Mehr Ach­sen auf der Axen?

Viele Reisende in Richtung Süden befahren die Axenstrasse, bevor sie dann im Stau vor dem Gotthard stehen. Auf dem nördlichen Teil der spektakulären Strecke entlang des Urnersees sollen nun zwei Tunnel den Verkehr aufnehmen. Doch die letzten Widerstände sind noch nicht ausgeräumt.

Publikationsdatum
12-11-2021

Ganz korrekt ist es nicht: Vor allem an verkehrsreichen Tagen, etwa vor einem «Brückli» oder am Ferienbeginn, stehen Autos nicht erst vor dem Gotthardtunnel im Stau. So gut läuft die Axenstrasse als Zubringer zur A2 in Altdorf nämlich nicht, als dass es hier stets problemlos vorwärts ginge. Für knapp 15 000 Fahrzeuge, die sie täglich befahren, ist sie relativ schmal, kurvig und mühsam zu passieren. Sisikon muss direkt durchfahren werden, und touristisch Reisende, die gern spazieren fahren – die Aus­blicke von der Strasse können sich schon sehen lassen –, Wohnwagengespanne und Lkw-Verkehr machen die Passage nicht gerade flüssiger. Am Ende der Strecke wartet dann der Kreisverkehr in Flüelen, den die Fahrzeuge passieren müssen, bevor sie zur Autobahn A2 oder nach Altdorf kommen. Rückstau ist hier nur eine Frage der Tageszeit. Die Axenstrasse ist insofern eines der vielen Nadelöhre gen Süden, aber genauso auch gen Norden.

Zur Problematik des Verkehrsaufkommens gesellt sich noch die der Lage hinzu: auf der einen Seite der Vierwaldstättersee, auf der anderen Steilflanken, Felswände und einige Runsen, sturzgefährdetes Gebiet praktisch überall. Trotz Schutzgalerien und kürzeren Tunneln – diese kommen allmählich in die Jahre – kommt es immer wieder zu stunden-, ja tagelangen Sperrungen der Strecke. Die Axenstrasse zwischen Schwyz und Altdorf ist daher so eine Art Zwischending zwischen «einer der schönsten, spektakulärsten Routen der Schweiz» und einer nervigen Strassenverbindung, je nachdem wann, aus welchem Grund und von wem sie befahren wird.

Jedenfalls bietet sie neben der A2, die den Vierwald­stättersee westseitig über Luzern–Seelisbergtunnel–Altdorf umfährt, die einzige Möglichkeit, den Gotthard mit Kraftfahrzeugen ganzjährig zu erreichen. Die Passrouten über den Sustenpass von Meiringen und den Klausenpass von Glarus aus haben Wintersperre und sind nicht für alle Fahrzeuge offen. Was also tun mit der Axenstrasse? Neu bauen? Belassen? Oder gar aufgeben?

Aufgeben ist keine Option

Eine Aufgabe der Strasse stand und steht nicht zur ­Debatte. Ihre wirtschaftliche Bedeutung für die ­Region zwischen Mythen und Bristen ist nicht zu unterschätzen. Etwa ein Drittel des Verkehrs, der über sie rollt, ist kein Transitverkehr, sondern Regionalverkehr. Ausserdem stellt sie die einzige öffentlich ­befahrbare Verbindung nach Sisikon und ins Riemenstaldner Tal dar.

Neu – ist nicht die ganze Wahrheit

Die Standortkantone Uri und Schwyz als Bauherren und das Bundesamt für Strassen Astra als Hauptfinanzierer – etwa 94 % der mit derzeit über 1 Mrd. Fr. ver­anschlagten Kosten trägt der Bund – haben sich für einen Neubau entschieden. Der Projekttitel «A4 Neue Axenstrasse» ist zwar griffig, kann aber leicht in die Irre führen. Er suggeriert, dass die gesamte Strecke neu gebaut wird, was aber nicht der Fall ist. Der Abschnitt, der der gesamten Strasse den Namen gab – Axen bezieht sich auf die dem Vierwaldstättersee zugewandten ­Ausläufer des Rophaiens südlich der Tellskapelle –, wird vom Projekt gar nicht tangiert. Und auch nicht der weitere Strassenverlauf um Flüelen herum nach Altdorf. Die Umfahrung Flüelens wurde bereits zwischen 1999 und 2005 be­werkstelligt. Auf etwa einem Drittel der Strecke entlang des Sees bleibt daher alles beim Alten, einschliesslich des Kreisverkehrs in Flüelen. Und eine zukünftige Umfahrung dieses gesamten Stücks mit einem «Rophaientunnel» ist derzeit nicht in Sichtweite.

