fachbereich Architektur an der Technischen Universität Dresden. Sie arbeitet als Architektin im Bereich öffentliche Bauten bei Graf Architekten im Raum Nürnberg. Seit Anfang 2022 ist sie qualifizierte DGNB Beraterin für nachhaltige Gebäudezertifizierung.

SIMONE ISELI ist ausgebildete Innenarchitektin BA FHZ und Baubiologin mit eidgenössischem Fachausweis. In den vergangenen Jahren arbeitete sie für verschiedene Architekturbüros in Zürich und mit studio omni an eigenen Projekten. Seit Anfang 2023 arbeitet sie auch als Nachhaltigkeitsberaterin bei FRIEDLIPARTNER AG.

PETER SAXER hat Architektur an der ETH Zürich studiert und absolvierte ein Austauschsemester in Ahmedabad (Indien). Er ist Gründer und Inhaber der Peter Saxer Architekten GmbH mit Sitz in Zürich und ist vornehmlich im Wohnungsbau im urbanen Kontext tätig. Daneben beschäftigt er sich mit gesellschaftlichen, sozialen und ökologischen Fragen.

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