Wie weiter mit dem bewässerten Schutzwald der BLS?
Schutzwälder schützen die Bergstrecke der BLS am Lötschberg vor Naturgefahren. Auf der Walliser Seite wird ein Teil von diesen seit fast hundert Jahren bewässert. Ein Unikum. Nun wird abgeklärt, wie die Schutzwälder anzupassen sind, damit sie ihre Funktionen weiterhin erfüllen.
In Brig ist es bereits heiss an diesem Vormittag Ende Juli. Klaus Schmidt nutzte die kühlen Morgenstunden für Reparaturarbeiten am Bewässerungssystem. Jetzt wird er dem Besucher den Schutzwald der BLS oberhalb der Bergstrecke der Lötschberg-Südrampe zeigen, den er seit 14 Jahren pflegt. Die Besichtigung entpuppt sich als angenehme Wanderung in einem Wald mit stattlichen Bäumen, oft im Schatten, manchmal auch am kühlen Wasser einer Suone, die parallel zum Wanderweg entlangführt.
Umwelt- und Forststudierende lernen in den ersten Semestern, dass an den südexponierten Hängen des Rhonetals die Walliser Felsensteppe als Vegetationsform dominiert. Das sind in erster Linie Sträucher, die der Trockenheit trotzen. Warum wächst hier Wald? Die Auflösung des Rätsels: Dieser Wald hängt eng mit der Lötschbergbahn zusammen.
Aufforstung zum Schutz der Bahnlinie
Die Bahnverbindung von Bern nach Brig durch den Lötschberg wurde 1913 eröffnet. Dabei unterschätzte man die Naturgefahren an der Südrampe. Zum Schutz vor Lawinen, Steinschlag und Rutschungen liess die BLS – der Name geht auf die ehemalige Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn zurück – sukzessive Schutzbauten erstellen. Zwischen Brig und Goppenstein zählt man heute rund 1000 Schutzbauwerke. 1923 startete schliesslich ein grosses Aufforstungsprojekt. Dazu kaufte die BLS Landflächen oberhalb der Bahnlinie, die zuvor landwirtschaftlich genutzt wurden. Mit dem Kauf übernahm das Bahnunternehmen auch die Wassernutzungsrechte, denn die Bauern bewässerten seit jeher ihre Wiesen und Weiden. Die BLS verwendete das ihr zustehende Wasser für die gepflanzten Bäumchen in den Aufforstungen.
In den ersten Jahrzehnten wurde das Wasser von den Suonen direkt auf die Flächen geleitet. In den 1970er-Jahren begann der Forstbetrieb der BLS mit dem Bau eines Bewässerungssystems aus Metallrohren. Inzwischen sind insgesamt 39.5 km Rohre verlegt: 10.7 km Hauptleitungen und 28.8 km Seitenleitungen für die Feinverteilung. Letztere sind mit Düsen zur Wasserabgabe versehen, im Abstand von rund 1.7 m – eine riesige Sprinkleranlage.
Bewässerung alle drei Wochen
«Alle drei Wochen wird eine Teilfläche während 24 Stunden bewässert», erläutert Klaus Schmidt. Pro Quadratmeter gelangen so rund 35 Liter Wasser auf den Boden, was 35 Millimeter Niederschlag entspricht. Begonnen wird mit der Bewässerung im Mai, die letzte Wasserabgabe erfolgt im September. Auf einen Bewässerungszyklus wird nur verzichtet, wenn mindestens 30 Millimeter Niederschlag innerhalb von drei Tagen verzeichnet wurden. Im Herbst müssen alle Rohre entleert werden, damit sie durch das Gefrieren nicht beschädigt werden. Vor allem im Frühling fallen Reparaturarbeiten an. Diese hielten sich wegen der robusten Bauweise jedoch in Grenzen, berichtet Klaus Schmidt.
Zusammen mit zwei Kollegen ist Klaus Schmidt nicht nur für die Bewässerung zuständig, sondern auch für die Waldpflege. Als ausgebildeter Sanitär und Forstwart verfügt er über eine ideale Kombination. Dank der Bewässerung konnte der Bergahorn üppig aufwachsen. Schmidt vermutet, dass die Baumart wohl gefördert wurde, weil sie schnell wächst. Auffällig viele Nussbäume sind zu sehen. Sie bilden grosse Kronen aus, wenn sie dafür genug Platz haben. Im Unterschied zum Ahorn stehen sie weiter voneinander entfernt. Wegen der geringeren Anzahl Stämme pro Fläche ist ihre Schutzwirkung gegen Steinschlag auch weniger gut. Zudem sind Nussbäume nassschnee- und frostgefährdet.
Waldreben und Bärlauch
Der bewässerte Schutzwald, in seiner Art einzigartig für die Schweiz, hat weitere Eigenheiten. So profitiert vom Wasser auch die Waldrebe. Auf rund 70 Prozent der bewässerten Fläche wächst die Kletterpflanze, die an anderen Bäumen hochwächst. Klaus Schmidt hat beobachtet, dass diese unter optimalen Bedingungen in nur einer Woche bis zu zwei Meter an Länge zulegen. Am Boden sind Brombeeren zurückzuschneiden. Warme Temperaturen plus Wasser führen zu einer dichten Vegetation. Ein weiteres Unikum: Der Bärlauch bildet im Frühling flächenhaft Teppiche aus. Ausser ihm wächst am Boden kaum etwas anderes.
