Weg vom rei­nen Funk­tio­na­lis­mus – hin zu mehr Wohn­lich­keit

Der Neubau des Kantonsspitals Uri von Darlington Meier Architekten überrascht mit einer Atmosphäre, die mit der noch gängigen Vorstellung eines nüchternen, medizinisch sterilen Spitals wenig gemein hat.

Publikationsdatum
18-12-2022

Im Gesundheitswesen und der dazugehörigen Architektur hat sich viel verändert. Als 1963 in Altdorf der Spitalneubau nach dem Entwurf des Architekten Ernst Schindler eingeweiht wurde, galt «Form follows function» noch als Leitsatz. Der Neubau ersetzte das erste Spital für die Urner Bevölkerung von 1872, damals «erbaut für 30 Kranke».

Im Sommer 2022, also 150 Jahre später, wurde im Kantonshauptort zum dritten Mal ein neues Spital eröffnet. Es ist ausgestattet mit drei hochtechnisierten Operationssälen, einer Tagesklinik, zwei Pflegestationen mit insgesamt 80 Betten in wohnlichen Ein- und Zweibettzimmern, einer Frauenklinik mit Geburtsabteilung sowie Untersuchungs- und Behandlungsräumen. Der Spitalneubau ist das grösste Hochbauprojekt in der Geschichte des kleinen Kantons Uri mit seinen weniger als 40 000 Einwohnern.

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 40/2022 «Die endlose Baustelle».

Was im Grundriss als breiter Klumpen daherkommt, zeigt sich von aussen als gestaffelter Baukörper in ortsbaulich verträglichem Massstab. Anders als seine hohen Vorgängerbauten duckt sich der zwei- bis viergeschossige Neubau und erscheint so auch von ­aussen dem örtlichen Massstab angepasst.

In ihrem Entwurf haben Darlington Meier Architekten die vielen Räume des riesigen, funktionsgesteuerten Programms in sinnvolle Cluster zusammengefasst. Je nach Hygiene- und Privatsphärenanforderungen haben sie unterschiedliche Zonen definiert, die jeweils entsprechend materialisiert sind.

Die skelettartige Lochfassade aus beigem Sichtbeton wirkt unaufgeregt solide. Die Naturholzfenster zeigen sich, zum Glück, auch durch die vorgehängten Prallfenster, was der Fassade Tiefe und Rhythmus verleiht und etwas vom Innenleben verrät. Diese Vorfenster dienen einerseits als Absturzsicherung, andererseits als Schutz der Sonnenstoren bei Föhn und ­Helikopteranflug. Dort, wo keine Fensteröffnungen sind, wird das Raster mit einer vertikalen Profilierung, erzeugt durch eine Matrizeneinlage, nachgezeichnet.

Die leicht geschwungenen Vordächer, aus gleichem Material, markieren elegant die Zugänge. Die raumhohen Verglasungen im Sockelgeschoss reprä­sentieren die öffentliche Nutzung des Gebäudes, und die freundlich wirkenden, rosafarbenen Stoffmarkisen kündigen das überraschend wohnliche Innenleben des Spitalbaus schon an der Eingangsseite im Park an.

Terrazzo, Holz und Farbanstriche

Die grosse Eingangshalle, die Ankunfts- und Aufenthaltsort gleichermassen ist, könnte mit ihrem repräsentativen Charakter auch Hotelhalle sein. Der aufwendig gestaltete Terrazzoboden, farbige Sichtbetonwände und sorgfältige Schreinereinbauten aus Eiche und Esche prägen den Empfang. In Verbindung mit der Beleuchtung, eine Mischung aus Grund- und klassischen Objektleuchten, und der wohnlichen Möblierung wird der oftmals als steril und leblos empfundenen Spitalatmosphäre entgegengehalten.

Auch im unmittelbar benachbarten Café und Restaurant wähnt die Besucherin sich in einem alltäglichen Betrieb. Sorgfältig gestaltete Einbauten und eine wohnliche Materialisierung laden zum Verweilen ein, manche Gäste mag dies sogar vom Grund ihres Aufenthalts ablenken.

Diese Atmosphäre zieht sich durch alle öffentlichen Erschliessungszonen, die aus grosszügigen Korridoren und jeweiligen Wartehallen vor den einzelnen Abteilungen bestehen. Auf den Bettenstationen in den Obergeschossen fallen die farbig gestrichenen Wände mit Glasfasertapeten und eingefärbtem Elementbeton­sockel auf, die die Zugänge zu den Patientenzimmern rahmen.

Dort drinnen, auf Eschenparkett und neben pastellfarbenen Vorhängen, erinnern einzig die Betten an ein Spital. Die sorgfältig entworfenen grossen Fensterelemente mit Festverglasung und adäquatem Lüftungsflügel aus Naturholz rahmen die Ausblicke in die bergige Landschaft. Die tiefen Laibungen funktio­nieren im ganzen Haus als Sitzgelegenheiten, die rege genutzt werden.

