Pa­ra­do­xien und Kom­ple­men­ta­ri­tä­ten

Publikationsdatum
27-01-2012
Revision
25-08-2015

Weil «nur ‹die, welche das Glück hatten, ihn zu kennen› die Bedeutung von Aldo Rossis (Zürcher) Erbe ermessen können», haben Ákos Moravánszky und Judith Hopfengärtner Zeitzeugen aufgeboten, die sich in «Aldo Rossi und die Schweiz» an ihre Studienzeit bei dem Mailänder Architekten erinnern, der für die einen «wie eine Bombe einschlug» bzw. ein «Vakuum» füllte, für die anderen ein rotes Tuch war und Dritten den Kalauer eintrug: «Was für die Hausfrau Betty Bossi, ist für Schnebli Aldo Rossi.»
Der kulinarische Bezug ist keineswegs abwegig. Dolf Schnebli, «il più bravo dei Rossiani» (Bruno Zevi), erhielt dieses Attribut anlässlich einer Begegnung mit dem Doyen der italienischen Architekturkritik beim Mittagsmahl im Mailänder «Ristorante Alla Collina Pistoiese». Miroslav Šiks «Lernen von Rossi» gipfelt in der Erkenntnis: «Wir waren tatsächlich gläubige Jünger, wie Jacques Herzog und Pierre de Meuron 1997 schreiben.» Heute spricht Philip Ursprung gewissermassen für sie («Die Rückkehr des Realen»), die Rossis Erbe vielleicht gerade deshalb hoch halten, weil sie sich von ihm emanzipiert haben.
Es ist die Paradoxie, die Rossis Werken und Wirken – in dem Band gegliedert in die Kapitel «Aldo Rossi an der ETH Zürich» und «Theorie und Lehre» – charakterisiert. Das illustrieren nicht nur die Augenzeugenberichte. Die Herausbringer bringen es in einem Zitat Rossis zu der 1976 entworfenen Casa dello studente in Chieti auf den Punkt: Dessen Erscheinungsbild ergebe sich «aus der funktionalen, logischen und wirtschaftlichen Einheit», könne zugleich aber auch «Abbild einer fantastischen Welt sein, je nachdem wie stark die persönlichen Vorstellungen ausgeprägt sind». Es ist «das doppelseitige Wesen der Architektur, Bild und Konstruktion» (Max Bosshard und Christoph Luchsinger «Das Labyrinth von Aldo Rossi»), wie es sich in dem 1979 in Venedig errichteten Teatro del Mondo verdichtet. Das Temporäre des zwischen Theater und Kulisse oszillierenden Hauses weist voraus auf die Radierung «Ora questo è perduto». Der Titel trifft, so mutmasst Martin Steinmann in «Dieses ist lange her – Notizen zu Aldo Rossi», dessen eigene Architektur: «Die Konstruktion der Form und ihre Zerstörung sind zwei komplementäre Aspekte derselben Suche» (Daniel Vitale «Aldo Rossi und die Architektur – ‹ora questo è perduto›»). Erfasst hat das Eduardo Souto de Moura, als er seinen in die Jahre gekommenen Stadtmarkt von Braga (1980) 1997 auf die Struktur reduziert: «Was bleibt, ist die ‹Permanenz der Form›, denn als das Dach entfernt wird, starren wie Medusenhäupter die stählernen Stäbe empor, die aus dem Beton der Säulen herausragen» (Diogo Seixas Lopes «‹South of No North› – Rossi und Portugal»). Analog dazu strukturierten die Autorinnen und Autoren auch dieses Buch: Basierend auf einem «Thesengerüst» um die Zürcher «Gastspiele» geben sie Andockstellen, lose Enden «für Interpretationen, Projektionen» eines durchaus roten Fadens durch Aldo Rossis Labyrinth.

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