Ma­schi­nen zu­hau­se

Die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts brachten nicht nur neue ­architektonische Formen, auch die Gebäudetechnik erlebte eine starke Entwicklung. Die Publikation «Maschinen zuhause» beleuchtet die Auto­matisierung des Wohnens im 20. Jahrhundert.

Publikationsdatum
24-05-2012
Revision
01-09-2015

Zwei der Glaspaneele im Wohnraum der Villa Tugendhat von Mies van der Rohe lassen sich wie ­Autoscheiben auf einer Länge von fast 5m in Schächten versenken. Der Vergleich mit ­einer­ Maschine ist so abwegig nicht: Der Wohnraum war mit einer ausgeklügelten Klimaanlage ausgestattet, die die Reinigung der Luft mithilfe von Meersalz bewerkstelligte.1 Damit gehörte die 1929 –1930 errichtete Villa einer Generation von Häusern an, in denen künstliche und natürliche Belüftung noch kombiniert wurden. In den USA dagegen gab es zu dieser Zeit bereits Bauten mit geschlossenen Kreisläufen: William Lescazes im Auftrag der Zeitschrift «Architectural Record» entworfenes Future American Country House (1928) oder Richard Buckminster Fullers Dymaxion House (1929) sollten künstlich belüftet werden. Solche Konzepte gab es aber nicht nur auf dem Papier: George Fred Kecks für die Ausstellung «Century of Progress» (1933/1934) entworfene Bauten House of Tomorrow (1933) und Crystal House (1934) verfügten über ­einen geschlossenen Luftkreislauf.
Die Autorin hat sich einem in zweifacher Hinsicht – einerseits was die physisch greifbare und anderseits was die fachliterarisch aufgearbeitete Faktenlage betrifft – anspruchsvollen Thema verschrieben: Da die technischen Installationen oft nicht oder nur mit grossem Aufwand erhalten werden können, sind ihre Überlebenschancen bei Umbauten gering. Bestenfalls sind sie – ihres Kontexts beraubt – im Museum zu bestaunen. Zudem sind die Schnittstellen zwischen Architektur- und Technikgeschichte nicht eben intensiv bearbeitete Forschungsgegenstände. Diese Lücke füllt Eberhard mit ihrem Buch, das von akribischer Recherche zeugt. Sie verortet die «Ikonen» wie die Villa Girasole von Ettore Fagiuoli und Angelo Invernizzi (1929–1935) in Marcellise im Kontext von Bewegungsapparaturen wie Liften oder Drehbühnen oder Richard Neutras Lovell Health House (1927–1929) in Los Angeles in jenem von Hygiene und sportlicher Betätigung. Sie zeigt aber auch Trouvaillen, wie die Ozon­maschine, die Zigarrenrauch neutralisiert, sodass die Rauchecke räumlich nicht ab­getrennt werden muss. So extravagant uns das heute erscheinen mag: Der Apparat ­illustriert, dass technische Geräte, obwohl sie «nur» funktionieren, «ihren Besitzern zur Übermittlung von sozialen Botschaften» dienen.2
Diametral entgegengesetzt war die Message, die Richard Neutra 1935 in das Haus seines Bauherrn Josef von Sternberg in Northridge, Kalifornien, integrieren musste: Der Filmproduzent forderte ein Sicherheitssystem zur Abwehr von Überfällen, das sich gewaschen hatte: ein Festungsgraben, dessen Wasser der Hausbesitzer über ein Kontrollpaneel neben seinem Bett unter Strom setzen konnte.

Magie und Bann

Obwohl es bei den «Maschinen zuhause» letztlich immer um Komfort und Gesundheit geht – statt des Künstlerhauses bildet das Sportlerhaus eine eigene Gattung –, scheint oft auch eine gewisse Unheimlichkeit mitzuschwingen. Über die Fenster der von ihm 1932 erbauten Villa Cavrois im nordfranzösischen Croix schrieb Robert Mallet-Stevens: «Mes fenêtres sont à guillotine.»3 Paradoxerweise verliert die Technik trotz Automatisierung nicht an Magie: «Eletricity was something remote, strange and mysterious in 1890; now a child pushes a button and electricity does the rest.»4 Werden die Kräfte der «fée électricité» deshalb in Knöpfen und Schaltern gebannt und die Installationen selber verborgen – Radiatoren hinter Verkleidungen versteckt, «Gasleitungen in die Ornamentik von Stuckatur eingebunden» 5
Anders Le Corbusier: Er liess Wasserzu- und ableitungen sichtbar verlegen. Für ihn, so Eberhard, gehörten sie «zur Vorstellung des Hauses als Organismus dazu». So sehr dieser Umgang mit dem Raffinement der übrigen Innenausstattungen kontrastiert: Den technischen Charakter nicht zu verschleiern, passt zum Einsatz der von ihm als «objet type» bezeichneten, seriell hergestellten Lavabos und Badewannen. Eberhard widmet Le Corbusiers «machine à habiter» ein eigenes Kapitel und räumt auch mit Vorurteilen auf: Besonders die Villa Savoye (1928 – 1931) ist weder ein kaltes, fabrik­mäs­siges Gerät noch ein Hightechhaus avant la lettre. Stattdessen ist die Villa in Poissy ein Haus für eine Maschine: zugeschnitten auf das Automobil mit seinen per Kurbel versenkbaren Scheiben ... 6

Anmerkungen

  1. www.bam.brno.cz/de 
  2. Barbara Orland, Haushalt, Konsum und Alltagsleben in der Technikgeschichte, in: Technikgeschichte 65 (1998), Heft 4, S. 273–295, hier: S. 280, zit. nach Eberhard, 2011, S. 240
  3. Zit. n. Eberhard, S. 94
  4. Der Historiker der Edison Commonwealth, 1922, zit. n. Eberhard, S. 15
  5. Eberhard, S. 52
  6. Den ersten Kurbelfensterheber fabrizierte der Unternehmer Max Brose 1928

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