Klu­ger Ein­satz der Mit­tel

Karamuk Kuo: Kindergarten, Aadorf TG

Der neue Kindergarten in Aadorf zeigt, dass ein knappes Budget die Schöpfungskraft beflügeln kann. Wie das Gebäude in Betrieb zu nehmen ist, scheinen die Kinder selbst am besten zu wissen.

Publikationsdatum
11-04-2014
Revision
18-10-2015

Wie ein Erstlingswerk wirkt er nicht, der Kindergarten Aadorf, geplant vom Zürcher Architekturbüro Karamuk Kuo und bezogen im Oktober 2013. Zu bewusst und durchdacht erscheint alles. Das klare Raumkonzept funktioniert nicht nur, sondern gewinnt durch das lebendige Spiel der Kinder noch dazu. Die Akustik in den Gängen ist auch während der Pause angenehm. Die Materiali­sierung und die Detaillierung wirken nirgends billig – und das, obwohl für die fünf Kindergartenräume und die Umgebungsgestaltung am Steilhang nur 4.25 Millionen Franken zur Verfügung standen.

Hinter dem Namen Karamuk Kuo Architekten stehen Ünal Karamuk und Jeannette Kuo. Karamuk hat türkische Wurzeln und ist in der Schweiz aufgewachsen, Kuo ist in Indonesien geboren und hat ihre Ausbildung bis zum Architekturstudium in den USA absolviert. Kennengelernt haben sich die beiden vor gut zehn Jahren in Harvard, wo Kuo ihren Master machte und Karamuk von der ETH Zürich aus ein Austauschjahr absolvierte. Dass sie sich 2009 entschieden, ihr eigenes Büro in der Schweiz zu gründen und nicht in den USA, liegt unter anderem an den enormen Hürden, mit denen junge ­Büros in Amerika konfrontiert sind, wie Kuo erklärt. Offene Wettbewerbe für Bauprojekte gebe es in den USA nicht, und bei Wettbewerben mit einer Form von Präqualifikation seien die Teilnahmebedingungen für junge Büros schlicht nicht einzuhalten. Architektur werde in den USA als Luxusprodukt wahrgenommen, fasst Kuo zusammen: «Entweder man kann sich einen Star leisten, oder man baut sich sein Haus gleich selber.»

Den Auftrag für den Kindergarten im thurgauischen Aadorf verdankt das junge Büro einem 2010 lancierten Wettbewerb mit Präqualifikation, zu dem zwei Nachwuchsbüros zugelassen wurden. Mit einer windmühlenartigen Anordnung der fünf Kindergartenräume um den Erschliessungsbereich, der so zum «vielseitig nutzbaren Erlebnisraum» wird, überzeugten sie die Jury und erhielten den ersten Preis. Bis das Bauprojekt genehmigt wurde, sollte es allerdings noch ein Jahr und zwei Volksabstimmungen dauern. Für Widerstand sorgte in der ländlichen Gemeinde insbesondere der politische Grundsatzentscheid, alle fünf Kindergärten in einem Gebäude zu konzentrieren. Kritik an der architektonischen Lösung gab es laut Kuo aber nie. Überhaupt waren sie vom Vertrauen überrascht, das ihnen durchwegs entgegengebracht wurde. Nach dem Wettbewerbserfolg wollte der Schulpräsident ihr Büro besichtigen. Damit schienen auch die letzten Zweifel beseitigt. Drei Jahre später die Bestätigung: «Super!» – so lautet die einstimmige Bewertung des neuen Kindergartens in Aadorf durch sechs Fünfjährige. Zu bemängeln haben die Kinder auch auf ein zweites Nachfragen hin nichts. Einzig die Lehrerin hätte sich eine Steckwand mehr gewünscht; das ist dann aber schon alles.

