Neu­es SIA-Merk­blatt 2062 «Pho­to­vol­ta­ik auf und an Ge­bäu­den»

Die Schweizer «Energieperspektiven 2050+» zeigen, dass PV-Anlagen ­ausgebaut werden müssen. Das neue Merkblatt SIA 2062 ist eine ­umfassende Arbeitshilfe bei der Planung und Umsetzung sowie bei der gestalterischen Einbindung von PV-Anlagen.

Publikationsdatum
02-01-2024
Karl Viridén
dipl. Architekt FH, ­Geschäftsleiter Viridén + Partner
Andreas Büsser
dipl. Architekt FH, stv. Geschäftsleiter Viridén + Partne

Die Photovoltaik (PV) ist marktreif geworden. Sie wird heute in verschiedenen Varianten als Teil der Gebäudehülle genutzt. Gemäss «Energieperspektiven 2050+» soll die Stromerzeugung mittels PV-Anlagen bis 2050 stark ansteigen. Diese werden damit zunehmend zu prägenden Elementen der Baukultur. Die gestalterische Einbindung ist entsprechend sorgfältig zu planen. Ebenso muss die Betriebssicherheit der Anlagen ga­rantiert werden.

Mit dem neuen Merkblatt SIA 2062 Photovoltaik auf und an Gebäuden haben Bauherrschaften, Planende, Installateure und Behörden seit Anfang 2023 eine umfassende Arbeitshilfe zur Hand. Das Merkblatt gilt ausschliesslich für Anlagen am Gebäude und konzentriert sich auf die folgenden Themen: Energieertrag und Wirtschaftlichkeit, Eigenschaften verschiedener Modultypen, architektonische und konstruktive Integrationsmöglichkeiten, systemtechnische Elemente, Projektablauf und Verantwortlichkeiten, Betreibermodelle sowie Ökologie, Nutzungsdauer und Rückbau.

Gebäudeintegrierte versus angebaute PV-Anlagen

In vielen Normierungsprozessen taucht die Frage auf, was als gebäudeintegrierte Solaranlage gilt und welche Anlagen im Gegensatz dazu als angebaut einzustufen sind. Auch die Arbeitsgruppe für die Erarbeitung des Merkblatts 2062 diskutierte darüber. Schliesslich entschied sie sich zur Übernahme der Definition aus der Europäischen Norm SN EN 50583 Photovoltaik im Bauwesen: Photovoltaikmodule gelten als gebäudeintegriert, wenn sie eine konstruktive Komponente des Gebäudes darstellen. Wenn das integrierte PV-Modul demontiert wird, müsste es durch ein geeignetes Bauprodukt ersetzt werden.

Typische Gebäudefunktionen im Zusammenhang mit Photovoltaik sind folgende:

  • mechanische Festigkeit und struk­turelle Integrität,
  • primärer Witterungsschutz: Regen, Schnee, Wind, Hagel,
  • Energieeinsparung, wie beispielsweise Abschattung, Tageslichtbeleuchtung oder Wärmedämmung,
  • Brandschutz,
  • Schallschutz,
  • Trennung von Innen- und Aussenumgebungen,
  • Sicherung, Schutz oder Sicherheit


Die Definition für angebaute respektive additiv gebaute PV-Anlagen lautet im Umkehrschluss: Photo­voltaik­anlagen gelten als additiv beziehungsweise angebaut, wenn die verwendeten PV-Module die in SN EN 50583-1 festgelegten Kriterien für BIPV-Module nicht erfüllen.

Angabe von Fläche und Leistung einer PV-Anlage

Die bei Bauten üblichen Grössenangaben sind Fläche und Volumen. Bei PV-Anlagen ist es neben der Fläche vor allem auch die elektrische Leistung der Anlage. Diese wird als normierte DC-Leistung in Kilowatt (kW) unter Standard-Testbedingungen (STC) angegeben. In der Praxis war für die normierte DC-Leistung die formal nicht korrekte Bezeichnung Kilowatt-Peak (kWp) weit verbreitet. Im Merkblatt wird darauf verzichtet und stattdessen die korrekte Einheit kW verwendet.

Für die Standard-Testbedingungen gelten eine Einstrahlung von 1000 W/m² und 25 °C Zelltemperatur. Für bifaziale Solarmodule, die das auftreffende Licht von vorne und von hinten nutzen, kommt zu den 1000 W/m² der Vorderseite die Standardeinstrahlung von 135 W/m² auf der Rückseite dazu.

Der Gleichstrom der Solarzellen wird via Wechselrichter ins hausinterne Netz gespeist. Für Anlagen im Mittelland wird die Leistung des Wechselrichters tiefer dimensioniert als die oben beschriebene
DC-Nennleistung, typischerweise bei 80 bis 85 %. Das bedeutet in einem konkreten Beispiel: Mit dem aktuell üblichen Wirkungsgrad von ca. 22 % liegt die Nennleistung bei einer 10 m² grossen, monofazialen PV-Anlage bei etwa 2.2 kW. Wenn diese Anlage auf einem gut besonnten Dach liegt, produziert sie rund 2200 kWh Stromertrag pro Jahr.