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Die «Neue Axenstrasse» bezieht sich also nur auf den nördlichen Teil der Strecke. Nur für das Teilstück zwischen Ingenbohl bei Brunnen und Gumpisch, südlich von Sisikon sieht das Projekt den Neubau zweier Tunnel mit Längen von 2889 m und 4442 m vor, unterbrochen von einer nur 120 m langen Tagstrecke.

Die heutige Strecke auf diesem Abschnitt soll neben den neuen Röhren als Kantonsstrasse weiterhin bestehen bleiben. Wie diese zukünftig aussehen soll, ist allerdings noch ein grosser Streitpunkt. Das Projekt sah eine Sanierung mit gleichzeitigen Verbesserungen für den Langsamverkehr vor, um die Strasse weiterhin als ­Alternative zu haben. Die Einsprache der Umweltverbände hingegen lanciert einen stärkeren Rückbau.

Schöner fahren auf der Alten?

Aber braucht es überhaupt eine Verlegung der Strasse unter Tage? Projektgegner sprechen von einem Luxusprojekt, und zugegebenermassen stehen 1 Mrd. Fr. für 7.33 km Tunnelstrecke schon dominant im Raum. Hinzu kommt, dass der 1.14 km lange, 2019 instand gesetzte und mit einem Sicherheits­stollen versehene Mosi­tunnel, der teilweise parallel zu der geplanten neuen Axenstrasse verläuft, faktisch seine Funk­tion verlieren wird. Er war einer der ersten Tunnel des Nationalstrassennetzes und leitet als Ortsumfahrung den Verkehr von der Autobahn A4 bei Schwyz um Brunnen herum auf die alte Axenstrasse.

Die Befürworter, vor allem die Kantone Schwyz und Uri als Auftraggeber, sehen dagegen in erster Linie die Vorteile der Untertagelösung: eine von Naturgefahren nicht beeinträchtigte, leistungsfähige Verbindung, daneben eine für den Langsamverkehr aufgewertete Strasse mit hohem Freizeitwert und die ­Umfahrung des 300-Seelen-Dorfs Sisikon. Und das alles für wenig Geld aus der Kantonskasse: Etwa 56 Mio. Fr. wird das Projekt den Kanton Schwyz kosten, 8 Mio. Fr. entfallen auf Uri, da Uri einen kleineren Anteil am Projektperimeter aufweist. Und die alte Strasse wird erst instand gesetzt den Kantonen übergeben – vorläufig sind daher wohl keine grösseren Folgekosten zu befürchten.

Eine Instandsetzung der alten Strasse mit ihren Schutzbauten warf seit jeher Fragen auf. Zum ­heutigen Zeitpunkt, ohne eine ortsnahe Umfahrungsmöglichkeit, wäre dies nur erschwert möglich. Eine jahrelange Sperrung der Strasse wäre aber kaum durchsetzbar, führt doch die einzige Ersatzstrecke über Nidwalden um den gesamten Vierwaldstättersee herum. Von Flüelen nach Sisikon würde sich die Distanz von 6 km auf 90 km verlängern. Die Tunnellösung würde zukünftige Instandsetzungsarbeiten massiv erleichtern. Das heutige «Fahrerlebnis» entlang des Sees wird dann aber für den motorisierten Verkehr der Vergangenheit angehören, was für Reisende durchaus einen Verlust darstellen kann. Dafür sollte es etwas zügiger vor­wärtsgehen. Aber begeben wir uns doch einmal auf die ­ Strecke und schauen, was gebaut werden soll.