Befreiter Korridor

Der Neubau liegt nahe dem Zentrum von Aadorf, das allerdings nicht aus viel mehr besteht als einem Gemeindehaus, einer Durchfahrtsstrasse und einer Fussgängerunterführung. Im Osten schliesst der Kindergarten an die bestehende Schulanlage an und schafft zusammen mit dem alten Primarschulhaus einen kleinen Vorplatz und Eingangsbereich. Gegen Süden fällt das Gelände steil zum Bahntrassee hin ab und gibt den Blick auf die gegenüberliegenden bewaldeten Hügel frei. Da das Gebäude in den Hang eingebettet ist, ist vom Schulhof aus gesehen nur das obere von zwei Geschossen sichtbar. Die niedrige Gebäudehöhe, vor allem aber der metallisch graue Anstrich der Holzverkleidung ­verleiht dem Bau eine unscheinbare, allerdings auch etwas abweisende Erscheinung. Die für einen Kindergarten atypische Farbwahl erklärt die Architektin damit, dass der Bau in erster Linie «Hintergrund» sein soll. Im Farbton der nahen Wälder gehalten, schafft er den Rahmen für die Aneignung durch die jungen Nutzer.

Einzige Farbtupfer in der Fassade sind die Aussentüren aus perforiertem Metall. Von gelb bis grün abgestuft schaffen sie eine direkte Verbindung zwischen innen und aussen. Das ist entscheidend: Weil jeder der fünf Kindergartenräume einen eigenen Ausgang hat, ist der Korridor von seiner Funktion als Fluchtweg befreit und kann nach Belieben genutzt werden. Welchen Reichtum das eröffnet, lässt sich kaum über Fotos ­erahnen. Man muss es erlebt haben, am besten während einer Zehn-Uhr-Pause. Dann tummeln sich die Kinder in den vielfältigen Nischen des kreuzförmigen Korridors, auf und unter der einläufigen Treppe, wobei die Vielfalt an Nutzungsmöglichkeiten nahezu unbeschränkt scheint.

Die Wände dieser Begegnungszone sind mit geöltem Sperrholz verkleidet, der Boden ist ein simpler grobkörniger Unterlagsboden, eingefärbt, geschliffen und mit einer Schutzschicht versehen. Die Türen zu den Kindergartenräumen haben je eine andere Farbe, ebenso die «Infrastrukturwand», die jedem einzelnen Zimmer zugeordnet ist und Stauraum sowie Lüftung enthält. Die Böden in den Kindergartenräumen sind mit Kautschuk belegt. Hochwertigere Materialien kommen nur dort zum Einsatz, wo der Gebrauch dies erfordert, zum Beispiel Eiche auf dem Handlauf der Treppe oder in den Sitznischen der Fenster. Ansonsten ist die Materialwahl kostengünstig, wirkt aber trotzdem ­hochwertig; die Architekten scheinen das enge Budget weniger als Hindernis betrachtet zu haben denn als Inspirationsquelle. Das zieht sich bis nach aussen, wo die Spielplatzgestaltung zur Kunst deklariert und das Kunst-am-Bau-Budget entsprechend eingesetzt wurde. Die Projektverfasser betonen die exzellente Projektabwicklung durch das beigezogene Baumanagementbüro. Nur die behelfsmässigen Fugen im Kautschuk bereut Kuo. Über Nacht waren die Fenster nicht geschlossen worden, und ein Sturm warf den frisch verlegten Kautschuk auf. Doch das sind Details.

Heute zählt Karamuk Kuo Architekten insgesamt acht Mitarbeiter. Auf den Kindergarten Aadorf folgten zwei weitere Wettbewerbserfolge: eine Schulhauserweiterung mit Turnhalle in Rapperswil-Jona und ein Kompetenzzentrum der Sportwissenschaften auf dem Campus der Universität Lausanne – beide das Ergebnis offener Wettbewerbe. Angesichts dieser Erfolgsstory dürfte der persönliche Wunsch der Architekten zunächst überraschen: Sie würden gern ein Einfami­lienhaus realisieren. Dass sie die dafür erforderliche Kompetenz besitzen, «Do-it-yourself» zu Luxus zu machen beziehungsweise die Mitgestaltung durch die Nutzer zur Qualität, haben sie mit ihrem Erstlingswerk bereits bewiesen.

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