Auswirkung auf die ­Energiebilanz von Gebäuden

Verschiedene SIA-Publikationen wie die Norm SIA 380 Grundlagen für energetische Berechnung von Gebäuden oder die Merkblätter SIA 2040 SIA-Effizienzpfade Energie und SIA 2056 Elektrizität in Gebäuden – Energie und Leistungsbedarf, befassen sich mit der Energiebilanz eines Gebäudes. Dabei geht es inhaltlich sowohl um die Energie­bilanz über die Nutzungsdauer als auch um die graue Energie, die zur Erstellung eines Gebäudes anfällt.

Hier ist in Bezug auf gebäudeinte­grierte PV-Module eine wichtige Unterscheidung notwendig, die oft zu Missverständnissen führt:

  • Die graue Energie für den Dachziegel muss über die Betriebsphase als Aufwand/Verbrauch verbucht werden.
  • Die PV-Anlage produziert Strom und kompensiert die beim Bau eingesetzte graue Energie. Darüber hinaus erzeugt sie nachhaltig Strom, somit resultiert eine deutlich positive Energiebilanz.


Die SIA 380/1 Heizwärmebedarf betrachtet die Stromproduktion aus PV als zugeführte Energie mit den entsprechenden Kennwerten.

Verschiedene Modultypen und Gestaltungsansätze

Nach wie vor eignen sich die meisten PV-Module vorwiegend für die Montage auf Dächern und Freiflächen. Die Auswahl an eingefärbten Solarmodulen und solchen mit profi­lierten Glasoberflächen sowie objektspezifischen Grössen ist noch be­schränkt, nimmt aber stetig zu. Bei der Wahl eines PV-Moduls für ein konkretes Projekt gilt es zu berücksichtigen, ob ein Standardmodul aus einer Grossserienproduktion oder einer Kleinserie eingesetzt wird oder ob ein kundenspezifisches Modul zum Einsatz kommt. Dies hat Auswirkungen auf die Kosten und den Terminplan.

Standardmodule sind günstig und in der Regel ab Lager verfügbar. Objektspezifische Anfertigungen sind aufgrund des Mehraufwands bei der Produktion teurer und haben längere Lieferfristen. Trotzdem ist es in vielen Fällen sinnvoll, Solarmodule als Teil der Gebäudehülle in Farbe, Form und Grösse individuell zu gestalten. Einige Beispiele zeigt die Seite solarchitecture.ch.

Im Vergleich zu konventionellen Glas-, Terracotta- oder Steinfassaden sind die Kostenunterschiede gering. Je nach Situation bietet die PV-Fassade neben den Pluspunkten bei der Nachhaltigkeit auch wirtschaftliche Vorteile durch die Stromproduktion über mehrere Jahrzehnte.

Wirtschaftlichkeit von gebäudeintegrierten PV-Anlagen

Die PV-Anlage ist eine Elektrizitätserzeugungsanlage (EEA) und reduziert andere, zukünftig anfallende Energiekosten. Deshalb sollte sie ausserhalb der Hauptkostengruppe 2 (BKP 3) erfasst werden. Die Investitionskosten generieren einen Mehrertrag einer Liegenschaft, der in der Liegenschaftsbewertung oft nicht erfasst wird. Entsprechend sollte der zukünftige Stromertrag der Investition gegenübergestellt werden.

  • Besonders bei Sparrunden in der Bauplanungsphase sollte beachtet werden, dass beim Weglassen der PV zukünftiger Ertrag verloren geht. Zusätzlich zum Stromertrag können auch andere wirtschaftliche Vorteile aus gebäudeintegrierten PV-Anlagen resultieren, zum Beispiel:
  • Einsparungen für eine alternative Materialisierung der Gebäudehülle und ggf. Wertsteigerung durch den Einsatz von höherwertigen und langlebigeren Materialien,
  • Förderbeiträge,
  • Berücksichtigung möglicher Steuerabzüge, vor allem bei Investitionen in bestehende Bauten im Privateigentum,
  • verminderte Abhängigkeit bei steigenden Strompreisen,
  • Verbesserungen im Nachhaltigkeitsrating

Sicherheit während Bau und Betrieb

Wichtig und bekannt sind Massnahmen gegen Absturz während dem Bau und dem Betrieb. Für die Betriebsphase ist vor allem der Brandschutz relevant. Das Merkblatt SIA 2062 macht zum Brandschutz den Verweis auf die VKF-Brandschutzvorschriften. Für Solaranlagen einschliesslich PV-Anlagen gilt das Brandschutzmerkblatt 2001-15 (VKF-­BSM) Solaranlagen. Dieses ergänzt die generellen VKF-Brandschutzvorschriften. Zusätzlich haben Swissolar und die VKF das «Stand-der-Technik-Papier» erstellt. Es gilt vorwiegend für Anlagen auf Dächern. Für PV-Fassaden ist ein «Stand-der-Technik-Papier» in Arbeit.

An einigen Standorten müssen während der Planung auch Blendwirkungen abgeklärt werden. Dazu haben das Bundesamt für Energie, der Kanton Bern und Swissolar gemeinsam ein öffentlich zugängliches Berechnungsinstrument erstellen lassen: www.blendtool.ch. Für Fälle mit möglicherweise störenden Blendungen gibt es diverse Abhilfemassnahmen, beispielsweise eine Anpassung der Ausrichtung der Module oder die Wahl blendarmer Moduloberflächen wie zum Beispiel satinierter Gläser.

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