«Man muss sich im­mer wie­der be­wei­sen»

Hans Briner ist einer der wenigen Baujuristen, die auch ausgebildete Bauingenieure sind. Im Gespräch mit TEC21 erzählt er, warum er diese Kombination als ideal empfindet und warum er trotzdem manchmal lieber Dichter wäre.

Publikationsdatum
11-10-2012
Revision
01-09-2015

TEC21: Warum haben Sie sich nach der Matur für ein Bauingenieurstudium entschieden?
Hans Briner:
Das tönt vielleicht banal: Als ich ein kleiner Junge war, wurde in der Nähe meines Elternhauses eine Siedlung gebaut. Die Bagger, die Erdhaufen und das Entstehen der Häuser waren faszinierend. Zum Zweiten – auch darüber kann man lächeln – war ich ein passionierter Lego-Spieler. Bei Lego gab es damals nur wenige bewegliche Teile, die ich dann mit ‹Gümmeli› und Halma-Steinen selbst ergänzt habe, bis ich bei vollautomatischen Kegelbahnen war. Das Konstruktive hat mir gefallen. Ausserdem habe ich in der Schule den Physikunterricht sehr gern gehabt. Daher habe ich mich später mühelos für das Bauingenieurstudium entschieden. 

Nach dem Bauingenieurstudium haben Sie noch ein Jurastudium absolviert. Warum?
H. B.:
Ich habe während des Bauingenieurstudiums gemerkt, dass meine Liebe zwar durchaus dem Bau gehört, ich aber Mühe habe, die Menge an rechnerischer Arbeit so schnell zu verarbeiten, wie man das sollte. Aber man hört ja nicht im 6. Semester mit dem Studium auf, wenn man Aussichten hat, das unter Dach und Fach zu bringen. Nach dem Studium habe ich auch noch die Baupraxis ausprobiert, um zu schauen, wie das ist. 

Hat Ihnen die Praxis besser gefallen als das Studium?
H. B.: Nein. Ich habe ein halbes Jahr auf einer Baustelle als Bauführerassistent gearbeitet und gemerkt, dass ich dafür nicht der Richtige bin. Ich bin nicht so sehr ein Alphatier, sondern eher jemand, der für sich selbst ein Problem durchdenkt. Ich musste mir damals also überlegen, was ich jetzt mit mir mache. Ich komme aus einer Juristenfamilie – mein Grossvater, mein Vater und zwei ältere Brüder sind Juristen – und habe dann gespürt, dass ich auch ein Flair für diesen Beruf habe. 

Sie haben nach dem Abschluss Ihres Jurastudiums ziemlich nahtlos als Mitarbeiter in einem Büro für Baurecht angefangen.
H. B.:
Ja, da habe ich sehr grosses Glück gehabt. Ich habe im Militär einen älteren Kollegen kennengelernt, der genau das gleiche Ausbildungsprogramm wie ich absolviert hatte und in dessen Büro ich nach dem Studium anfangen konnte. Dort hatte ich eine hervorragende Einstiegssituation, weil das Spektrum dieses Büros genau meinen Kompetenzen entsprach, sodass ich endlich Wurzeln schlagen und erstarken konnte. Nach sechs Jahren wurde ich dann Partner. Und nochmals sechs Jahre später habe ich mein eigenes Einmannbüro1 gegründet. 

Wie stark profitieren Sie bei Ihrer jetzigen Tätigkeit von Ihrer Ausbildung als Bauingenieur ?
H. B.: Sehr, sehr viel. Meine heutige Tätigkeit wäre ohne meine erste Ausbildung nicht denkbar. 

Es gibt aber doch viele Baujuristen, die nicht gleichzeitig Bauingenieure sind.
H. B.:
Natürlich. Im Bereich des öffentlichen Baurechts, das alle Vorschriften zum richtigen Bauen umfasst, können reine Juristen genauso gut arbeiten wie ich. Bei Auseinandersetzungen im Bereich des privaten Rechts – das umfasst die vertraglichen Beziehungen zwischen allen am Bau Beteiligten – muss man als Gutachter aber beurteilen, ob eine bestimmte Leistung richtig erbracht wurde oder nicht. Dort kann ich als Bauingenieur Fragen aus meinem Fachbereich selbstständig behandeln. Ansonsten bearbeite ich den Fall zusammen mit einem Kollegen aus der betreffenden Sparte. Dank meiner technischen Ausbildung kann ich trotzdem mit diesem Fachmann diskutieren und ihm kritische Fragen stellen.  

