Stickstoff, der Dünger für das Pilzhaus
Ordnungszahl 7
Stickoxide haben einen schlechten Ruf, weil sie die Luft verpesten. Das Ausgangselement ist jedoch Stickstoff, ein unverzichtbarer Dünger der Natur. Davon profitieren die Artenvielfalt, die Landwirtschaft und neuerdings die Baustoffindustrie. Teil 10 der Serie «Chemie des Bauens».
Ökologische Baukultur benötigt Zucht und mindestens eine zweiwöchige Pflege. So lang dauert das Wachstum von Mycelium, das für das Dämmen von Hauswänden verwendet werden kann. Dieserorganische Baustoffwird aus dem «Pilz der Unsterblichkeit» (so sein Name in China) gewonnen. Aber auch hierzulande lernt man die Vorzüge des «glänzenden Lackporlings» allmählich kennen: ungiftig, aber ungeniessbar und ein Gewebe, fast so hart wie der Panzer eines Käfers. Für die Dämmplatten werden aber nur Wurzelfäden dieses Pilzes verwendet. Sie bilden in kurzer Zeit ein stabiles und leicht formbares Knäuel.
Ein Prototyp des Biomycel-Geflechts ist in einer Studi-WG verbaut, auf dem Gelände der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt im Zürcher Vorort Dübendorf. Seit Anfang 2018 breitet sich die Forschungseinheit «Urban Mining & Recycling» auf der zweiten Etage des Forschungsgebäudes NEST aus. Das funktionstüchtige und behagliche Wohnmodul besteht aber nicht nur aus kompostierbaren, sondern auch sonst wiederverwend- oder wiederverwertbaren Baumaterialien. Die Idee stammt aus Deutschland; die Architekten Werner Sobek und Dirk Hebel sind auch hierzulande als Forscher und Planer bekannt.
Ein Haus nicht aus endlichen Rohstoffen zusammenzustellen, sondern organisch aus Pilzen wachsen zu lassen: Diese Erfindung stammt aus den USA. Seit über einem Jahrzehnt tüfteln zwei New Yorker Designer daran. Ihre Demonstrationstour mit einem «Mushroom-Tinyhouse» quer durch den Big Apple ist auch schon einige Jahre her. Und bei einem Architekturwettbewerb, den das MoMA organisierte, holten sie den ersten Preis mit einem kompostierbaren Turm. Den Pilz und alles Weitere, was es zum Wachstum braucht, stellt dieNatur zur Verfügung; die Beigabe von Holzspänen, Pflanzenresten oder Reishülsen genügt. Das Biomaterial entnimmt daraus die Stoffe des Lebens, insbesondere Kohlen-, Sauer-, Wasser- und Stickstoff – den Naturdünger schlechthin. Inzwischen fertigen die US-Erfinder daraus Biomaterial im grossen Stil. Neben Dämmplatten sind Verpackungsmaterialien, Schuhe und Textilien aus Mycel-Gewebe erhältlich. Es soll ähnlich dauerhaft sein wie Plastik, mit dem Vorteil, dass es nach Gebrauch sorglos kompostiert werden kann.
Noch etwas Stickstoffchemie zum Merken: Härte, Stabilität und die Tatsache, dass das Biogewebe nicht wasserlöslich ist, sind ebendiesem Element mit der Ordnungszahl 7 zu verdanken. Stickstoffhaltige Chitine sind der chemische Grundbaustein von Mycelium-Verbindungen und neben der Zellulose der zweitwichtigste Baustoff der Natur. Aus Chitin sind Insektenflügel ebenso wie die Schale eines Hummers gebaut. Für die Rohstoffgewinnung müsste man weder Insekten, Krustentiere oder Pilze opfern; Unmengen an Chitin fallen heute schon als Abfall aus der industriellen Produktion von Zitronensäure an. Warum sollte man diese nicht als Biobaustoffe weiterverwenden?
2019 ist das internationale Jahr des Periodensystems. Die Kolumne «Die Chemie des Bauens» geht wöchentlich den natürlichen Elementen und ihren Eigenschaften auf die Spur und sucht die gebaute Umwelt mitsamt Umgebung nach ihren atomaren Zutaten ab.
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