Me­men­to mo­ri

Publikationsdatum
26-05-2020

«Wie geschmacklos!», ist mein erster Gedanke, als ich das rote «So schützen wir uns»-Schild am Eingang zum Friedhof entdecke. Den Toten nützt das Händewaschen nichts mehr, Abstand halten sie ohnehin. Und mit Massenaufläufen bei der Grabpflege ist ja wohl eher auch nicht zu rechnen, nicht einmal in diesen ablenkungsarmen Zeiten. Aber handkehrum: Wo, wenn nicht hier, werden den Menschen die Folgen mangelnder Disziplin und fehlender Distanz so drastisch vor Augen geführt? Einmal nicht die Hände gewaschen und zack! Schau, was passiert! Der ­pädagogische Effekt könnte kaum grösser sein.

Noch hat uns die Pandemie voll im Griff, die Schilder und Schutz­masken sind der allseits sichtbare Ausdruck davon. Ob diese Symbole der Vanitas dereinst auch eine ­dauerhafte bildlich-architektonische Entsprechung finden werden, wie Totentanz und Pestsäulen im Mittelalter? Und wenn ja, wie könnte so etwas aussehen?

Nach der Optimierung des Homeoffice, der Renaissance des Balkons und dem Design abstandskonformer Biergärten steht nun also die gestalterische Umsetzung eines ­zeit­genössischen Memento mori an. Selten in jüngerer Zeit hat eine Krise so viele entwerferische Im­pulse geliefert.

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