Bedenklicher Perfektionsdrang
Vergabeverfahren in der Diskussion
Sorgfalt im Vergabeprozess ist löblich. Wenn aber Verfahrensteilnehmer eine ausufernde Liste von Unterlagen beibringen müssen, besteht die Gefahr, dass Bürokratie zur grössten Teilnahmehürde wird.
Lob verdienen Vergabeverantwortliche, die ressourcenintensive Bauprojekte nicht an den billigsten Planer vergeben, sondern der besten Lösung aus einem Wettbewerbsverfahren zur Ausführung verhelfen. Wenn gar der Beschaffungsprozess mit besonderer Sorgfalt und Professionalität angegangen wird, scheint alles tadellos.
Ebendies ist kürzlich in einer mittelgrossen Schweizer Stadt so geschehen: Bei einer grösseren Arealüberbauung entschied sich die Behörde für das vorbildliche Testplanungsverfahren. In ihrem Bestreben, alles richtig zu machen, verfassten die Vergabeverantwortlichen eine Ausschreibung, die den Bewerbern allerdings einiges an administrativer Beflissenheit abverlangte.
Barocke Bewerbungsdossiers
Zum barocken Bewerbungsdossier gehörten Referenzobjekte, eine Darstellung zur Auftragsanalyse und der Arbeitsorganisation im Büro sowie zehn weitere Unterlagen und Belege – wie die Bestätigung der bezahlten Steuern, der Nachweis zur Einhaltung der Umweltschutzbedingungen oder Belege zur Lohngleichheit zwischen Mann und Frau. Auch die korrekt bezahlten Beiträge an die Pensionskassen mussten schriftlich belegt werden.
Einem Teilnehmer und SIA-Mitglied, der die Beschaffung dieser Nachweise seiner Buchhaltung überantwortete, entstanden Kosten von 873.45 Fr. (inkl. MwSt). Die Teilnahme galt es jedoch im Planerteam zu bestreiten, sodass auch bei den Teammitgliedern jeweils diese Aufwände anfielen. Multipliziert man diese administrativen Aufwände über alle Bewerbungen, kommt ein erklecklicher Betrag zusammen, der für den administrativen «Overhead» zu berappen ist.
Der Umstand irritiert zusätzlich, wenn man sich vor Augen hält, dass der erfolgreiche Zuschlag dem Team gerade einmal zu einem Verdienst von 40000 Franken verhilft. Auf einen Folgeauftrag darf dieses nicht hoffen, da die Testplanung in erster Linie ein Planungsinstrument darstellt und keine Vergabe im eigentlichen Sinn ist.
Prozesskompetenz im Vordergrund
Mancher mag sich fragen, was all die Belege mit der Planerwahl zu tun haben. Vermutlich wenig. Viel eher scheint es, dass in institutionellen Vergabestellen entfremdete Prozesse und ein Zuviel an Controlling bizarre Blüten treiben. Die Sache an sich, also die Auswahl des besten Planers, droht dabei in den Hintergrund zu rücken. Die Protagonisten werden allem voran anhand ihrer Prozesskompetenz gemessen und weniger am Erfolg der nachhaltigen Vergabe.
In diesem Prozesshype gilt die Devise: «Lieber zvil als zwenig!» Die Koinzidenz von übertriebenen formalen Anforderungen und einer eher symbolischen Entschädigung steht für Überkorrektheit und Ängstlichkeit im Ausschreibungsverfahren und einer gewissen Ignoranz gegenüber der ökonomischen Realität. Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizerischen Gewerbeverbands, forderte treffend die Regulierung der Regulierungswut. Tatsache ist, dass sich Regulierungskosten pandemisch ausbreiten: In einem 2013 veröffentlichten Bericht des Bundes werden diese mit 10 Mrd. Franken veranschlagt.
Immerhin – Trost spendet ein Blick ins nahe Ausland, denn dort scheint die Lage noch bürokratischer, und das administrative Korsett ist derart eng geschnürt, dass sich die Planer eine allfällige Teilnahme an öffentlichen Wettbewerben zweimal überlegen.
Der SIA wird vermehrt mit Klagen der Mitglieder zur bürokratischen Eigendynamik in Vergabeprozessen konfrontiert. Meist sind diese Prozesse gut gemeint, aber aus volkswirtschaftlicher Sicht eben oft zu entschlacken. Wie kann das gehen? Der SIA steht bei Fragen zu Planerausschreibungen gern mit Rat und Tat zur Seite. Kontakt: denis.raschpichler [at] sia.ch (denis[dot]raschpichler[at]sia[dot]ch)