Ihre Tätigkeit ist also eine eigentliche Synthese Ihrer beiden Ausbildungen?
H. B.:
Ja, ich bin im Laufe der Jahre immer stärker wieder zum Technischen zurückgekommen. In den Gutachten, die ich heute verfasse, wende ich viel Ingenieurwissen an. Diese vollständige Synthese ist für mich ein sehr glücklicher Zustand. Das, was ich mit der Bauingenieur-Ausbildung nicht erreichen konnte, hat sich mit der Jura-Ausbildung zu etwas Umfassenderem zusammengefügt, als ich als Ingenieur hätte leisten können. Ich bin dadurch in der Lage, zu komplexen Bauschadenfällen Gutachten zu verfassen, die alle technischen und rechtlichen Fragen lösen. Und das darf man schon auch sagen: Meine Honorare stehen nicht unter dem gleichen Druck wie die meiner Bauingenieurkollegen. 

Wenn Sie zurückschauen: Würden Sie Ihren beruflichen Weg nochmals so wählen, oder was würden Sie anders machen?
H. B.:
Wenn ich nochmal 20 wäre und wüsste, wie ich jetzt mit 52 dastehe, dann würde ich sagen: O.K., ich machs. Aber es war für mich ein sehr langer, schwieriger Weg, der sich jedoch für meine langfristige Entwicklung als der optimale herausgestellt hat. Ich habe in meinem Beruf alles, was an Fähigkeiten in mir steckt, umsetzen können. Das ist ein sehr schönes Gefühl. Es gibt wahrscheinlich wenige Menschen, die das von sich sagen können. Das schliesst aber nicht aus, dass ich an meinem Schreibtisch immer mal wieder hart kämpfe, um einen bestimmten Fall lösen zu können. Man muss sich jedes Mal wieder beweisen, darf nicht nachlassen.

Sie gehen neben Ihrem Beruf noch verschiedenen nebenberuflichen Tätigkeiten nach – Sie haben beispielsweise verschiedene Lehraufträge, sind Mitglied der Zentralkommission für Normen und Ordnungen des SIA und auch in der Kirche aktiv. Ist das für Sie ein Ausgleich zu der eher einsamen Tätigkeit in einem Einmannbüro?
H. B.:
Das ist richtig. Man muss etwas machen, um nicht zu vereinsamen. Das hat aber auch berufliche Gründe: Als Selbstständiger muss man sich fachlich vernetzen, den eigenen Namen bekannt machen und sichtbar bleiben. Was meine Arbeit in der Kirche betrifft: Ich bin der Meinung, dass der Mensch berufen ist, nicht nur für sich selbst zu schauen. Jeder, der kann, sollte auch etwas dazu beitragen, dass unsere Gemeinschaft funktioniert und sich gut und nachhaltig entwickelt. Dazu kommt noch ein anderer Grund: Meinen beruflichen Werdegang könnte ich Ihnen als souveräne Karriereplanung verkaufen. Das war es nicht. Ich war in einer grossen Krise, als ich nach dem Bauingenieurstudium gespürt habe, dass es nicht funktioniert. Ein Glaubensgebäude, wie es die evangelische Kirche vermittelt, war für mich in dieser Phase sehr wichtig. Besonders, wenn man wie ich mit dem Leitsatz aufgewachsen ist: ‹Du bist, was du kannst›, ist es ein gutes Gegenmittel, zu hören: ‹Du bist auch ein vollwertiger Mensch, wenn du nicht ausweisen kannst, wie gut du bist oder was du alles hast.› Das war für mich wie eine Erlösung von allen an mich gestellten Ansprüchen. Daher ist es mir wichtig, mit dieser Institution verbunden zu sein.

Hätten Sie einen anderen Beruf ergriffen, wenn es dieses Anspruchsniveau nicht gegeben hätte?
H. B.:
Ich frage mich heute manchmal schon, warum ich einen Beruf mit so vielen Anforderungen ergriffen habe. Manchmal träume ich von einem Beruf, der weniger anspruchsvoll ist und bei dem Sensibilität gefragt ist, in dem man dafür aber vielleicht nicht im Entferntesten so viel verdient – zum Beispiel Gedichte zu schreiben und daneben vielleicht noch Wagenführer bei einem Verkehrsbetrieb zu sein. Andererseits ist Sensibilität auch ein wichtiges Arbeitsinstrument in meinem Beruf als Baujurist, denn nur so hat man im Umgang mit Menschen das Gespür dafür, im richtigen Moment die richtigen Worte im richtigen Tonfall zu finden, um einen Fall zu lösen. Die Personenebene ist eben häufig noch anspruchsvoller als die Sachebene. 

Anmerkung

  1. www.bau-umweltrecht.ch
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