Sicht­ba­rer Ver­lust

9/11-Memorial, New York City

Das National September 11 Memorial prägt das neue Gesicht von Ground Zero in New York. Wir dokumentieren den Bau multimedial.

Publikationsdatum
28-11-2014
Revision
18-10-2015

«Den Verlust zeigen» wollte der is­raelisch-amerikanische Architekt Michael Arad mit seinem Projekt «Reflecting Ab­sence», mit dem er 2003 den interna­tionalen Wettbewerb für das Na­tional September 11 Memorial auf Ground Zero1 gewann. Das Projekt setzte sich gegen mehr als 5000 Eingaben aus 63 Nationen durch.

Den Mittelpunkt bilden zwei quadratische ­Becken mit einer Seitenlänge von je 61 m, die sich in den Fussstapfen der eingestürzten Twin Towers befinden.Von vier Seiten fliessen rund 100 000 l Wasser pro Minute über die Ränder rund 10 m in die Tiefe, ehe sie gemächlich in ein inneres, tiefer gelegenes Becken mit kleinerem Massstab verschwinden. Es sind die grössten künstlich angelegten Wasserfälle in Nordamerika. Der Konstrukteur der Wasserfälle Dan Euser testete die Wasserfälle an einem Modell in Originalhöhe – im Hinterhof seines Zuhauses.

Die Herausforderung bei der Gestaltung des Mahnmals bestand darin, eine symbolische Sprache zu entwickeln, die von einem heterogenen Publikum, das aus allen Teilen der Welt hierher kommt, verstanden wird. Angelehnt an das Kunstwerk «North, East, South, West»3 von Michael Heizer sollen die Bassins den Verlust der Twin Towers sichtbar machen. Das Memorial wurde zehn Jahre nach den Anschlägen am 11. September 2011 eröffnet.

Um die Becken befinden sich Bronzetafeln mit den Namen – die der Opfer der Anschläge vom 11. September 2001 auf das World Trade Center, das Pentagon und an Bord von United Airlines-Flug 93 sowie die der sechs Personen, die bei den Bombenanschlägen auf das World Trade Center am 26. Februar 1993 umgekommen waren. Die Anordnung der Namen hat System: Gruppiert sind sie einerseits nach dem Ort, an dem die Personen ums Leben kamen, und andererseits neben jenen Menschen, mit denen gemeinsam sie den Tod fanden. 1200 Platzierungswünsche wurden berücksichtigt. Um herauszufinden, auf welchem der ­1­52 Paneele sich der gesuchte Name befindet, wurde ein «Memorial Guide» entwickelt: ein Automat, der den ­genauen Standort auf einer Karte anzeigt und sie ausdruckt – auch online oder als App verfügbar.

Die Memorial Plaza rund um die Becken dient als Ort des Gedenkens und schafft einen kontemplativen Raum abseits des pulsierenden Lebens in Lower Manhattan. Für die Umgebungsgestaltung wandte sich der Architekt Michael Arad an PWP Landscape Architecture aus Berkeley. Der Platz mit über 400 Amerikanischen Weiss-Eichen besteht hauptsächlich aus Granitplatten (Verde Fontaine), die in unregelmässigen Abständen durch Linien aus kleineren Pflastersteinen und Bänken aus demselben Gestein sowie Rasenflächen unterbrochen werden.

Einer der Bäume, der «Survivor Tree» (Chinesische Wildbirne), wurde im Oktober 2001 aus dem Schutt des ­World Trade Center geborgen. Das Grünflächenamt von New York pflegte den Baum und päppelte ihn wieder auf. Seit Dezember 2010 befindet er sich auf der Memorial Plaza. Der gesamte Platz und die Entwässerungs­infrastruktur konzipierten die Planer als selbsterhaltende Zisterne. Das Wasser aus Niederschlägen und Schneeschmelze wird in Vorratstanks geleitet und wieder­verwendet, um die Bäume und die 36.000 Tonnen aufgeschüttete Erde über ein Tropfbewässerungssystem zu nähren.

Das Lichtkonzept stammt vom New Yorker Lichtplanungsbüro Fisher Marantz Stone. Für die Beleuchtung der Wasserfälle entwickelten die Lichtplaner gemeinsam mit dem Leuchtenhersteller Winona Lighting eine LED-Unterwasserleuchte mit geringem Wartungsaufwand, einer hohen Leistung bei gleichzeitig ausreichender Wärmeabfuhr: Dank der «Cool-Core»-Technologie wird die Leuchte vor Überhitzung geschützt, indem Wasser durch den Kupferkühlkörper fliesst. Am Rand der Becken sind LED-Leuchten unter den Bronzepanels angebracht, die das Licht nach oben reflektieren und so die Namen von unten beleuchten. Die Memorial Plaza wird von quadratischen Lichtsäulen beleuchtet, deren Form an die Zwillingstürme erinnert. Für das Lichtkonzept zeichnete der Internationale Verband der Lichtdesigner IALD die Lichtplaner von Fisher Marantz Stone 2012 mit einem «Radiance Award of Excellence in Lighting Design» aus. Jeweils am Jahrestag erinnert die Installation «Tribute in Light» an die Anschläge: Zwei parallelele Lichtsäulen bilden die Türme des zerstörten World Trade Centers nach.

Die Anschläge des 11. September 2001 wurden zum medialen Grossereignis, das jedes Jahr erneut ins Gedächtnis gerufen wird. Ein Memorial zu gestalten, das einerseits als Erinnerungsort für die Hinter­bliebenen und andererseits als Mahnmal gegen den Terrorismus dient, und dies genau an der ­Stelle, an dem die Zwillingstürme standen, war eine anspruchsvolle Aufgabe. Entstanden ist ein würdevolles Gedenken, das den Verlust auf eindrückliche Weise verdeutlicht.

Anmerkungen

  1. Zum neuen Gesicht von Ground Zero gehören auch fünf neue Wolkenkratzer, die Transit Hall für einen neuen Verkehrsknotenpunkt (Santiago Calatrava), ein Zentrum für darstellende Künste sowie ein Besucherpavillon (Snøhetta) mit Zugang zum Museum (Davis Brody Bond Architects), das sich unter dem Memorial befindet. Der Masterplan basiert ursprünglich auf den Plänen von Daniel Libeskind.
  2. Über 3900 Granitplatten kleiden das Beckeninnere aus.
  3. Zu sehen im Kunstmuseum Dia:Beacon in Beacon, NY. 
  4. Die 8000 Watt-Leuchten werden auf dem Dach eines Parkhauses angebracht und die Installation getestet. Ein Blick hinter die Kulissen der Generalprobe.
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