In den einzelnen Abteilungen (Tagesklinik, Frauenklinik, Urologie, Intensivpflegestation etc.) lösen farbige Gummigranulatböden den Terrazzoboden ab. Wände, Decken und Einbauten sind schlicht ausfor­muliert. Farbige Anstriche und Türen in Naturholz erzeugen im ganzen Haus viel atmosphärische Wärme. Gestresste Patientinnen und Patienten genauso wie besorgte Angehörige profitieren von dieser behaglichen, warmen Raumatmosphäre. Dass diese in Ergänzung zur medizinischen Behandlung zur Heilung beitragen kann, ist keine neue, aber eine wichtige Erkenntnis, die der Neubau in Altdorf exemplarisch umsetzt.

Zum Wohlfühlen

«Hygiene ist eher eine Frage des Verhaltens als eine bauliche, denn die meisten Ansteckungen passieren über die Hand», erklärt der Spitaldirektor Fortunat von Planta. In diesem Sinne ergaben sich erstaunlich grosse Freiheiten in der Ausformulierung und Materialisierung vieler Innenräume.

Gemeinsam mit Spitalmitarbeiterinnen und -mitarbeitern wurden während der Planung die Möglichkeiten ausgelotet, berichten die Architekten. Es entstanden verschiedene Raumgruppen mit unterschiedlichen Anforderungen und Raumstimmungen: Das Spektrum reicht von sterilen Operationssälen und einer Intensivpflegestation mit höchsten hygienischen Anforderungen bis hin zu Patientenzimmern, in denen das Wohlbefinden im Vordergrund steht.

Die Atmosphäre ist geprägt durch Tageslicht und Ausblicke. Sogar wenn die zuweilen doch tiefen und langen Korridore mit Kunstlicht erhellt sind, bleibt das viele Sonnenlicht durch die grossen Fenster in Erinnerung. Diese beinahe allseitigen Bezüge zum Aussenraum schafft der Spitalneubau durch Gebäudeversätze, Korridore mit erweiterten Bereichen an der Fassade und einem Innenhof im tiefen Grundriss. Und Darlington Meier Architekten wollten noch mehr: Sie erarbeiteten ein Materialvokabular, das die Innenräume verständlich macht und sinnlich auskleidet.

Ein optimaler Spitalgrundriss muss vieles leisten. Patienten und Besucherinnen brauchen eine möglichst selbstverständliche, intuitive Orientierung. Kurze Wege sind für effiziente Abläufe massgebend. Räumliches «Pooling» schafft Synergien.

Grosses Projekt im kleinen Kanton

Hervorgegangen ist das Projekt aus einem vom Kanton ausgeschriebenen Generalplaner-Projektwettbewerb im selektiven Verfahren, den das Büro Darlington Meier Architekten 2015 für sich entschied. Die städtebauliche Setzung der ineinandergeschobenen, in der Höhe gestaffelten Gebäudevolumen und die Grundrissorganisation mit kurzen Wegen überzeugten die Jury.

Für die Realisation eines solchen Grossprojekts braucht es viele mutige Beteiligte. Dazu gehören die Stimmbevölkerung, die zum 115-Millionen-Franken-­Kredit mit grosser Mehrheit Ja sagt, genauso wie eine Bauherrschaft, die offen ist für Diskussionen, die über die Spitaltechnik hinaus gehen, und nicht zuletzt Architekten mit viel Gespür und Ausdauer.

Mit ihrer Bauerfahrung einer Klinik für Epilepsie und Neurorehabilitation und einem Wohnheim für körperbehinderte Erwachsene, beide in der Stadt Zürich, waren die Architekten bestens gerüstet, ein hochtechnisiertes Spitalgebäude zu planen und parallel dazu den Wirkungen der Architektur viel Platz einzuräumen. So ist ein öffentliches Gebäude mit repräsentativem Charakter entstanden, das über seine Funktion als Kantonsspital hinaus einen gesellschaftlichen Mehrwert schafft und auch ohne gebrochenes Bein einen Besuch wert ist.

Neubau Kantonsspital Uri, Altdorf

 

Verfahren
Wettbewerb mit Präqualifikation (2015)


Bauherrschaft
Baudirektion Uri, Amt für Hochbau


Architektur / GP Leitung
Darlington Meier Architekten, Zürich


Baumanagement / GP
b+p baurealisation, Zürich


Örtliche Bauleitung
bhp, Emmen


Tragkonstruktion
WMM Ingenieure, Münchenstein


Fachplanerkoordination und Elektroplanung
Boess SYTEK, Binningen

HLK-Planung
Aicher, De Martin, Zweng


Spitalplanung
PMO Keller, Rorschacherberg


Sanitärplanung
Technik im Bau, Luzern


Bauphysik
Bakus Bauphysik und Akustik, Zürich


Landschaftsarchitektur
Ganz Landschafts­architekten, Zürich


Brandschutzplanung
Makiol Wiederkehr, Beinwil am See


Nachhaltigkeit
durable Planung und Beratung, Zürich

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