SIA: Sa­nie­ren oder neu bau­en?

Energiepolitik: SIA-Tagung Ersatzneubau

Das Thema «Ersatzneubau» ist demnächst Gegenstand einer SIA-Tagung – und es polarisiert. Denn legitimiert mangelnde Energieeffizienz den Abbruch von Gebäuden oder ganzen Quartieren? Im Folgenden kommen zwei Fachleute zu Wort, die auch an der Tagung sprechen werden.

Publikationsdatum
17-04-2015
Revision
05-11-2015

CONTRA 
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Es ist unbestritten, dass wir unseren Ressourcenverbrauch senken, aber auch unsere Siedlungs- und Stadtentwicklung überdenken müssen. Eine Weiterentwicklung, welche diesen Herausforderungen Rechnung trägt, ist unumgänglich. 

Eine vorwärtsgerichtete Entwicklung ist nur möglich, wenn das Neue schlüssig und über­zeugend an das Vorangegangene anknüpft. Überträgt man diesen Gedanken auf die gebaute Umwelt, bedeutet dies, dass wir unsere Städte und Siedlungsgebiete nur weiterentwickeln können, wenn dabei die vorangehenden Bauepochen genau analysiert und mit Respekt behandelt werden.

Durch die Ziele der Energiewende und die Verdichtungsstrategie in der Raumplanung gerät der Baubestand unter massiven Druck: Der Ersatz oder die architektonisch unsorgfältige Erneuerung kann dazu führen, dass der Bestand in seiner Vollständigkeit und Qualität gefährdet ist und damit die Erlebbarkeit unserer Baugeschichte verunmöglicht wird. Es reicht nicht, dass nur anerkannt wertvolle Ge­bäude mit Respekt behandelt werden. Wir müssen auch die durchschnittlichen Gebäude pfleglich ­behandeln und deren Ersatz sorgfältig prüfen.

Bei der Entscheidungsfindung zum Ersatz oder zur Erneuerung ist ein Paradigmawechsel notwendig: In erster Priorität sollte von allen Beteiligten der Erhalt des Gebäudes untersucht werden. Ein Ersatz ist nur dann gerechtfertigt, wenn unter Berücksichtigung aller Faktoren – insbesondere auch der kulturellen, baugeschichtlichen und gesellschaftlichen Werte – der Beweis erbracht wird, dass das Gebäude nicht zu retten ist. 

Rund ein Drittel unseres Gebäudeparks stammt aus den Jahren 1960 bis 1973, also aus der Zeit vor der Ölkrise. Diese Architektur ist in Bezug auf ihren Energieverbrauch heute untragbar, sie muss mit Sorgfalt und Kreativität erneuert werden. Man stelle sich vor, welche ‹baugeschichtlichen› Löcher wir in unsere Städte und Siedlungsgebiete schlagen, wenn wir alle diese Gebäude ersetzen.»

Anna Suter, Inhaberin des Berner Architektur­büros Suter + Partner AG Architekten und seit 2014 Vorstandsmitglied des SIA

PRO 
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Die eine, absolute Wahrheit gibt es nicht. Jeder Bau- und Planungsentscheid bezieht sich immer auf ein konkretes Objekt. Grundsätzlich bieten Ersatzneubauten jedoch viele klare Vorteile.

Ein Ersatzneubau ist insbesondere aus wirtschaftlichen Gründen oft sinnvoller: Massnahmen zur Erdbebensicherheit, der Einbau von zeitgemässen Haustechniksystemen und die Schaffung von hindernisfreien Wohnungszugängen fallen bei Sanierungen häufig unverhältnismässig kostspielig aus. Ausserdem ist bei einem Neubau die Planungssicherheit grösser, weil die einzelnen Bau- und Planungsschritte einfacher aufeinander abgestimmt werden können.

Bei einem Neubau fliessen die neuesten Erkenntnisse und Konzepte zu Architektur und Gebäudetechnik umfassend ein. Zudem kann bei der Planung mühelos auf die aktuellen Wohn- und Arbeitsbedürfnisse eingegangen werden. Die Ver­wendung von Recyclingbaustoffen hilft, den Bedarf an grauer Energie tief zu halten. Um die laufenden Wartungs- und Betriebskosten gering zu halten, kann ein Low-Tech-Ansatz verfolgt werden, bei dem auf komplizierte Haustechniksysteme verzichtet und der Wohnkomfort trotzdem nicht beschnitten wird.

Während die passive Nutzung von Sonnen­energie bei Sanierungen nur bedingt möglich ist, kann ein Neubau optimal darauf ausgerichtet werden. Auf diese Weise können Plusenergiehäuser errichtet werden. Dies kommt auch den kommenden Energievorschriften entgegen, die derzeit mit den MuKEn 2014 erarbeitet und voraussichtlich ab 2020 gelten werden. Vor allem aus geopolitischer Warte scheint es geboten, dass wir uns dringend unabhängig machen sollten von fossilen Energieträgern.

Schliesslich das Thema Nachverdichtung: Während bei einer Sanierung Geschossflächenreserven aus statischen oder wirtschaftlichen Gründen nicht immer aktiviert werden können, bietet ein Neubau die Chance, diese einfach zu realisieren.»

Thomas Kessler, Leiter der Abteilung Kantons- und Stadtentwicklung im Präsidialdepartement des Kantons Basel-Stadt 

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