Neuer Tunnel neben altem

Heute fährt ein Fahrzeug von der A4 bei Brunnen durch den Mositunnel direkt zum Steilufer des Vierwald­stättersees hindurch. 2 km führt nun die Strasse, vorbei am Rastplatz Wolfsprung, oberhalb des Sees bis nach Ort, einer kleinen Ausbuchtung am Ufer ­entlang. Diese gesamte Strecke wird neu durch den 2889  m langen Morschacher Tunnel umfahren werden. Sein Nordportal liegt östlich des Mositunnels, direkt am Areal eines Schotter- und Kieswerks eines schweizerischen Betonherstellers. Der Ausbruchsquerschnitt beträgt 113 m2. Ein Sicherheitsstollen ist nicht vorgesehen. Der Morschacher Tunnel erhält ein ähnliches System wie etwa der Gubristtunnel bei Zürich: Als Fluchtweg dient der unter der Strasse liegende Werkkanal. Der Zugang zu dem unter Überdruck stehenden Rettungskorridor gelingt über alle 300 m angeordnete Treppenhäuser. Im Brandfall entstehender Rauch gelangt über Luftklappen in die vom Strassenraum abgeschottete Kalotte und wird ins Freie abgeleitet. Zudem sind alle 150 m eine Notfallnische und alle 900 m Ausstellbuchten vorgesehen.

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Beim anstehenden Gestein – der Tunnel liegt unterhalb der Ausläufer des Fronalpstocks – handelt es sich vorwiegend um Kalkstein guter Qualität. Der Ausbruch wird daher vom Schotterwerk zur Verarbeitung übernommen. Allerdings durchfährt der Tunnel auch Karstgebiet und Schichten mit ungünstig liegendem Bergwasserspiegel. Für das am Nordportal anfallende Bergwasser musste eine Lösung gefunden werden. Da die bestehenden Entwässerungsgräben zur Muota hin zu klein gewesen wären und eine Flusseinleitung öko­logisch bedenklich sein kann, sieht das Projekt einen 1.25 km langen Entwässerungsstollen vom Portal in den Vierwaldstättersee vor. Kurz vor dem Südportal entsteht bei Petersort die unterirdische Betriebszen­t­rale des Tunnels, die durch einen Zugangsstollen erschlossen ist.

Die ausführliche Version dieses Artikels ist erschienen in TEC21 36/2021 «Uferloses Unterfangen?»

Nationalstrassenklassen
Das Bundesgesetz über die Nationalstrassen von 1960 sieht deren Einteilung in drei Klassen vor: National­stras­sen erster Klasse sind nur für Motorfahrzeuge bestimmt, weisen getrennte Richtungsfahrbahnen auf und sind nur über bestimmte Anschlussstellen erreichbar. ­Kreuzungen sind immer nicht höhengleich. Die zweite Klasse unterscheidet sich von der ersten, indem die Richtungsfahrbahnen nicht getrennt sind. In der Regel sind die Kreuzungen aber auch hier nicht höhengleich aus­geführt. Die dritte Klasse der Nationalstrassen ist nicht Motorfahrzeugen vorbehalten, auch andere Verkehrsteilnehmer können sie befahren. Separate ­An­schluss­stellen sind nicht nötig, auch höhengleiche Kreuzungen kann es geben.

 

Die letzte Beschwerde gegen das Projekt «A4 Neue Axenstrasse»
Die Alpen-Initiative, die Sektionen Uri und Schwyz des Verkehrsclubs der Schweiz VCS und die Ärztinnen und Ärzte für den Umweltschutz AefU haben ihre Ein­sprachen, als die Letzten gegen das Projekt «A4 Neue Axenstrasse» verbliebenen, als Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingelegt. Die Strasse sei rechtswidrig und damit nicht bewilligungsfähig, da die neu geplante Verbindung auf Grundlage einer Aufklassierung zu einer Nationalstrasse der zweiten Klasse beruhe (nur Motorfahrzeuge). Die Aufklassierung geschah durch den Bundesrat. Gemäss den Einsprachebefürwortern sei für dieses Prozedere aber ein Beschluss der Bundesversammlung nötig. Ausserdem stehe die neue hochrangige Strasse im Widerspruch zur Alpenkon­vention. Wenn alles gebaut werde wie geplant, stünden am Axen mit der alten und mit der neuen Strasse vier Spuren zur Verfügung. Dieser Kapazitätsausbau widerspreche dem Geist des Alpenschutzartikels in der Verfassung.

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