Dennoch ist für Klaus Schmidt die Verfügbarkeit von Wasser und die Möglichkeit der Bewässerung Gold wert. An diesem Südhang würden sonst nie solche Bäume wachsen. Der Unterschied zu den unbewässerten Flächen sei offensichtlich. Trotzdem müsse man sich, so Schmidt, Gedanken über die Zukunft machen, weil künftig vielleicht weniger Wasser zur Verfügung stehen wird. Sind nämlich die Gletscher einmal weggeschmolzen, spenden sie im Hochsommer kein Wasser mehr.
Die Esche fällt aus
Noch ist es nicht so weit. Doch nicht allen Baumarten geht es gut. Im untersten Abschnitt machten die Eschen bis zu zwei Drittel des Baumbestands aus. Doch seit einigen Jahren ist ihre Vitalität schlecht. «Mindestens die Hälfte der Eschen im Schutzwald musste in den letzten Jahren gefällt werden», sagt Ferdinand Pfammatter, der Leiter des BLS-Forstbetriebs auf der Walliser Seite. Eine eindeutige Ursache für den schlechten Zustand der Eschen konnte noch nicht eruiert werden. Eine Rolle spielen könnten Maikäfer-Engerlinge, die sich an den Wurzeln gütlich tun. Das Eschentriebsterben, eine durch einen Pilz verursachte Krankheit, die in weiten Teilen Europas die Eschen massiv dezimiert, konnte an der Lötschbergsüdrampe bisher erstaunlicherweise noch nicht nachgewiesen werden.
Drei Personen des BLS-Forstbetriebs sind mit dem Schutzwald und der Bewässerungsanlage beschäftigt. Die Kosten für die Pflege und Bewässerung des Schutzwalds sind nur ein Aspekt. Auch Pfammatter fragt sich, wie es wohl in 30 Jahren mit der Wasserverfügbarkeit aussieht Diese Ausgangslage bewog die Verantwortlichen dazu, das Projekt «Klimaangepasste Baumarten im Schutzwald» im Rahmen des BAFU-Pilotprogramms zur Anpassung an den Klimawandel zu lancieren.
Kann die Bewässerung reduziert werden?
Das Projekt ging der Frage nach, wie der Schutzwald künftig zu pflegen ist, damit er seine Funktion erfüllt. Auch sollte geklärt werden, ob die künstliche Bewässerung reduziert oder sogar eingestellt werden kann. Ein besonderes Augenmerk wurde darauf gerichtet, welche Baumarten gefördert und allenfalls neu eingebracht werden sollen. Die Erfassung der aktuellen Verbreitung der Baumarten ergab – wenig erstaunlich – eindeutige Unterschiede zwischen den bewässerten und unbewässerten Flächen.
Die Dominanz des Bergahorns ist eindeutig eine Folge der Bewässerung. Trockenheitsresistentere Baumarten wie Flaumeichen, Mehlbeeren oder Douglasien sind zwar vorhanden, können sich in der Regel aber nicht durchsetzen. In den unbewässerten Abschnitten gedeihen demgegenüber viel mehr Waldföhren und Flaumeichen. Diese Baumarten sind dem trockenen Standort besser angepasst. Die Wälder sind aber auch durch eine viel lockerere Baumbestockung charakterisiert.
Die fortschreitende Klimaerwärmung dürfte die Bedingungen für das Baumwachstum zusätzlich erschweren. Trotzdem besteht das Ziel darin, Baumarten zu finden, die mit weniger Wasser auskommen, so dass die Bewässerung sukzessive reduziert werden kann. «Es gibt keine Referenzwälder in der Schweiz mit einer ähnlichen Ausgangslage und mit einem Klima, wie es für die Lötschbergsüdrampe erwartet wird», sagt Curdin Condrau vom Ingenieurbüro geoformer in Brig, das den Bericht des Projekts verfasst hat.
Deshalb ist nun vorgesehen, die Bewässerung zunächst auf ausgewählten Versuchsflächen zu reduzieren, die Reaktionen der Baumarten zu dokumentieren und wissenschaftlich zu begleiten. Die Versuchsflächen werden dort eingerichtet, wo Erkenntnisse über verschiedene Baumarten gewonnen werden können und wo nicht zu viel auf dem Spiel steht, wenn Bäume eingehen. Ein flächiges Absterben des Schutzwalds gilt es unbedingt zu vermeiden.
Hoffnung Blumenesche
Zudem sind weitere Tests mit an Trockenheit angepassten Baumarten vorgesehen. Ferdinand Pfammatter denkt etwa an die Winterlinde. Die Baumart ist nicht häufig, wächst aufgrund seiner Beobachtungen auf etwas tiefgründigeren Böden aber sehr gut und trotzt der Trockenheit. Auch der Feldahorn ist sehr genügsam. Grosse Hoffnungen setzt Pfammatter in die Blumenesche, eine südeuropäische Baumart, die im südlichen Tessin vorkommt. Auch die Douglasie, ursprünglich aus Nordamerika stammend und in Europa vor fast 200 Jahren eingeführt, gedeiht an verschiedenen Stellen erstaunlich gut.
Ganz auf die Bewässerung verzichten wird man wohl nicht können, insbesondere wenn die Bäume weiterhin als Schutzwald wirken sollen. Angesichts der fortschreitenden Klimaerwärmung wäre aber bereits eine Halbierung des Wasserbedarfs ein schöner Erfolg.